Seite:Die Gartenlaube (1882) 643.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1882)


in glänzender Weise entgegen, nämlich durch das Museum ägyptischer Alterthümer in Bulak. Die ganze Pharaonenwelt liegt in diesen Sälen zur Schau, und bei ihrer Besichtigung erkennt man Aegypten als das älteste Culturland der Erde; die ausgestellten Kunstschätze werden doppelt interessant, weil man nur aus den hohen Fenstern hinauszuschauen braucht, um die Felsentempel und Königsgräber zu sehen, wo man sie gefunden.

Dicht neben dem Museum liegt die Insel Rhoda mit dem tausendjährigen Nilmesser und dem Mosesbaum, unter welchem die Tochter Pharao's das ausgesetzte Moseskind im Schilf gefunden – natürlich nur eine Legende, die aber an Ort und Stelle, wo noch so Vieles an jene Zeiten erinnert, ganz glaubwürdig erscheint. In Bulak, dem Hafen von Kairo, liegen auch die Nilbarken (die Dahabihen), die man im Winter für einige Monate miethet und auf denen man stromaufwärts fährt bis nach Assuan und weiter nach Nubien, um unterwegs die bedeutendsten Ruinenstätten zu besuchen: Theben und Luxor, die Memnonssäulen und die Tempel von Karnak und Philä, auf deren Dächern sich ganze arabische Dörfer angesiedelt hatten, bevor man sie wieder freilegte. Viele von diesen Nilbarken sind mit allen Bequemlichkeiten ausgestattet, mit einem großen Speisezimmer, mit kleineren Wohnräumen und eleganten Boudoirs für die mitreisenden Damen, mit einer Bibliothek und sogar einem Piano, wenn man es wünscht und nur genügend bezahlen will; denn begreiflich ist der Miethpreis einer solchen Barke mit Allem, was dazu gehört, kein geringer. Auf dem erhöhten Hinterdeck stehen unter einem schützenden Sonnenzelte Divane, Sessel und Tische, und die Reisenden können im angenehmsten dolce far niente (oder im Keff, wie man auf arabisch das „süße Nichtsthun“ benennt) das wunderbare Nilpanorama an sich vorüberziehen lassen. Jetzt freilich mag es anders auf dem Nil aussehen, und die „Ingilis“, d. h. die Engländer, die dort früher immer sehr willkommen waren, weil sie die reichlichsten Trinkgelder gaben und die nachgemachten „Antiquitäten“ am besten bezahlten, dürfen sich dort nicht sehen lassen. Vielleicht werden sie bald als Herren den schönen Strom auf- und abfahren, aber mancher Tropfen Nilwasser wird bis dahin wohl noch unter der großen Nilbrücke bei Kairo hindurchfließen.

Uebrigens bedarf man gar keiner langen und kostspieligen Nilfahrt, wenn man die Wunder des Pharaonenlandes sehen will, denn die Stadt Kairo ist so günstig gelegen, daß sich die großartigsten jener Wunder ganz in ihrer Nähe befinden und auf bequemen Ausflügen zu erreichen sind, nämlich die Pyramiden von Gizeh, die höchsten und berühmtesten von allen ägyptischen Pyramiden, mit der Sphinx, und weiterhin das Trümmerfeld von Memphis mit den Apisgräbern und den Felsentempeln. Diese Ausflüge sind, nach Ansicht der meisten Reisenden, die schönsten und interessantesten Touren, die man überhaupt in Aegypten machen kann; man nimmt sogar aus dem Hotel ein gutes Frühstück mit und tafelt mitten in der Wüste auf irgend einem Grabsteine, dessen Hieroglyphen den Ruhm des großen Ramses (Sesostris) verkünden, der vor mehr als dreitausend Jahren hier regierte und dessen Reich sich über den ganzen Osten bis an den Tigris erstreckte.

Die schönste und größte Oase der Libyschen Wüste, das Fajuhm, liegt gleichfalls nur wenige Meilen südwestlich von Kairo, aber schon immer entfernt genug, um Gelegenheit zu einem Dromedarritte und zu einem Nachtlager unter Zelten, nach Art der Beduinen zu bieten. Keine andere Oase Aegyptens überrascht so sehr durch die Fülle und Pracht ihrer Vegetation wie diese. Die herrlichsten Rosen und die köstlichsten Trauben und Feigen kommen von dort; die Palmenhaine und Baumwollenfelder wetteifern mit den reichsten des Delta's, und wenn im Februar und März, den eigentlichen Frühlingsmonaten Aegyptens, die Orangen- und Granatbäume in voller Blüthe stehen, dann entfaltet sich dort der ganze Zauber einer tropischen Landschaft. Von hohem geschichtlichem Interesse ist ferner das Fajuhm durch den Mörissee und das Labyrinth, welches letztere sogar von den Alten bekanntlich zu den sieben Weltwundern gezählt wurde. Von dem Labyrinthe, wie es Herodot beschrieben, mit seinen 1500 Zimmern und Sälen über und ebenso vielen unter der Erde sind jetzt nur noch die Trümmer der Mauern und Gänge zu sehen, und auch der über drei Quadratmeilen große Mörissee ist längst ausgetrocknet und die hohe Pyramide in seiner Mitte zusammengefallen, aber man erkennt doch noch an einzelnen Dämmen die Ufer dieses ungeheueren künstlichen Beckens, das zur Pharaonenzeit bei den Nilüberschwemmungen als Reservoir diente, um von da die Wassermassen durch Schleusenwerke auf die höher gelegenen und von der Fluth nicht erreichten Felder zu leiten – also gewissermaßen auch eine Art von Nilbarrage, wie die obenerwähnte, nur daß zwischen beiden ein Zeitraum von ungefähr dreißig Jahrhunderten liegt.

Zu den weiteren Sehenswürdigkeiten in der Nähe von Kairo gehört auch Heliopolis mit dem Marienbaum und dem Obelisken. Die „Sonnenstadt“ selbst, das On der Bibel, ist mit seinen Tempeln, Palästen und Säulenhallen, unter denen der größte Denker und Weise des Alterthums, Plato, gewandelt, um sich bei den Sonnenpriestern Aufschluß über die Unsterblichkeit der Seele zu holen, längst bis auf die letzte Spur vom Erdboden verschwunden; nur ein einziger Obelisk steht noch aufrecht da, wenn auch einige zwanzig Fuß tief im Sande, aber die scharfgemeißelten Figuren und Bilder seiner spiegelblanken granitnen Flächen erzählen dem Kundigen viel von der ehemaligen Herrlichkeit. Zwei seiner steinernen Brüder wurden unter den Ptolemäern nach Alexandria geschafft; man nannte sie später „die Nadeln der Cleopatra“, und beide haben in jüngster Zeit die Reise über das Weltmeer angetreten, die eine nach London, wo er im Nebel der Themsequais paradirt, der andere nach New-York, wo er vor seiner Aufrichtung wochenlang in den Docks zwischen Petroleumfässern lagern mußte - hier wie dort eine klägliche Profanation für einen „versteinerten Sonnenstrahl“, wie die alten Aegypter diese Steinriesen nannten. Was den Marienbaum betrifft, so soll nach der Legende die heilige Familie auf ihrer Flucht nach Aegypten unter ihm geruht haben. Die prächtige, jedenfalls vielhundertjährige Sykomore gehört übrigens der Exkaiserin Eugenie, welche sie bei ihrem Besuche im Jahre 1869 vom Exkhedive zum Geschenk erhielt. Beide, der Geber wie die Beschenkte, leben entthront im Exil, aber der Baum grünt unbesorgt weiter und hat sogar damals von seiner Besitzerin, natürlich auf vicekönigliche Kosten, ein hübsches Gitter bekommen, sodaß seine unteren Zweige jetzt nicht mehr so kahl gerupft werden wie früher, wo man, so weit man nur hinanreichen konnte, ihm auch nicht ein einziges Blättchen ließ. Nicht weit davon liegt das Lustschloß Kubeh, der ehemalige Lieblingsaufenthalt des jetzigen Khedives, der dort vielleicht manchmal von seiner dereinstigen Erhöhung träumte, sich aber gewiß seinen Thron nicht von so vielen Schrecknissen und blutigen Kämpfen umgeben dachte, wie sie ihm das Schicksal schon nach so kurzer Regierung gebracht hat. Er mag sich jetzt wohl oft nach den schönen, friedlichen Orangenalleen seines Gartens zurücksehnen, wo er den zuvorkommenden Wirth machte und nach orientalischer Sitte keinen Gast ohne einen Blumenstrauß entließ.

Kairo hat auch einen Corso, die sogenannte Schubra-Allee, die man, allerdings en miniature, nicht unpassend mit den Elyseischen Feldern von Paris oder dem Hydepark in London vergleichen kann. Die vornehme und schöne Welt – die Halbwelt müssen wir durchaus hinzusetzen; denn in der Wintersaison war Kairo seit den letzten zwanzig Jahren immer das beliebteste Rendezvous der Wiener und mehr noch der Pariser demi-monde – fährt und reitet dort in den Nachmittags- und Abendstunden spazieren, und namentlich sind es die Haremscarossen der reichen Paschas mit ihrem verbotenen, aber nur leichtverschleierten Inhalt, welche die Blicke der Europäer auf sich ziehen.

Am Ende der Allee liegt das Schloß Schubra, wo Mohammed Ali seine letzten Lebensjahre in dumpfem Hinbrüten verbrachte und wo er auch am 2. August 1849 in völliger Geisteszerrüttung starb. Er selbst verglich sich in lichten Augenblicken mit einem Löwen, dem man die Zähne und Krallen ausgebrochen und dann in einen Käfig gesperrt hatte, und sein Gespenst in schlaflosen Nächten war die europäische Diplomatie. Seitdem ist dieselbe in gar mancher Beziehung fast zu einer figura comica geworden; man denke z. B. nur an die in Stambul tagende Conferenz und als Gegensatz dazu an das Auftreten der Engländer in Aegypten! Wem fällt dabei nicht unwillkürlich das Lied aus den „Fliegenden Blättern“ ein mit dem lustigen Refrain:

„Die Diplomaten … aten,
Thun ewiglich berathen
Und kommen doch zu nichts.“

Das schöne Schloß ist jetzt unbewohnt und wird so vernachlässigt, daß es seinem gänzlichen Ruin entgegengeht. Der Exkhedive zeigte hier wenig Pietät für den Großvater, der seinem jüngsten Sohne Halim das Besitzthum vermacht hatte, demselben

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1882). Leipzig: Ernst Keil, 1882, Seite 643. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1882)_643.jpg&oldid=- (Version vom 4.8.2020)