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Verschiedene: Die Gartenlaube (1882)

„Sie finden ein Leben auf dem Lande dem Begrabensein gleich?“ fragte Felix.

Bertha biß sich auf die Lippen; sie hatte zu viel gesagt, ihr heftiges Temperament hatte sie verrathen, ohne daß sie es wollte.

„Das nicht,“ antwortete sie, sichtbar bemüht, den Eindruck ihrer Worte zu mildern. „Aber ich hätte allerdings nie gedacht, daß Sie, der Sie alle Aussicht haben, eine glänzende Carriere zu machen, der Sie das enfant chéri Ihres Corps sind – daß Sie so bald auf alle die vielen Annehmlichkeiten verzichten würden, die sich Ihnen darbieten. Warum veranlassen Sie nicht lieber Ihre Mutter, die Einsamkeit aufzugeben und zu Ihnen nach der Stadt zu ziehen?“

„Warum sollte sie unser Waldenburg verlassen, an dem ihr Herz mit jeder Faser hängt? Da kennen Sie sie schlecht.“

„Aber Ihre Mutter ist so frisch, nahm so lebhaft an Allem Theil, was sich von Vergnügen darbot, als sie im vorigen Jahre bei uns zu Besuch war, daß ich denke, sie müßte sich leicht an das Leben in der Stadt gewöhnen.“

„Nein, Cousine, da irren Sie, in uns Allen fließt echtes Landblut, und im Grunde freue auch ich mich darauf, auf unserem alten Gute herumzuwirthschaften nach Herzenslust.“

„Nun, vor der Hand ist der Premierlieutenant ja erst in Aussicht,“ tröstete sich Bertha, „und ich hoffe, Sie nehmen bald Urlaub und kommen zu uns nach W. Sie wissen, Sie haben versprochen, mich reiten zu lehren, und das ist seit lange mein Herzenswunsch; es mangelte mir nur bisher an einem passenden Begleiter. Gott, Vetter, Sie können es sich nicht vorstellen, welche Pein ein Leben ist, das man nur in weiblicher Umgebung verbringt.“

Felix lachte.

„Wenn Sie reiten wollen, Bertha, so veranlassen Sie die Tante, nach L. zu kommen! Es lebt sich angenehm in unserer Garnison, und nur so könnte ich den Lehrer machen – –“

„Das ist ein Gedanke. Helfen Sie mir, die Tante überreden! Es lebt sich gewiß angenehm in einer kleinen Garnisonstadt.“

„O ja! Man kann sich mit einem Schlage zur Löwin des Tages machen. Und erst auf Bällen – auf jede einzelne Tänzerin kommt mindestens ein Dutzend tanzlustiger Lieutenants.“

„Nun, was das betrifft, so habe ich nicht nöthig nach einem Orte zu gehen, wo der Einäugige König ist. – Zweifeln Sie etwa, daß ich auch bei uns meine Tanzkarten doppelt füllen kann?“

„Sehe ich aus, als ob ich solchen Verbrechens fähig wäre?“

Bertha war versöhnt und ganz auf ihrem Terrain, das heißt in der Beschreibung der winterlichen Feste; sie verstand es meisterlich, durch leise hingeworfene Andeutungen zu verstehen zu geben, welche reichen Triumphe sie gefeiert hatte.

Unter solchen heiteren Gesprächen erreichte man St. Bartholomä, aber der Himmel blickte nicht mehr so lachend, er hatte sich trüb gefärbt, und die Schiffer warfen besorgte Blicke nach oben; sie meinten, daß es am gescheidtesten wäre, die Rückfahrt sogleich anzutreten. Davon aber wollte kein Mensch etwas wissen; sollte man sich vergebens auf die herrlichen Laiblinge gefreut haben?

Aber das lustige Fischessen wurde auf die unliebsamste Weise gestört, als der Himmel immer schwärzer und schwärzer wurde und die Ruderknechte und Mägde energisch erklärten, allein mit ihren Booten zurückfahren zu wollen, wenn die Herrschaften noch länger zögerten, da ein schlimmes Wetter im Anzuge sei und im Wirthshause – das eigentlich ein königliches Jagdschloß war – Niemand übernachten dürfe.

Ein heftiger Aufbruch, ein wirres Durcheinander von Bedauern, Fürchten und Zögern – so kam man an den See; verschwunden war seine märchenhafte Farbe, wie seine schmeichelnde Glätte; dunkel wälzten sich jetzt schwere Wogen, und das farbenkräftige Bild schaute wie eine Decoration der Unterwelt aus. Alles beeilte sich, die Schiffe zu besteigen.

„Nicht um die Welt fahre ich wieder in dem kleinen Kahn,“ rief Bertha und drängte rücksichtslos die Schwestern bei Seite.

„Was soll nun werden?“ fragte die Baronin rathlos.

„Vielleicht geht es an, daß das große Boot eine Person mehr einnimmt?“ wandte sich Felix an die Alpenmädchen.

Die Antwort war eine entschieden verneinende.

„Ich fürchte mich nicht,“ rief nun Mimi in alle diese Unentschlossenheit hinein, „ich fahre mit dem Vetter.“

„Recht so, Mimi!“ meinte Felix, „und wer weiß, ob wir unser kleines Fahrzeug nicht eher in Sicherheit bringen und vor dem Gewitter im Hafen anlangen, als jenes stolze Boot.“

Aber keines der Boote noch die unzähligen weiteren Kähne sollten dieses Ziel so glücklich erreichen; noch war kein Schiff auf der Mitte des Sees, als der Regen in Strömen zur Erde floß, ein stoßweise dahersausender Wind die Wellen peitschte, grelle Blitze den schwarzwolkigen Himmel durchzuckten und der Donner in der rabengefiederten Nacht seine grausige Stimme erhob.

Die kleine Flotille war mit Windesschnelle zerstoben und aus einander geflohen; wie eine Nußschale tanzte das kleine Schiff, das Felix und Mimi trug, auf den wildbewegten Wellen.

Der Fischer ruderte mit Anspannung aller Kraft.

„Lassen Sie mich mit Ihnen abwechseln!“ bat Waldenburg, aber der wetterbraune Mann schüttelte den Kopf und sagte:

„Das ist meine Sache.“

Gesprochen wurde wenig; die Lage war eine zu ernste; nur als ein greller Blitzstrahl das geisterbleiche Antlitz Mimi’s beleuchtete, die Felix gegenüber saß, da nur je eine Person auf den kleinen Brettern Raum hatte, da sagte dieser:

„Fürchten Sie sich sehr, Mimi?“

Sie schüttelte ihr umhülltes Köpfchen:

„Nein, gar nicht, mir ist nicht bang; ich möchte mich auch so gern muthig benehmen, aber meine Glieder sind eiseskalt. – Freilich, wenn der Kahn umschlüge, ich käme schlimm weg – schwimmen kann ich nicht.“

„Ich auch nicht; hilft auf dem See auch nichts,“ entgegnete der Schiffer. „Es geschieht uns nichts.“

„Nur ruhig sitzen bleiben und nicht verzagen!“ mahnte Felix.

Das wollte Mimi auch nicht, gewiß nicht. Aber als nun eine große Woge in’s Boot schlug, da schrie sie doch auf, und unwillkürlich streckte Felix seine Arme aus, sie zu halten.

Dann hörte er sie murmeln.

„Sagten Sie etwas?“ fragte er.

„Nein,“ entgegnete sie einfach, „ich bete.“

Es ward Felix ganz eigen um’s Herz, als er bei dem fahlen Scheine des Blitzes Mimi’s todesbleiche Lippen sich im Gebet bewegen sah.

„Ich habe für uns Beide gebetet,“ sagte sie, als sie geendet.

Waldenburg wußte, daß seine Mutter allabendlich für ihn betete, aber der Gedanke daran hatte ihn nie ergriffen; warum that es denn Mimi’s Gebet? –

Wieder flog das kleine Schiff auf einer großen Welle jäh hinauf und dann wieder hinab. Mimi zitterte.

„Kleine, geben Sie mir Ihre Hände!“ sagte er.

Mimi that es.

Er hielt die kleinen Finger ganz fest, und es war, als ströme von ihm eine magnetische Kraft aus, sie sich dem zitternden Mädchen mittheilte; denn mit jedem Augenblick ward Mimi ruhiger, und als wieder ein Blitzstrahl ihr Antlitz streifte, da lächelte sie; die dunklen Augen blickten den jungen Begleiter vertrauungsvoll an, und der noch immer bleiche Mund versicherte: „Jetzt fürchte ich mich gar nicht mehr.“

Nun galt Mimi’s Sorge den Anderen.

„Die arme Tante, wie wird sie diese Fahrt bestehen?“

„Ich hoffe, sie ist in Sicherheit! Das große Boot hat so viel mehr Widerstandsfähigkeit, als das unsere, ist nicht so leicht ein Spiel der Wogen. – Wie schade, daß meine arme, kleine Mimi keinen Platz mehr darin finden konnte!“

„Aber dann wären Sie ja ganz allein gewesen, und ich glaube – ich hätte Todesangst um Sie ausgestanden!!“

Mimi sagte das gerade in dem Momente, wo der Sturm wieder einmal seine volle Kraft entwickelte: es heulte, es donnerte, es schnob und rollte in den Lüften, und das tückische Element drohte das kleine Boot hinab in die Tiefe zu ziehen, und bei dieser grausigen Aussicht dachte Mimi nur an eins – welch Glück es bei allem Unglück doch war, an seiner Seite zu sein!

Ihre einfachen Worte trafen Felix bis in’s Innerste; ergriffen zog er die kalten Hände der Durchnäßten an seine Lippen.

Wäre es nicht so dunkel, so stockdunkel um ihn her gewesen, Waldenburg hätte das heiße Erglühen sehen müssen, das Mimi’s Antlitz überzog; es überlief sie „siedend heiß“ – die Knospe öffnete sich dem Lichte, und zum ersten Male sprach die Stimme der Jungfrau vorwurfsvoll: „Was hast du gethan!“ -

Scheu kauerte Mimi in sich zusammen; sie wollte ihre Hände

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1882). Leipzig: Ernst Keil, 1882, Seite 638. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1882)_638.jpg&oldid=- (Version vom 4.8.2020)