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Verschiedene: Die Gartenlaube (1882)

„Gewiß!“

Das kleine Schiff strich so wohlig durch die Wellen; zuerst fuhr es an der Krautinsel vorüber, die zum Kloster gehört und der Fraueninsel gegenüber liegt. Nonnen in dunklen Gewändern, das Haar unter weißem Stirntuch verborgen, arbeiteten dort schon in aller Frühe, banden Bohnen auf und sammelten Gemüse ein.

„Die Armen!“ sagte Felix.

„O, ich kenne Schwestern, die sehr glücklich in ihrem Berufe sind,“ entgegnete Mimi, „und ich selbst habe zwei Freundinnen, die keinen sehnlicheren Wunsch haben, als in’s Kloster zu gehen.“

„Sie etwa auch?“

„Nein! Aber verreden will ich’s nicht. Immer noch besser, sein Leben in Klostermauern verbringen und Pensionärinnen erziehen, als sich von einem abscheulichen Manne in den Käfig stecken lassen und in ewiger Gefangenschaft schmachten.“

„Welch ein schreckliches Bild! Meinte ich doch, im Köpfchen einer Sechszehnjährigen seien Gedanken an Liebe nur rosig.“

„Ja, das waren sie auch, bis vor Kurzem. Aber ich weiß es jetzt, daß die Zeit vorüber ist, wo die Ritter noch Heldenthaten für ihre Damen wagten, noch um einen Kranz von ihrer Hand rangen. Die jungen Männer von heute sind sehr blasirt und verlangen womöglich, daß man ihnen die Cour macht. Aber wenn ich auch fünfzig Jahre werden sollte, ohne einen Mann zu bekommen – ich laufe Keinem nach, das habe ich mir geschworen.“

Felix lachte hell auf.

„Aber das verlangt ja auch kein Mensch. Wer hat Sie auf so närrische Ideen gebracht, Klein-Bäschen?“

Mimi machte eine ganz verständige Miene, als wisse sie das besser als ihr junger Gefährte, war aber klug genug, nicht mehr aus der Schule zu schwatzen. Schwester Bertha zu Liebe begann sie nun aber ohne Umschweife, den Vetter auszufragen.

„Nicht wahr, Herr von Waldenburg, Sie könnten es gewiß auch nicht leiden, wenn sich ein Mädchen Mühe geben wollte, Ihnen zu gefallen?“

„Gewiß nicht! Das Gefallenwollen müßte sie mir überlassen. Was ist ein Sieg ohne Kampf! Lieber wollte ich um ein Weib dienen, wie Jacob um Rahel, als daß es sich mir beim ersten Worte in die Arme würfe.“

„Das ist hübsch und ritterlich gesprochen; das gefällt mir. Vielleicht kennen Sie gar schon diejenige, der Sie solche Opfer bringen könnten.“

„Seht einmal die kleine Neugierige! Das interessirt Sie?“

„O, mich nicht – aber vielleicht Andere.“

„Andere? Ah, das wird pikant. Ich möchte wohl wissen, wer so gütig ist, solchen Antheil an meiner Wenigkeit zu nehmen.“

„Ach, Niemand – das war ja nur so ein Spaß von mir,“ beeilte sich Mimi zu versichern; sie sah erschrocken, daß sie zu weit gegangen war, und blickte nun glühend roth vor sich hin.

Felix betrachtete das verlegene Antlitz: die kindlichen Züge der kleinen Dame sagten deutlich, daß sie diese Frage nicht aus sich selber gestellt habe.

„Nun, meine kleine Inquisitorin, es wäre ja möglich, daß sich einmal Jemand in dieser Weise nach mir erkundigte. Dann sagen Sie ihm getrost: Noch ist der Cousin frei wie der Vogel in der Luft und wird es, wenn seine Ahnung ihn nicht täuscht, vielleicht noch ein Jahrzehnt bleiben.“

„Das ist sehr lang,“ sagte Mimi und sah den Vetter ernsthaft an, dann aber mußten Beide lachen, und mit diesem Lachen endete das gefährliche Gesprächsthema und sprang auf harmlose Gegenstände über.

Unter fröhlichen Gesprächen hatte Mimi ganz Tante Waldenburg und was diese wohl über das lange Ausbleiben sagen würde, vergessen. Als Felix sie endlich an’s Land zurückgerudert hatte, sprang sie den Weg zum Hause hinauf, mit dem nicht ungewöhnlichen Gefühl der sechszehn Jahre, daß sie sich noch nie im Leben so amüsirt habe, wie an diesem Morgen.

Unter dem Vorwande, das Haar ordnen zu wollen, entzog sie sich den vorwurfsvollen Mienen der Ihren, fest überzeugt, Felix würde das drohende Unwetter von ihr abwenden.

Bertha eilte ihr nach.

„Nun,“ fragte sie, „hast Du diplomatisch geforscht?“

„Das verstand ich nicht, aber ich habe geradezu gefragt. Der schöne Heirathscandidat ist frei, ganz frei, aber weder Du noch Elfriede wird ihn bekommen; vor zehn langen Jahren will er gar nicht heirathen, und so lange werdet Ihr doch nicht warten wollen?!“

Auf alle weiteren Fragen hatte Mimi nur ein immer erneutes Lachen, und ärgerlich wandte Jene sich von dem „albernen kleinen Dinge“ ab, dem sie sich so unnütz verrathen hatte.




5.

Unsere Reisegesellschaft hatte sich schnell in einander eingelebt; war Felix doch ein liebenswürdiger Reisemarschall, der stets zur rechten Zeit für Wagen oder Führer sorgte und mit seiner heitern Laune das Herz Aller gewann.

Man vertraute seiner Führung unbedingt; schon war das Innthal durchstrichen, ein längerer Aufenthalt im Pusterthal genommen und im Ampezzothal die seltsame Formation der Dolomiten angestaunt worden, die als neueste Reisemode von der ganzen fashionablen Welt aufgesucht wurden.

Im einsamen Landro fanden die Reisenden einen alten Bekannten wieder, Mr. Billings, einen Engländer, der vor ein paar Jahren der stolzen Elfriede seine Huldigungen dargebracht hatte, in Betracht seines bürgerlichen Namens jedoch nicht sonderlich in denselben ermutigt worden war.

Hatten die Jahre Elfrieden anspruchsloser oder für den Werth des Geldes, das Billings in reichlichem Maße besaß, empfänglicher gemacht, oder gefiel ihr der keineswegs unüble Mann jetzt besser? Wer konnte es wissen? Eins nur schien sicher: den Wettstreit mit Bertha gab sie auf, spielte die Vornehm-Kühle gegen Felix und hatte ihr gewinnendes Lächeln fortan nur noch für den Engländer. Ob dadurch Bertha’s Chancen, den ansehnlichen Heirathscandidaten zu gewinnen, besser standen, konnte ebenfalls kein Mensch sagen; Felix war ein liebenswürdiger Verwandter, nichts mehr noch minder, blieb aber bei aller Galanterie stets Herr seiner Person.

Da geschah ein Wunder: die bequeme, sonst bis an den hohen Morgen schlafende Bertha ward, so oft Felix Fußpartien unternehmen wollte, mit einem Male eine leidenschaftliche Bergliebhaberin; jede Spitze wollte sie mit besteigen, jede Felsenschlucht aus eigener Anschauung kennen lernen. Zu solchen Excursionen sich aufzuschwingen, das brachte Tante Waldenburg doch nicht mehr fertig, und so ward denn Mimi commandirt, das junge Paar zu begleiten; Niemand war vergnügter als sie, wenn es früh Morgens, wo die Dämmerung noch das ganze Thal einhüllte, in Begleitung eines Führers zum Aufbruche ging. Für solche Touren wurde das schlichte kurze Pensionskleid wieder hervorgesucht, und von keinem überflüssigen Putz beengt, schritt Mimi, immer die Erste des kleinen Zuges, vergnügt und muthvoll voran. Dem jungen Körper that solche Bewegung wohl; Mimi blühte wie eine Rose auf, und legte die arme Bertha sich diese Tortur nur auf, um neben dem jungen Vetter sein zu können, so zeigte es sich, daß in der jüngeren Schwester die wahrhafteste Naturfreundin geschlummert hatte. Es hätte jubeln mögen, laut auf, das arme Kind, das bisher die Welt nur von einem Spaziergange unter strengsten Regeln kannte.

Es konnte scheinen, als wären Mimi und Felix weniger intim als in den ersten Tagen; man sah sie selten bei einander; natürlich: man hatte Mimi’s Zutraulichkeit gehörig zu verschüchtern gewußt und so hielt sie sich geflissentlich fern.

Was interessirten sie auch die Gespräche, die Bertha und der Vetter führten, noch wußte sie ja nichts von Gesellschaften, Theatern, Concerten und all den Gesprächsobjecten der Beiden; da war es viel lustiger anzuhören, was Führer und Sennerin zu erzählen wußten von dem Leben in und auf den Bergen. Auch zum Botanisiren gaben die Bergtouren Gelegenheit; die großen vollfarbigen Blüthen, wie sie auf den Höhen wachsen, entzückten Mimi ungemein, und das Album, das sie sich von getrockneten Alpenblumen und Gräsern zusammenstellte, ward für sie eine Quelle reinsten Vergnügens.

So hatte die Baronin Waldenburg denn die Genugthuung, ihre drei Nichten je nach ihren Ansprüchen zufrieden zu sehen, und durfte wohl hoffen, daß eine Verlobung der beiden älteren die Sommerreise auf’s Erwünschteste abschließen würde.

Welche köstliche Aussicht, beide Nichten versorgt zu sehen, ehe die jüngste, die sich zusehends zum reizendsten Mädchen entwickelte,

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1882). Leipzig: Ernst Keil, 1882, Seite 622. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1882)_622.jpg&oldid=- (Version vom 4.8.2020)