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Verschiedene: Die Gartenlaube (1882)

während Kairo wirklich noch die mohammedanische Mamlukenhauptstadt ist, und wie Bagdad und Damaskus ein echt orientalisches Gepräge trägt. Wenigstens gilt dies von dem alten und größeren arabischen Theile der Stadt mit seiner Hauptstraße, der berühmten Muski, in deren auf- und abwallendem Menschenstrom man fast alle Völkerschaften von Westasien, von ganz Afrika und von Südeuropa und auch noch von weiterher studiren kann. Perser, Armenier und Inder, Abessinier, Kopten und Marokkaner, beturbante Türken in Menge, dann wieder Griechen, Albaneser und Arnauten mit dem rothen Fez, Beduinen und Nubier und andere Neger und Farbige in allen Schattirungen, und alle diese Menschen in ihren besonderen Trachten und Costümen, oft prächtig und reich gekleidet, oft auch nur in sehr primitiver Umhüllung, und als Zugabe tiefverschleierte Frauen zu Fuß und zu Esel, vergoldete Haremswagen, die mit ihren galoppirenden Eunuchen und vorauseilenden Läufern kaum durchkommen können durch das dichte Gewühl, oder auch eine Reihe gravitätisch einherschreitender Derwische, oder gar ein langer Zug von zehn, zwanzig hochbeladenen Kameelen - das ist mit „zwei Worten“ so ein ungefähres Bild der Muski, von früh bis spät, tagaus, tagein, und darüber der fast immer wolkenlose, lichtblaue Himmel mit der glühenden afrikanischen Sonne, und wo die Straße einen Durchblick gestattet, Palmengruppen, weiße Häuserwürfel und ragende Moscheen mit glänzenden Kuppeln und schlanken Minarets.

Amt südöstlichen Ende der Stadt liegt auf einem sanft ansteigenden Felsplateau die Citadelle mit der berühmten Alabastermoschee Mohammed Ali’s und vielen Palästen, Haremsgebäuden und Casernen. Hier residirte der trotz seines Despotismus immerhin große Mann, der Regenerator Aegyptens, wie man ihn mit Recht nennt, und der Gründer und Ahnherr der jetzt im Pharaonenlande herrschenden Dynastie. Von der hoch hinausgebauten weiten Terrasse dicht neben der Moschee erblickt man ein Panorama, das jedenfalls zu den großartigsten und schönsten der Welt gehört.

Die ganze unermeßliche Stadt mit ihren ungezählten Einwohnern (man sagt zwischen 300,000 bis 400,000) liegt zu unseren Füßen: ein Häusermeer, aus welchem nur die Moscheen und die größeren Gebäude wie Inseln hervortauchen, darüber hinaus die arabische Wüste mit den nackten und zerklüfteten Mokkatamfelsen, und dazwischen weitgedehnt eine zweite Stadt, aber eine Stadt des Todes, die sogenannten Khalifengräber (vergl. Abbild. S. 644), wo die ehemaligen Mamlukensultane sich ihre Mausoleen errichteten. Jetzt liegen diese Gräber in Ruinen; kaum eine einzige der vielen Hundert einst so reichverzierten Kuppeln ist der Zerstörung entgangen; die Dome und Portale sind eingefallen, und nur wenige der hohen Minarets, von denen in früheren Jahrhunderten die Mueddims die Gläubigen zum Gebet riefen, sind noch zugänglich, aber auch sie werden wohl bald den anderen Trümmern nachsinken.

Einen herrlichen Contrast mit dieser düsteren, wenn auch höchst imposanten Todtenstadt bildet nach der entgegengesetzten Seite, nach Westen hin, das Nilthal mit seinen immer grünen Fluren, seinen Baumwollen- und Zuckerrohrfeldern, zwischen denen der Nil majestätisch hindurchfließt, derselbe Nil, der schon zu den Zeiten der Pharaonen, vor 3000 und 4000 Jahren, die Barken eines regsamen, kunst- und gewerbfleißigen Volkes getragen und der auch heute noch von unzähligen großen und kleinen weißen Segeln belebt ist. Die schwarzen Fellahdörfer treten überall aus dem Grün hervor und nehmen sich von hier oben sehr malerisch aus; in der Nähe betrachtet freilich sind es ärmliche Lehmhütten mit einer in Schmutz und Elend tief herabgekommenen Bevölkerung – eine Folge namentlich der abscheulichen Mißwirtschaft der letzten Jahrzehnte, von welcher wir bereits in unserm früheren Artikel (Nr. 31 u. ff.) gesprochen haben.

Den gewaltigsten Eindruck machen aber die Pyramiden, die Wächter der Wüste; denn die Wüste, und zwar die Libysche, tritt hier dicht an die grünen Felder heran und zieht sich dann unabsehbar in gelbgrauen Wellen hinaus bis an den fernen Gesichtskreis.

Kairo liegt, wie Eingangs erwähnt, nur wenige Meilen südlich von der sogenanten „Gabel“, d. h. von dem Punkte, wo sich der Nil in zwei Ströme theilt; er fließt dann westlich als Rosette- und östlich als Damiette-Arm in das Mittelmeer, wodurch das Delta gebildet wird. Ueber diese „Gabel“ führt ein großartiger Brückenbau, der die beiden äußersten Ufer mit einander verbindet und als Stau- und Schleusenwerk dient: das ist die Nilbarrage (vergl. Abbildung S. 644), die zur Regulirung der Hochwasser während der Ueberschwemmungen angelegt wurde und speciell den unermeßlichen Feldern des Deltas zugute kommen sollte. Der Gedanke zu dieser Barrage ist schon von Mohammed Ali ausgegangen, der auch den Bau begann. Unter Said Pascha wurden dann noch die Thürme an beiden Ufern, nach Art der Brückenköpfe, befestigt, wodurch die Barrage jetzt ein kleines Fort bildet. Das ist aber auch Alles; denn seine ursprüngliche Bestimmung hat das Werk, das über 20 Millionen Franken gekostet, von jeher sehr mangelhaft erfüllt. Die meisten Schleusen sind nicht dicht, und die Fundamente des Baues haben an vielen Stellen durch den ungeheueren Andrang der Wassermassen stark gelitten, sodaß die Schifffahrt dadurch mehr gehemmt als gefördert und die Bewässerung nur unvollkommen erreicht wird.

In Kriegszeiten jedoch, wie die augenblicklichen, dürfte die Barrage als vorgeschobenes Werk zum Schutz der Hauptstadt von Wichtigkeit werden, ja, nach den neuesten Nachrichten hätte man dort bereits mit dem Aufwerfen von Erdwällen und mit der Anlage von größeren Verschanzungen begonnen. Das wäre aber auch zugleich der einzige Damm, den die Aegypter der von Südosten anrückenden englischen Armee entgegensetzen könnten; denn im Uebrigen ist Kairo längst eine ganz offene Stadt, und gerade nach der arabischen Wüste, also nach Suez und Ismailia hin, am offensten. Die hohe und breite Mauer, die früher die ganze Stadt umgab und bei der damaligen Kriegführung große Sicherheit gewährte, ist schon seit Anfang dieses Jahrhunderts bis auf wenige Reste verschwunden; nur die gewaltigen Thore sind geblieben, einige von ihnen, wie das Bab en Nasr und das danebenliegende Bab el Futuh, könnten wohl im Nothfalle als kleine Festungen dienen, aber wie lange würden sie im Stande sein den englischen Sechszigpfündern zu widerstehen?

Nur die bereits erwähnte Citadelle ist die einzig wirklich feste Position von Kairo, die mit ihren Kanonen (und sie soll jetzt sehr gut armirt sein) die ganze Stadt beherrscht; die labyrinthischen Zugänge mit ihren steilen Felsenmauern und Zinnen würden die Vertheidigung wesentlich erleichtern, aber auch das ist im Grunde nur illusorisch; denn der Mokkatam liegt wenigstens 400 bis 500 Fuß höher, und von dort könnte man also wieder die Citadelle leicht zusammenschießen. Hoffentlich kommt es nicht zu diesem Aeußersten, und es wird in diesem beklagenswerten Kriege an dem zerstörten Alexandria genug sein.

Bis in die jüngste Zeit, das heißt bis zum Ausbruch des jetzigen Krieges, war Kairo fast immer das erste Ziel der Orientreisenden und nicht allein der Vergnügungstouristen, sondern auch der Afrikaforscher, die von da weiter nach allen Richtungen in's Innere zogen. Für die Ersteren bot zunächst die ägyptische Hauptstadt selbst des Interessanten und Sehenswerten unendlich viel, und hier ist es am Platze, des Exkhedives Ismail mit Anerkennung zu gedenken, weil er von jeher bestrebt gewesen, den Fremden den Aufenthalt in seiner Residenz so angenehm und genußreich wie möglich zu machen.

So ließ er den ungeheuren, aber ganz verwilderten und sumpfigen, über dreißig preußische Morgen großen Esbekiehplatz, der dem schlechtesten Gesindel als Schlupfwinkel diente, in einen prächtigen Park und Lustgarten verwandeln, mit Cascaden und Felsengrotten, mit chinesischen Tempeln, Cafés-chantants und einem Musikpavillon für ein einheimisches, aber von französischen Musikern gebildetes Orchester, sogar mit einem kleinen Theater und mit Gondelfahrten auf einem großen cementirten See. Man glaubt sich dort in Paris, im Bois de Boulogne, und natürlich waren es auch Pariser Gartenkünstler, die Alles geschaffen, und zwar mit einem Aufwand von über 20 Millionen Franken. Einmal in der Woche wurde der Garten immer glänzend illuminirt, und wenn fürstlicher oder sonst hoher Besuch aus Europa da war, auf dem See auch ein Feuerwerk abgebrannt. Dann war der vicekönigliche Hof selbst zugegen; die leichtverschleierten Haremsschönheiten wandelten zwischen den europäischen Herren und Damen umher, und mehr als ein zartes Liebesverhältniß mag sich dort unter den Palmen und Sykomoren entsponnen haben.

Breite, macadamisirte Straßen mit Asphalttrottoirs (Alles nie gesehene Dinge in Kairo) wurden um den Garten herum angelegt, und die dort belegenen Gasthöfe wetteifern an Luxus und Bequemlichkeit mit den ersten enropäischen Hotels und lassen sie sogar in Bezug auf die Preise weit hinter sich.

Aber auch auf einem höheren Gebiete kam Kairo dem Fremden

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1882). Leipzig: Ernst Keil, 1882, Seite 642. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1882)_642.jpg&oldid=- (Version vom 4.8.2020)