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Verschiedene: Die Gartenlaube (1882)

gemacht; es waren dies einfach Eroberungen. Dagegen erhob sich nun der große Kurfürst als deutscher Patriot, aber der Sieger von Fehrbellin wurde von Kaiser und Reich verlassen. Er war der wahre Gründer Preußens, dessen großer König Friedrich der Zweite später das von den Habsburgern möglichst wieder katholisirte Schlesien zurückeroberte.

„In Preußen, dem Vororte des Protestantismus,“ sagt der Kirchenhistoriker Karl Hase, „fiel auch, als zum Jubelfeste der Reformation Friedrich Wilhelm der Dritte 1817 einen Aufruf zur freien Einigung erließ, diesem Könige die Union zu einer evangelischen Kirche als eine reife Frucht des Zeitalters zu; diese Union geschah nach des Königs Absicht selbst mit Auflösung des lutherischen wie reformirten Namens in der unirten evangelischen Kirche.“

Fünfzehn Jahre später (1832) führte die Säcularfeier des Heldentodes Gustav Adolf’s zu einer andern, rein geistigen und werkthätigen Union, der Gustav-Adolf-Stiftung, die allen verstreuten protestantischen Gemeinden, gleichviel ob lutherisch oder calvinistisch, Hülfe und Unterstützung gewähren und ein neutrales Gebiet für alle Parteien in der evangelischen Kirche sein will. Es war ein geistiges Denkmal für den Heldenkönig, dem der König von Preußen 1837 über dem Schwedensteine, einem zur Zeit der Gletscherperiode aus Schweden herabgekommenen erratischen Blocke, bei welchem Gustav Adolf gefallen war, ein künstlerisches Denkmal errichtete. Ein Sohn des ernestinischen Sachsens, der 1783 in Prießnitz bei Altenburg geborene und auf der Universität zu Jena gebildete Professor und Superintendent Großmann zu Leipzig, faßte den Gedanken zur Gustav Adolf-Stiftung.

Es war bedeutsam, daß dies im albertinischen Sachsen geschah, als ein Symbol der Versöhnung zwischen Vergangenheit und Gegenwart, zwischen Stämmen, Völkern und Kirchen. Schwedens König Karl der Vierzehnte Johann trat dem Verein sofort bei; in Deutschland aber, wo das Werk nur langsam Verbreitung fand, wurde es durch den Aufruf an die protestantische Welt gefördert, welchen Hofprediger Zimmermann in Darmstadt am 31. October 1841 erließ. Verfasser dieses verkehrte damals im Auftrage seines Vaters, der eifrig im Innern des Landes dafür wirkte, selbst mit Professor Großmann, dessen Andenken ihm theuer geblieben ist. Zu Baiern bedurfte es des Sturmjahres 1848, um dem Vereine die Erlaubniß zu erringen.

Seine allgemeinen Betrachtungen über den Ausgang des Dreißigjährigen Krieges schließt Schiller mit dem letzten Schmerzensschrei: „Zur Kaiserkrone hat noch kein protestantisches Haupt sich erhoben.“ Diese seine Sehnsucht ist am 18. Januar 1871 nach dem glorreichen Kriege gegen Frankreich erfüllt worden. Da richtete zuerst der jugendliche, vaterländisch gesinnte König Ludwig der Zweite von Baiern an den König von Preußen das Wort: er möge die deutsche Kaiserkrone annehmen und so das Werk der Einigkeit Deutschlands vollenden. Aus Baiern kam dieser erste Ruf, aus demselben Lande, dessen Fürst im Dreißigjährigen Kriege gegen den Protestantismus die katholische Liga gegründet hatte. „Welche Wendung durch Gottes Fügung!“ Unwillkürlich bricht man in diese Worte aus, die König Wilhelm nach der Schlacht bei Sedan an seine Gemahlin richtete. Und im eigenen Lande des Königs von Preußen verkennt man noch den tiefen Sinn dieser Wendung; noch immer lässt man sich dort durch den „Zauberer von Rom“ blenden.




Blätter und Blüthen.

Die Soldatenbraut. Ich war nach längerer Abwesenheit wieder einmal daheim, in der alten traulichen Universitätsstadt an der Ostseeküste. Gestern war ich eingezogen durch das ehrwürdige Stadtthor, vorbei an den giebelgeschmückten Häusern. Heute hatte es mich früh aus dem Bette getrieben, und der goldige Sonnenschein regte mich zu einem Spaziergange an; alte bekannte Plätze in der Vorstadt wollte ich aufsuchen, wo ich als Kind gespielt. Unterwegs schwenkte mit mir zugleich ein kleiner Trupp Soldaten in eine Straße ein, um zur täglichen Uebung aufzumarschiren – da bot sich mir ein befremdendes Schauspiel: den Soldaten zur Seite trabte mehr, als es ging, ein altes Mütterchen, mit keuchendem Athem; sie schien offenbar ihre ganze Kraft aufwenden zu müssen, um nicht hinter den Marschirenden zurückzubleiben.

Die Alte erregte mein Interesse, und ich fragte einen Vorübergehenden, wer sie sei; da erhielt ich von der Straßenjugend den Spottnamen „die Soldatenbraut“ als Antwort, ein älterer Mann aber sagte mir, bei dem Mütterchen müsse es wohl im Kopfe nicht ganz richtig sein; denn sie rücke regelmäßig in Winter wie im Sommer, mit den Recruten aus, achte auf jede ihrer Bewegungen und kehre dann auch mit ihnen in die Stadt zurück, nachdem sie genau die Parole für den folgenden Tag erfahren. Nach dieser Erklärung mußte ich mit doppeltem Interesse zu der alten Frau hinüber blicken.

Es war im Jahre 1815 – so erzählte mir später ein Freund, den ich um das Schicksal der Alten befragt hatte – als nach glücklich beendetem Kriege gegen Frankreich unsere siegreichen Truppen in die Heimath zurückkehrten; in allen deutschen Gauen herrschte freudige Erregung; denn der Landesfeind war besiegt, und die Brüder und Gatten, die uns von jahrelanger Schmach befreit, kehrten jubelnd heim. Wie viele Opfer, wie viel theures Blut hatte der Krieg gekostet! O, des Jammers war kein Ende, und doch jauchzte selbst der schwer Betroffene noch in seinem Schmerz aus Freude über den Sieg und die endliche Befreiung aus der Fremdherrschaft und Knechtschaft.

Aber den rüstig einziehenden Kriegern folgten bleiche Gesichter, Verwundete und Kranke, die besonderer Pflege bedurften. So erboten sich denn die begüterten Bürger der Stadt, Verwundete in ihre Häuser zu nehmen und zu pflegen, um auch in dieser Weise dem Vaterlande noch einen Dienst zu leisten.

Nun lebte in unserer Universitätsstadt ein angesehener, schon ziemlich bejahrter Professor, der unweit der Stadt, jenseits des Stromes, ein niedliches Häuschen mit schattigem Garten besaß, so recht geeignet, um einem Reconvalescenten zum Aufenthalte zu dienen. Der Herr Professor hatte sich ebenfalls zur Aufnahme eines Verwundeten gemeldet, und eines Tages wurde ihm ein junger Officier in’s Haus gebracht; das Gesicht des Verwundeten bedeckte fahle Blässe, und mit größter Vorsicht mußte er in das für ihn bereitete Zimmer getragen und auf’s Bett gelegt werden. Unser Professor hatte früh die Gattin verloren, aber drei Töchter waren der Trost seiner Tage, und namentlich die jüngste, kaum der Kindheit entwachsen, ein liebliches ausgelassenes Mädchen, war die Freude seines Alters – Marie.

Mit der ganzen Innigkeit und Lebhaftigkeit ihrer sechszehn Jahre trauerte Marie um den armen Verwundeten und schenkte ihm ihr regstes Mitleid; freilich verging lange Zeit, ehe sie ihn sehen durfte; denn langsam besserte sich sein Zustand, und Alles, was sie für ihn thun konnte, war, daß sie täglich die schönsten Erdbeeren des Gartens für ihn pflückte und wohl auch eine Rose als Gruß aus dem sonnigen Garten darauf legte.

Da kam eines Tages die freudige Nachricht, der Arzt habe dem Patienten den ersten Gang in den Garten erlaubt, und bald war ein schattiges Plätzchen ausgewählt und mit aller Bequemlichkeit ausgerüstet, um den Leidenden aufzunehmen. Doch bevor er erschien, war sein junger Schutzgeist schon verschwunden, und nur von weitem betrachtete das schüchterne Mädchen mit warmem Interesse die bleichen Züge des jugendlichen Kriegers. Dieses Fliehen und Meiden, das sich täglich wiederholte, konnte aber nicht von Bestand sein; denn nachdem der Professor dem jungen Officier seine beiden ältesten Töchter vorgestellt, mußte auch das jüngste Töchterchen alle Scheu und Zurückhaltung bezwingen, und aus dem scheuen Vögelchen wurde bald ein gefangener Vogel – ja, ein gefangener! Mariens kleines Herz kannte fortan keine schönere Freude, als die, dem jungen Reconvalescenten nahe zu sein. Er war ihr einziger Gedanke. Ach, wie oft drang durch die Stille der Sommertage ihr fröhliches Lachen, wenn sie, neben ihm sitzend, seinen Erzählungen lauschte! Wie oft saß sie auf dem Zweige des alten dickarmigen Baumes vor ihm und sang wie eine Lerche in die Luft hinein, zu seinem Ergötzen, immer ein Lied nach dem andern! Wie oft saß sie aber auch still und ernst neben ihm, mit einem Buche in der Hand und las ihm vor; doch der Ernst hielt nicht lange Stand; schnell warf sie das Buch auf den Rasen und sprang lachend davon, die langen blonden Zöpfe im Winde wiegend.

Die Pflege unter so freundlichen Menschen that dem armen Verwundeten sehr wohl; die Blässe seiner Wangen machte mehr und mehr einer gesunden Gesichtsfarbe Platz, und seine Kräfte nahmen so erfreulich zu, daß er bald, auf den Arm des lieblichen Mädchens gestützt, in den Gängen des Gartens umher gehen konnte; aber es war nur ein kurzes Idyll, das die Beiden mit einander durchlebten. Nur eine kleine Weile noch – und die Kräfte des Patienten hatten so erfreulich zugenommen, daß der Arzt ihn für hergestellt erklärte und in Folge dessen von seinem Regimentschef die Ordre zur Abreise eintraf.

Wo war aber Mariens fröhliches Lachen, wo war ihre Heiterkeit geblieben? Armes Kind! Jetzt waren es ihre Wangen, die täglich bleicher wurden, von denen der rosige Hauch immer mehr verschwand, ihre Augen, die immer trüber blickten, wenn sie Morgens nach durchweinter Nacht zum Vorschein kam! Doch noch ein Aufblitzen des Glückes, ja ein noch höheres Glück als bisher, sollte ihr zu Theil werden: an derselben Stelle, wo sie so oft in traulichem Geplauder mit einander gesessen, da saßen sie heute noch einmal – zum letzten Mal, und da geschah es, daß er ihr von Liebe sprach, von glühender Liebe. Weinend hing sie an seinem Halse; sie hörte seinen Schwur, daß er ihr treu bleiben wolle, daß er wiederkehren werde, um sie heim zu holen als sein geliebtes, theures Weib. – – –

Hat er seinen Schwur gehalten?

Seht jenes alte Mütterchen! Tag für Tag zieht es mit den Soldaten zum Thor hinaus, ein Gespötte der Jugend.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1882). Leipzig: Ernst Keil, 1882, Seite 615. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1882)_615.jpg&oldid=- (Version vom 26.4.2023)