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Verschiedene: Die Gartenlaube (1882)

seine Armee ein Material erhalten, wie es besser kaum zu erhoffen wäre.

Unerörtert bleibe hier ganz und gar, welche finanziellen Vortheile dem Staate erwachsen müßten, wenn bei den meisten seiner Heerpflichtigen die active Dienstzeit auf die Hälfte der jetzt üblichen herabgesetzt würde, ohne auch nur die geringste Einbuße an der Tüchtigkeit des Heeres zu erleiden. Dagegen sei hervorgehoben, welcher physische und moralische Nutzen der Jugend selbst erwachsen würde, wenn sie genöthigt wäre, einer gesundheitförderlichen Thätigkeit ihre Freistunden zu widmen, die zur Zeit leider nicht immer erfreuliche Verwendung finden.

Endlich sei betont, daß all dies nicht blos dem gegenwärtigen Geschlechte, sondern auch dem kommenden zum Vortheile gereichen würde; keine Schätze der Erde überwiegen die einem Kinde von Geburt an innewohnende Gesundheit, Kraft und Widerstandsfähigkeit.

Im eigenen Interesse des Staates liegt es daher, die turnerische Erziehung der ganzen Nation von früher Jugend auf mit allen Kräften zu fördern. Zur Zeit hat dies der Staat um so nöthiger, als Frankreich das Schulturnen eingeführt hat und bei richtiger Handhabung desselben das französische Volk die beabsichtigte Hebung der Wehrtüchtigkeit erreichen wird. Die jetzt beliebten militärischen Extravaganzen der französischen Jugenderziehung können uns nicht blenden. Möge unser Bestreben vielmehr dahin gehen, durch erhöhte und verallgemeinerte Ausbildung des Turnwesens die leibliche und geistige Tüchtigkeit unseres Volkes mehr und mehr zu heben! M. Zettler.


Gustav Adolf.

(1632–1832–1882.)
Gedenkworte von Herman Semmig.

In den Tagen vom 12. bis 14. September dieses Jahres begeht der evangelische Verein der Gustav-Adolf-Stiftung zu Leipzig die fünfzigjährige Jubelfeier seiner Stiftung und als Nachfeier auf dem Schlachtfeld von Lützen am 15. September[1] die zweihundertfünfzigjährige Gedächtnißfeier des Todes Gustav Adolf’s, des Heldenkönigs von Schweden, der zur Rettung des protestantischen Glaubens nach Deutschland geeilt war und für denselben auf jenen Ebenen sein Leben ließ. Ein Fest der Liebe, ein Werk frommen Friedens mitten in den kampferregten Tagen der Gegenwart! Verweilen wir heute mit ernstem Sinn bei der Betrachtung dieses ernsten Augenblicks, erwägen wir den geistigen Gehalt, den unser öffentliches Leben und die fortschreitende Entwickelung der Menschheit daraus zu ziehen hat!

Schiller sagt in seiner „Geschichte des Dreißigjährigen Krieges“: „Alle Weltbegebenheiten, welche sich in jenem Zeitraum ereignen, schließen sich an die Glaubensverbesserung an, wo sie nicht ursprünglich daraus herflossen.“ Diese Glaubensverbesserung aber ging von Luther aus.

„O Luther! Held des Wortes, ja zerrissen
Hast Du das Band, womit uns Rom unschlang;
Dem eignen folgend, machtest die Gewissen
Du Aller frei von schnödem Glaubenszwang.
Mag, wie der Neuzeit Eiferer gesprochen,
Auch sein, daß er noch selbst befangen war,
Sein Werk allein hat freie Bahn gebrochen
Dem deutschen Geist, dem sonnendurst’gen Aar.

Und heute, wo von Neuem uns die Raben
Umkrächzen, heis’re Prediger der Nacht,
Drein uns die Pfaffen möchten neu begraben,
Weil nur im Schatten sicher ihre Macht;
Heut’, wo sie an den Erbfeind uns verrathen,
Woll’n wir um Luther’s großen Namen her
Uns einig schaaren, wie’s die Väter thaten,
Der Freiheit und des Lichtes heil’ges Heer.“

So schrieb der Verfasser dieses Artikels vor dreißig Jahren – und in der That: Luther’s Wort hat dem deutschen Geiste freie Bahn gebrochen. Ist nicht die deutsche Literatur, Bildung und Wissenschaft zum größten Theil auf protestantischem Boden entsprossen und erwachsen? Haben sich nicht auch die Schriftsteller der katholischen Länder an diese Literatur vielfach angeschlossen? Hat letztere nicht anregend und befruchtend auf die katholischen habsburgischen Länder eingewirkt? Aus einem protestantischen Pfarrhause ging Lessing hervor, der unsere Poesie vom ausländischen Einfluß befreit hat; an Luther’s Bibelübersetzung bildete sich der Genius Klopstock’s; Kant’s „Kritik der reinen Vernunft“ ist in gewissem Sinne die philosophische Fortsetzung der befreienden Geistesthat Luther’s, und ein hochgestellter protestantischer Geistlicher, J. G. Herder, predigte in dem Lande des ernestinisch-sächsischen Hauses, das für seine Vertheidigung Luther’s zum Märtyrer geworden ist, das Evangelium der Humanität.

Und die Keime, aus denen später diese ganze Literatur und Bildung, der Stolz der deutschen Nation, erwuchs, standen zur Zeit des Dreißigjährigen Krieges auf dem Punkte völlig erstickt zu werden. Unsere Voreltern haben sich der damals drohenden Feinde kräftig erwehrt, aber traurige Verhältnisse fügten es, daß die Entscheidung des Kampfes bei Fremden lag; dem edlen Schwedenkönige Gustav Adolf hauptsächlich verdanken wir die Rettung, und deshalb ist er uns kein Fremder mehr, hat er deutsches Bürgerrecht in unserer Geschichte.

Acht Jahre nach Beginn des Dreißigjährigen Krieges bekämpften den Protestantismus zwei Heere zugleich: das der Liga unter Tilly und das des Kaisers unter Waldstein (Wallenstein ist die von den Franzosen und Italienern im siebenzehnten Jahrhundert gebrauchte Form). Bei der Unthätigkeit der lutherischen deutschen Hauptmächte (Kursachsen und Brandenburg) drohte dem ganzen Protestantismus die Vernichtung. Da erschien der deutschen Freiheit, der Freiheit der Gewissen, ein Retter in dem Schwedenkönige Gustav Adolf. Wir wissen es wohl, und auch Schiller hat es in seinem oben angezogenen Werke nicht verleugnet, daß den König nicht blos religiöse, sondern auch politische Motive zum Kampfe trieben. Der neueste Geschichtschreiber dieser ganzen wichtigen Epoche, der stets nüchtern abwägende Gindely, sagt in seiner „Geschichte des Dreißigjährigen Krieges“ (Leipzig, 1882): „Er war ein aufrichtiger Protestant und für seine Ueberzeugung zu großen Anstrengungen und Opfern bereit, aber man darf nicht übersehen, daß seine eigene Sicherheit mit der des Protestantismus innig verknüpft war; denn nur so konnte er sich sichern vor den berechtigten Erbansprüchen der Könige von Polen auf die Krone von Schweden, und daß dieser Umstand seine Opferwilligkeit und Thatkraft erhöhte, unterliegt keinem Zweifel.“

Ja, sein eigenes Interesse gebot ihm, in den Kampf einzutreten, als Waldstein mit dem kaiserlichen Heere an der Ostsee erschien. Es war offenbar: die Habsburger wollten über das Meer herrschen und, ihrer spanisch-jesuitischen Politik gemäß, die Macht des protestantischen Schwedens brechen. Zu seiner Wehr suchte daher Gustav Adolf sich einige Häfen an der deutschen Ostsee zu sichern, und später waren es seine Erfolge, die ihn verleiteten, seine Macht zu erweitern. Ist dies mehr seine Schuld, die des Bedrohten, der nur sich und seinen religiösen Glauben zu vertheidigen suchte, oder des fanatisch ehrgeizigen Kaisers, der seiner Herrschaft eine unermessene Ausdehnung geben und seinen Glauben allen Widerstrebenden aufzwingen wollte?

Aber auch die katholischen Mächte wurden nicht blos vom Glaubenseifer getrieben; von politischen Beweggründen gedrängt, zerfielen sie gerade im Augenblick, wo der Protestantismus verloren schien. Die katholischen Fürsten Deutschlands gewahrten, daß der Kaiser nach unumschränkter Macht strebte, und verlangten, behufs der Ordnung des kaiserlichen Heeres nach den Grundgesetzen des Reiches, die Absetzung Waldstein’s; sie erhielten sie auf dem Reichstage zu Regensburg am 13. August 1630; an seine Stelle trat Tilly als Obergeneral des kaiserlichen und ligistischen Heeres. Selbst der Papst Urban der Achte verweigerte dem Kaiser seine Unterstützung; gewissermaßen als italienischer Patriot betrachtete er die Siege der Habsburger mit mißgünstigen Augen, als der

  1. Unter Berücksichtigung der besseren Jahreszeit wählte man den Septembermonat zur Feier, während der Gedenktag der Schlacht bekanntlich in den November fällt. D. Red.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1882). Leipzig: Ernst Keil, 1882, Seite 611. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1882)_611.jpg&oldid=- (Version vom 26.4.2023)