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Verschiedene: Die Gartenlaube (1882)

das im Jahre 1851 errichtete Kreuz als dringend reparaturbedürftig herabgenommen, um es, frisch vergoldet, auf der einige Meter höheren Ostspitze am 25. August, dem Namens- und Geburtsfeste unseres Königs, wieder aufzustellen.“

Was der wackere Wirth des Gasthauses „Schäfter“ seinen Gästen noch sonst an interessanten Daten zur Geschichte des Zugspitzkreuzes erzählte, das und einiges Andere dürfte heute, nach der soeben vollbrachten Uebertragung des Kreuzes auf seinen neuen Standort auch dem großen Leserkreise der „Gartenlaube“ nicht uninteressant sein, und da ist denn zuerst zu bemerken, daß es Ott, der frühere Pfarrer und Observator auf dem Hohen Peissenberg (Baierns Rigi), war, welcher zuerst den Entschluß faßte, dem König der deutschen Bergwelt zu einem Schmucke zu verhelfen, wie ihn andere, minder ebenbürtige Berggipfel bereits trugen. Man hatte schon längst, bevor Ott diese Anregung gab, die Zugspitze zu besteigen gewagt. Der Erste, der dies unternahm, war der damalige Lieutenant im königlichen topographischen Bureau, Josef Naus, welcher als Generalmajor im Jahre 1871 starb. Es war am 26. August 1820, als er das kühne Unternehmen in Begleitung seines Bedienten und unter Führung eines gewissen Johann Georg Deusch’l von Partenkirchen unternahm.

Leider verbietet uns der Mangel an Raum, hier einen Auszug aus dem höchst interessanten Tagebuche dieser ersten Besteigung zu bringen. Ihr folgten rasch andere: 1823 wurde der Ostgipfel durch Simon Resch von Partenkirchen, 1835 und 1838 durch Feuerstein (von Ehrwald aus durch’s Schneekahr), 1849 und 1850 durch den sogenannten Zugspitzjackel, den Knecht des Pfarrer Ott, bestiegen; der Letztgenannte übernachtete auch zwei Mal auf der Spitze und pflanzte für seinen Herrn eine junge Tanne dort auf, um so die Stelle einstweilen zu bezeichnen, wo das Krenz zu stehen kommen sollte.

Letzteres zu beschaffen, eröffnete Pfarrer Ott eine öffentliche Subscription, welche in kurzer Zeit die Summe von 600 Gulden zusammenbrachte. So konnte denn Meister Kiesel in Schongau nach einer vom königlichen Bergmeister Hailer in Berchtesgaden gefertigten Zeichnung die Ausführung des Kreuzes übernehmen, welches eine Höhe von vierzehn Fuß erhielt und ganz aus Eisen gearbeitet war; die einzelnen Theile desselben wurden durch platirte Röhren verdeckt, und das eigentliche mit Strahlen geschmückte Kreuz ruhte auf einer zwei Fuß im Durchmesser haltenden, kupfernen, gut vergoldeten Kugel, in der auch die Urkunde aufbewahrt wurde. Das Ganze war, des leichteren Transportes halber, in achtundzwanzig Theile zerlegbar und wog über drei Centner.

Wer von Partenkirchen durch die großartige, wildromantische Partnachklamm, welche die Gletscherwasser des großen Schneeferner in wildem Toben durchströmen, circa eine Stunde aufsteigt, gelangt zu einigen alten, malerischen Bauernhäusern und dem Forsthause Vorder-Graseck. Daselbst hauste volle dreißig Jahre, von 1838 bis 1868, der königliche Forstwart Kiendel, eine urkräftige, biedere Jägererscheinung, wie solche heutzutage leider immer seltener werden.

Kiendel war es, welcher unter unsäglichen Mühen und großen Gefahren die seither für unersteiglich gehaltene Dreithorspitze bestieg. Eine dreißigjährige Dienstzeit verschaffte ihm die genaueste Kenntniß seines schwierigen Reviers, wozu auch die Zugspitze gehörte, und so war es die geeignetste Wahl, die man treffen konnte, als man ihn zum Führer der Expedition ernannte, welche damit betraut war, das auf 19 Traglasten vertheilte Kreuz auf dem höchsten Gipfel des deutschen Reiches auszurichten.

Am 11. August 1851 brach man von Partenkirchen auf. Durch die Partnachklamm gelangte man um 11 Uhr beim Rainthaler Bauern an, einem in erhabenster Bergeinsamkeit gelegenen Hof, jetzt Besitzthum und Sommerfrische des Hofpredigers Stöcker, der während seines dortigen Aufenthaltes einige Male in dem vielbesuchten schon den Römern bekannten Kainzenbad zu predigen pflegt. An der Partnach entlang kam man zur „Blauen Gumpe“ und zur Dämmerungszeit an die Angerhütte, den Aufenthalt des Ziegenhirten, wo man Nachtrast hielt. Spät in der Nacht – um dies nebenbei zu bemerken – traf hier zur Gesellschaft noch der erst Abend 8 Uhr von Farchant (1 Stunde vor Partenkirchen) aufgebrochene fünfundzwanzigjährige Forstgehülfe Bauer, nachdem er den ganzen Tag hindurch sein Revier begangen und einen Gemsbock nach Hause gebracht – eine Riesenleistung!

Einen malerischen Anblick gewährte der um 2½ Uhr Morgens beim Scheine der Kienfackeln erfolgende Aufbruch. Der Weg wurde nun beschwerlicher. Mit Tagesanbruch erstieg man das sogenannte Platt, ein mit mächtigem Geröll überschüttetes, zum Plattadner Ferner aufsteigendes Trümmerfeld, und als die ersten Sonnenstrahlen die nun sichtbar werdende Zugspitze golden gegen den tiefblauen Himmel abgrenzten, erreichte man den Schneeferner, gegen 2600 Meter über dem Meere.

Hier in der dünnen, schneidend kalten Luft war alles Leben erstorben; nichts regte sich – nur in den hier und da den Gletscher durchkreuzenden Rissen hörte man tief unten das Eiswasser rauschen, welches dann später als Partnachfall so malerisch zu Tage tritt. Ohne sonderliche Mühe überschritt man den Ferner, um dann um so mühsamer die Sandreißen und das Geglätt zu überwinden, wo die abrollenden schweren Steine den Nachsteigenden öfters Gefahr drohten. Nachdem noch ein steiler, von einigen Felsen überragter Schneehang passirt, erreichte man endlich den Grat oder das Joch, unter dessen zerfressenem Kamm tief unten das Höllenthal in dunkler Nacht heraufgähnte. Das Ziel lag den kühnen Wanderern vor Augen, und – bewunderungswürdig genug! – der damals schon über 24 Stunden in den Bergen herumsteigende Jäger Bauer war der Erste, der mit seinem Stutzen, den treuen Hund zur Seite, den Zugspitzgipfel erreichte.

Nach 9 Uhr Morgens war die ganze Gesellschaft auf der Spitze versammelt, aber leider hatten die mittlerweile aufgestiegenen Nebel die Fernsicht arg beeinträchtigt und wogten, einem Meere gleich, auf und nieder, während über dem Gipfel der Himmel blaute. Nach kurzer Rast schritt man zur Festigung des Kreuzes, zu welchem Zwecke das sehr beschränkte, aus losem Geröll bestehende Terrain erst auf circa 2 Fuß Tiefe abgeräumt werden mußte. Ein mit großer Mühe 15 Zoll tief in den harten Stein gebohrtes Loch nahm das 29 Pfund schwere, 2 Zoll dicke untere Kreuzstangentheil auf, und nun wurden die übrigen Theile mit Seilen hinaufgezogen und befestigt, d. h. vernietet. Ein schauerlicher Anblick war es, als 3 Männer unter größter Lebensgefahr auf den äußersten, kaum 2 Fuß breiten Zinnen des von 2600 Meter tiefen Abgründen umgähnten Gipfels mit todesverachtendem Muthe das Kreuz endlich zum Stehen brachten.

Unter mancherlei Gefahren wurde alsdann, nach glücklich vollbrachtem Werke, der Abstieg begonnen; die Gesellschaft brachte wiederum in der Angerhütte die Nacht zu, um anderen Tages in Partenkirchen jubelnd empfangen zu werden. Einer aber aus der Mitte der tapferen Bergsteiger wählte sich einen besonderen Abstieg – der schon mehrmals erwähnte Jäger Bauer. Er hatte bereits um 12 Uhr die Spitze verlassen, um auf der noch ungekannten Westseite auf kürzerem, völlig ungebahntem Wege zum Loitaschthale abzusteigen – ein wahrhaft wagehalsiges Unternehmen; denn an der Nord- und Westseite der Zugspitze erheben sich die Wände viel steiler und kahler, oft senkrecht, nur von furchtbaren Klüften und Schneefeldern unterbrochen. Kein Mensch, keine Gemse, ja kein Wirbelthier hat es bis jetzt gewagt, diese von ewiger Vernichtung umstarrten, höchstens vom Steinadler umkreisten Räume zu betreten. Aber alles dies schreckte den kühnen Gemsjäger, den seine Genossen mit Zagen und Zittern scheiden sahen, von seinem Wagnisse nicht ab. Unerschrocken machte er sich auf den Weg, nur von einem Genossen begleitet, von seinem treuen Gebirgsdachs, den er noch dazu tragen mußte; denn der arme Hund hatte sich auf der achtundzwanzigstündigen Wanderung über scharfes Gestein die Füße wund gelaufen, sodaß ihn sein Herr nur im Rucksack transportiren konnte.

Anfangs ging für den geübten Steiger der Abstieg, wenn auch langsam, so doch sicher von Statten; Bauer passirte mit Geschick loses Gestein, kahle, schlüpferige Platten und Schneereste, bis er sich auf einmal am Rand einer schiefen glatten Steinplatte befand, welche nach allen Seiten ein fürchterlicher Abgrund umgähnte, der selbst dem an solche Bilder gewöhnten Jäger Grausen und Entsetzen einflößte. Es war eine fürchterliche Lage, in der er sich befand: Ueber ihm steile Felswände, einige tausend Fuß hoch, unter ihm der Abgrund – was blieb dem zum Tode Erschrockenen übrig, als entweder umzukehren oder den verzweifelten Sprung in’s Schneekahr zu wagen? Entsetzliche Alternative! Ersteres zu vollbringen reichten nach mehr als dreißigstündigem Marsch seine Kräfte nicht mehr aus. Ein kurzes Ueberlegen! Rasch entschloß sich Bauer zum Sprung in die Tiefe des Kahrs. Der Hund mußte zuerst die Probe bestehen; die Angst und der Trieb der

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1882). Leipzig: Ernst Keil, 1882, Seite 659. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1882)_659.jpg&oldid=- (Version vom 10.5.2023)