Seite:Die Gartenlaube (1882) 673.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1882)


No. 41.   1882.
Die Gartenlaube.

Illustrirtes Familienblatt. – Begründet von Ernst Keil 1853

Wöchentlich bis 2 Bogen.    Vierteljährlich 1 Mark 60 Pfennig – In Heften à 50 Pfennig.



Spätsommer.

Novelle von C. von Sydow
Fortsetzung.


Arndt hatte sich endlich in eine Ecke der kleinen Holzbank geworfen, welche an den Wänden der Hütte entlang lief und fiel jetzt ohne Widerstand seinen stürmischen Gedanken anheim. Er sagte sich, daß er seit Kurzem an einem Wendepunkte seines Lebens stehe; denn veränderte Familienverhältnisse hatten die bisherigen Lasten von ihm genommen, und er warf die Frage auf, ob es ihm noch möglich sein würde, die Ideale seiner Jugend zu verwirklichen.

„Ach!“ seufzte er leise vor sich hin, „Freiheit ohne Jugend ist doch wie ein edles Gefäß, dem der köstliche Inhalt mangelt.“

Leidenschaftlich bewegt hob er den intelligenten Kopf. Hatte er denn noch die Kraft, den Staub des Lebens von sich zu schütteln, noch den Schwung der Phantasie, etwas nennenswerth Neues und Großes zu leisten? Sollte er mit den Besten seiner Berufsgenossen in die Schranken treten, um – wie es nun einmal das Loos des Architekten ist – mit dem sprödesten Material die erhabensten Empfindungen und die feinst gegliederten Gedanken zu offenbaren? Sollte er noch jetzt versuchen, sich einen Namen zu machen und die innerste Befriedigung seines Lebens zu erringen?

Diese Reise hatte ihn zur Gewißheit über sich selbst bringen, ihm gleichsam eine Zwischenstation des Lebens sein sollen, auf welcher er sich vom Gerassel der Welt erholen und auf seine eigensten Angelegenheiten besinnen wollte. Der Anfang war kein ermuthigender – abscheuliches Wetter das!

Er stand ungeduldig auf und trat zum zweiten Mal an die Oeffnung; vielleicht versprach der Himmel, sich aufzuklären, und gestattete ihm, weiter zu gehen. Im körperlichen Ausschreiten war ihm schon oft Muth in die Seele gekommen, und Entschlüsse, deren schwankende Umrisse sein Gemüth in dumpfer Enge fruchtlos hin und her geschoben hatte, pflegten sich ihm unter freiem Himmel wie von selbst zu formen.

Aber noch hatte sich das Bild da draußen um keinen Schatten verändert: unaufhörlich strömte der Regen, und grau in grau dehnte sich die Landschaft bis an den enggesteckten Horizont. Er preßte die klopfende Schläfe gegen den Rand der Luke. Erst nach geraumer Zeit sprang plötzlich der Wind um, peitschte flüchtig gegen die schlaffe Oberfläche des Meeres und fuhr wie unmuthig über den dunklen Himmel, dessen Wolken er mit unstätem Athem aus einander trieb, sodaß die Gewalt des Regens nachließ und endlich nur noch einzelne große Tropfen laut und hart auf das Dach der Hütte niederfielen.

Arndt horchte erregt auf das einförmige Geräusch; ihm ward zu Muthe, als durchbohrten jene Tropfen die Decke über seinem Haupte, als fielen sie eiskalt und unaufhörlich in seine Seele; unwillkürlich knüpfte er daran eine sonderbare Reflexion: diese beharrlich fallenden eisigen Tropfen erschienen ihm wie die kleinen und darum desto empörenderen Leiden eines nüchternen, unliebsamen Geschäftslebens, unter dem er lange genug gelitten.

Er biß die Zähne zusammen und lächelte spöttisch.

„Wen der Satan nicht im Gewühl der Welt packen kann, den faßt er in der Phantasie! Ich werde hier noch zum sündlichen Träumer,“ murmelte er, blieb trotzdem unbeweglich an der kleinen Luke stehen, aber mit kräftigem Willen bannte er allen Mißmuth und Kleinmuth aus dem Gemüthe.

Aufmerksam verfolgte sein Blick, wie die frische Ostbrise immer neckischer über die graue See zog und das Wasser zu tausend und aber tausend flüchtig schäumenden Wellchen aufwiegelte. Plötzlich entlockte ihm ein anmuthiges Zukunftsbild ein flüchtiges Lächeln, um ihn gleich darauf von Neuem in ernstes Nachdenken und – mehr als das – in ein ihm sonst völlig fremdes Ueberlegen zu werfen: sei es nun, wie es sei; mochte er nun im Stande sein, in neue Bahnen seines Berufes einzulenken oder nicht, warum sollte er nicht seine reifen Mannestage durch den herzerfreuenden Zauber eines holden Frauenlächelns verschönen?

Er hatte in seinem Leben ja viele und mancherlei Frauen gesehen. Die Hübschen waren oft dumm und eitel, die Klugen meist häßlich und hoffärtig gewesen, und zwischen ihm und den Besten hatte gar zu häufig von vornherein jene Scheidewand der „Verhältnisse“ gestanden, über welche wohl ein leicht beschwingter Traum hinfliegen mag, an der aber alle weiteren Erwägungen abprallen.

Nun war er vor Kurzem einer jungen Dame begegnet, mit welcher eine Verbindung für’s Leben ebenso vernünftig gewesen wäre, wie sie ihm angenehm und schön erschien. Erna Lepel war wohlhabend, heiter, witzig, voll anziehender Freundlichkeit und natürlichen Wesens. Sie hatte ein hübsches Zeichen- und Maltalent, zu dessen Ausbildung sie in die Residenz gekommen war und das auch ihn gelegentlich sehr interessirt hatte. – In ihrem gemeinsamen Bekanntenkreise war er nicht der einzige Mann, welchem sie gefiel, aber er glaubte bemerkt zu haben, daß die hübsche junge Dame von vornherein nur ihn auszeichnete.

Dennoch wunderte er sich heute früh, daß er, der kaum Freigewordene, überhaupt an eine dauernde Verbindung, gleichviel welcher Art, denken mochte: vielleicht liebte er das Mädchen

wirklich – oder beruhten seine Wünsche auf einer mehr allgemeinen,

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1882). Leipzig: Ernst Keil, 1882, Seite 673. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1882)_673.jpg&oldid=- (Version vom 11.9.2022)