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Verschiedene: Die Gartenlaube (1882)

eisiger Nordwind blies über die öde Steppe, und fester hüllte ich mich in die Büffelhäute, die ich in meinem Wagen vorgefunden hatte; den Farbenspuren auf der Innenseite nach, hatten sie früher einem Indianerwigwam angehört, eine Wahrnehmung, die meine Gemüthsstimmung nicht gerade hob; wilder schwang der Treiber seine endlose, schlangenartige, nur mit einem kurzen Handgriff versehene Peitsche, und die Maulthiere mochten dieses Instrument gar wohl kennen; denn sie griffen nun noch einmal so schnell aus und trugen uns im Galopp den entfernten Hügelketten zu, die in feinem bläulichem Dufte vor uns lagen, bald langgestreckte, sargartige, bald wellenförmige oder zackige Höhen bildend. – Wir überschritten einen Strich, auf welchem wenige Tage vorher ein Prairiefeuer alles Leben vernichtet hatte. Soweit das Auge reichte, war Alles, Alles, selbst die Oberfläche des Bodens verkohlt – nur hier und da dürre, hohläugige Büffelschädel und bläulichweiße Antilopenskelete!

Nach einer halben Stunde hatten wir diese traurige Einöde passirt; um uns sahen wir wieder, wenn auch spärliche Zeichen des Lebens. Ueber den mit struppigem Buschwerk und Cottonbäumen bewachsenen Niederungen des Missouri wiegten sich mächtige Falken und Aasgeier, nach Beute spähend, während uns zu Füßen in dem wogenden Büffelgrase buntgefärbte Schlangen dahinschossen. Wir fuhren den ganzen Morgen, ohne einem menschlichen Wesen zu begegnen; rings um uns her lag der endlose Ocean gelben, wogenden Grases, eine Einöde von großartigem, aber unheimlichem Zuge. Diese baum- und strauchlosen Steppen bildeten das Königreich, auf welchem die Dacotahs, der mächtigste und neben den Apachen und Comanchen der berüchtigtste aller nordamerikanischen Indianerstämme, seine Jagdgebiete hatte.

Je weiter wir in die Prairie gelangten, desto fesselnder wurden die Bilder, die sie uns bot: dunkle Wolkenschatten zogen eiligen Fluges über die Hügel und Thäler dahin, oft einen ganzen Landstrich überschattend, der kurz vorher noch in herrlichen gelben, braunrothen oder röthlichen Tönen geleuchtet. Im Osten erglänzte manchmal der Lauf des Missouri aus tiefblauen, tafelförmigen Hügelketten; an anderen Stellen wieder wand er sich wie ein dunkles Band durch schimmernde Gelände. Nach Mittag erst erreichten wir den „Cannon ball river“, den „Kanonenkugelfluß“, welcher seinen Namen der eigenthümlichen Erscheinung verdankt, daß sich in den Felswänden, die der Fluß durchbrochen, häufig runde Steinblöcke, ähnlich den steinernen Kanonenkugeln des Mittelalters finden, von den Wassern halb bloßgelegt, sodaß sie den Glauben hervorrufen können, als seien die senkrechten Felswände die Zielscheiben einer Artillerie gewesen, deren Steinkugeln aber keine Kraft besessen, ganz in die Felswände einzudringen.

In dem Thale dieses Flusses ist ein Indianerdorf gelegen, und in den Büschen trieben sich Kinder herum, über und über mit Zinnober bestrichen.

Wir hielten vor einem kleinen, inmitten der hohen Bergwände gelegenen Blockhause, um Mittagsmahl zu halten und die Maulthiere zu wechseln. Der Mann, welcher hier seine abgelegene Clause aufgeschlagen und gleich einem Anachoreten lebt, war ein Canadier, französischer Abkunft, trug indianisches Costüm, lederne Beinkleider mit Franzen und Perlstickereien, Mocassins und ein Jagdhemd. Er hatte in seiner Clause ein Essen aufgetischt, bei dessen Anblick alle gutgearteten europäischen Mägen sich umgewendet haben würden, hier aber, inmitten der Einöde, drückte man ein Auge zu und zahlte auch gern mit Hôtelpreisen – 50 Cents gleich 2 Mark deutschen Geldes.

Nach diesem Mittagsmahle ging es weiter, vor dem Wagen ein Maulthier und ein unbändiges indianisches Pony, welch letzteres zum ersten Male als Zugthier benutzt wurde. Nachdem es eine Zeit lang gegen das ungewohnte Joch gewüthet und getobt, schien es sich in sein Schicksal zu fügen; wir fuhren, drei Personen stark, ab, durchschritten zweimal den jetzt ziemlich seichten Fluß und gelangten dann auf ebene Prairie. Der heftige Wind, der den ganzen Morgen uns in den Rücken gepfiffen und mächtige Staubwolken in den Missouriniederungen aufgewirbelt, hatte sich ein wenig gelegt, dagegen aber war der Himmel mit Regenwolken umzogen. Tief einsam war es wieder rings umher – da und dort ein Prairiehuhn, das, durch das Rollen unseres Wagens aufgeschreckt, schwirrend emporflog, sonst aber als Staffage nur ab und zu Büffel- oder Hirschskelete – wer weiß: vielleicht auch das des Jägers, welcher einst diese Thiere gejagt.

Als wir nach einstündiger Fahrt wieder in hügligeres Terrain einlenkten, hielt ein Indianerzug vor uns, ein äußerst malerisches Bild gewährend: in einem kleinen Karren, auf dessen Vorspannpferden zwei riesige in blaue Decken gehüllte Indianer saßen, tummelten sich einige Kinder, deren schwarze, glänzende Augen wie blitzende Beeren aus den dunklen, rothbemalten Gesichtern hervorleuchteten. Dem Karren folgte ein Weib, wie ein Mann rittlings zu Pferde sitzend und tief in ihre Decke gehüllt, zwei Kinder, allerhand Geräth und die grobe Leinwand des Wigwams hinter und neben sich aufgethürmt. Den Schluß des von Ziegen, Hunden und Füllen bunt umschwärmten Zuges bildete ein imposanter Indianer, über sechs Fuß hoch, in rosagewürfeltem Hemde und blauen, bändergezierten Beinkleidern, der mit einem Knüppel ein Pferd vor sich hertrieb; dieses schleifte die in zwei Bündel getheilten und mit den Spitzen zu beiden Seiten des Sattels befestigten fünfzehn Fuß langen Zeltstangen hinter sich her. Finsteren Blickes und ohne Gruß zog die Cavalcade vorüber und war gleich darauf hinter den Hügeln verschwunden.

Noch war ich in Erinnerung des Bildes ganz versunken, als eine neue Erscheinung auftauchte und sich in schier übernatürlich scheinenden Umrissen gegen den ziehenden Wolkenhimmel abhob. Ein Indianer war’s, der in wildem Jagen, einen Tomahawk schwingend, auf seinem struppigen Pony an uns vorübersprengte, eine wahre Enaksfigur. Lang flatterte das schwarze Haar, dessen Zöpfe mit rothen Tuchstreifchen umflochten, im Winde, und lang wehte die mächtige Adlerfeder, welche die Scalplocke des furchtbaren Kriegers zierte. In einem Augenblicke war der Ton der kleinen Schellen, mit denen er seine Beinkleider geschmückt, verklungen.

Auf den Hügeln erblickten wir nun hin und wieder verlassene Indianerhütten, von denen nur noch die aus vielen Stangen gebildeten Gerippe standen, oder wir kamen an einer der seltsamen Begräbnißstellen vorüber, wo die Todten, in ihrem vollen Schmucke und in Blankets gehüllt oder in roh zusammengeschlagene Kisten gelegt, auf hohen Gerüsten aufgebahrt werden. (Vergl. unsere Abbildung S. 625.)

Wir hatten eben den dreiundvierzigsten Meilenpfosten passirt und näherten uns dem Battle Creek, als unser Kutscher mit Peitschenhieben die Thiere anzutreiben suchte. Waren sie durch diese Hiebe oder durch die mit denselben verbundenen fürchterlichen Flüche des Rosselenkers erschreckt – genug, sie wurden unruhig, und das indianische Pony richtete sich kerzengerade in die Höhe, schlug nach vorn und hinten aus und ging dann, das Maulthier unaufhaltsam mit sich reißend, durch. Alle Versuche, das Thier zu bändigen, waren vergebens, steigerten vielmehr die Wuth desselben; es wurde noch mehr erschreckt, als der neben dem Treiber sitzende zweite Passagier, ein in einen hellblauen Soldatenmantel gehüllter Civilist, in einem günstigen Augenblick herauszuspringen suchte, dabei aber mit einem dumpfen Krache zu Boden schlug. Zugleich gerieth dem Pony die Wagendeichsel zwischen die Beine, und nun war keine Rettung mehr.

Immer rasender wurde die Jagd, immer geringer die Aussicht, die Thiere zur Ruhe zu bringen, und so wagte auch ich im letzten Augenblicke, als wir am Rande einer Schlucht anlangten, wo das fernere Geschick des Wagens sich unfehlbar entscheiden mußte, den nothwendigen Sprung. Ich fiel lang auf die Erde nieder, fühlte mich aber unwiderstehlich wie von unsichtbarer Gewalt emporgehoben und zu einem Kunststücke gezwungen, das mir in den Jahren meiner frühesten Jugend darum als Gipfelpunkt der Gymnastik erschienen war, weil ich es niemals auszuführen vermochte. Jetzt gelang es mir; denn ich hob die Beine kerzengerade gen Himmel und schlug rücklings den kunstgerechtesten Purzelbaum meines Lebens. Als sich dann meine unteren Extremitäten nochmals hoben, konnte ich mich eines Lachens kaum erwehren, als mir wie ein Blitz der Gedanke durch den Kopf fuhr, was wohl die ehrsamen Leser der „Gartenlaube“ dazu sagen würden, wenn sie den Correspondenten derselben in solchen Exercitien begriffen sähen. Doch trotz des Gedankens hatte ich auch den zweiten Purzelbaum mit aller Grazie zu vollenden.

Auf wunderbare Weise war der Wagen unterdeß durch die Schlucht gekommen, und sahen wir das Gespann mit demselben den Bergen zueilen. Der Treiber aber war herausgeschleudert worden und lag jammernd und fluchend in einem Strauche. Ich raffte mich auf, dem Wagen nachzueilen, um

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1882). Leipzig: Ernst Keil, 1882, Seite 624. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1882)_624.jpg&oldid=- (Version vom 27.4.2023)