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Verschiedene: Die Gartenlaube (1882)

Despoten Mittelitaliens auf ihre Thrönlein zurückzuführen versprach und alle diese widerhaarigen Elemente mit dem widerhaarigsten, dem um Mailand vergrößerten konstitutionellen Piemont, in eine italische Konföderation zusammenbinden wollte. Ein absurder Gedanke, der lächerlich gewesen sein würde, falls er nicht zu dumm war, um komisch sein zu können! Der Aushecker dieser Absurdität wähnte damit drei Fliegen mit einem Schlage getroffen zu haben: Er glaubte erstens, mittels Schaffung dieser Mißgeburt von einem geeinten Italien sich vor der Wiederholung einer Orsini’schen Bombenmahnung gesichert zu haben. Er glaubte zweitens, den Papst und somit auch die französische Klerisei auf’s neue und fest sich verpflichtet zu haben. Er glaubte drittens, der Selbstsucht Frankreichs eine wirksame Schmeichelei dargebracht zu haben, indem er Italien so zerrissen und ohnmächtig ließ, wie es vorher gewesen. Man weiß ja, daß es von jeher das Dogma aller französischen Parteien war und bis zur Stunde blieb, Frankreich müsse schlechterdings ein zerstückeltes und machtloses Deutschland und ein zerrissenes und ohnmächtiges Italien zur Seite haben, um sich in aller Bequemlichkeit als „la grande nation“ aufspielen zu können.

Nun aber geschah wieder einmal etwas in der Welt, was den Beweis erbrachte, daß der Gedanke doch mächtiger sei als die materielle Gewalt, die Begeisterung weiser als die List und die Kraft des von einem großen Wollen und Wagen erfüllten Gemüthes stärker als alle Fädengespinnste und Maschenknüpfungen der Diplomatie. Ein Realpolitiker würde nie zu denken gewagt haben, was der Idealpolitiker Garibaldi im Jahre 1860 kurzweg that, indem er nach Sicilien jene „Tausend von Marsala“ führte, die in ihrer Art ein nicht minder ehrenvolles Gedächtniß in der Geschichte für immer sich gestiftet haben als vordem die dreihundert Spartiaten des Leonidas.

Grollend über die Abmachungen von Plombières, wo Cavour Savoien und Nizza an den Kaiser der Franzosen verschachert hatte, um dessen Beistand gegen Oestreich zu erlangen, war Garibaldi aus dem turiner Parlament weggegangen. Er war dort überhaupt nicht an seinem Platze gewesen. Männer der That scheinen ja überhaupt nicht an ihrem Platze zu sein in diesen Versammlungen, welche namentlich während des letzten Jahrzehnts, als wären sie mit Blindheit geschlagen, leider so eifrig daran gearbeitet haben, das Ansehen und die Geltung des Parlamentarismus in den Augen der Völker abzuschwächen oder ganz zu ruiniren.

Das Jahr 1882 hat Enthüllungen gebracht, die ein helles Licht werfen auf die eigenartigen und wohlthuenden Beziehungen zwischen Garibaldi und dem König Vittorio Emanuele, welchem Italien so großen Dank schuldet. Der König-Ehrenmann („il rè galantuomo“), wie ihn Garibaldi zu nennen pflegte, hatte in seinem Wesen manche Aehnlichkeit mit diesem. Vor allen die, daß auch ihm Italien über alles ging. Nur kleine Seelen konnten die Meinung verlautbaren, der König sei durch eine kleinlich-ehrsüchtige Hauspolitik geleitet und getrieben worden. Er war vielmehr ein italischer Patriot, wie einen solchen Italien unter seinen Fürsten noch niemals gesehen hatte. Als zu Anfang des Jahres 1860 Garibaldi von dem Cavour’schen Schachergeschäft zu Plombières erfuhr, schrieb er am 17. Januar aus Fino nach Turin an den Oberst Türr: „Haben Sie die Güte, Seine Majestät zu fragen, ob die Abtretung Nizza’s an Frankreich eine beschlossene Sache sei! Diese Frage wird von meinen Mitbürgern“ – (Garibaldi war bekanntlich 1807 in Nizza geboren) – „in dringender Weise an mich gerichtet: Antworten Sie sofort durch den Telegraphen! Ja oder Nein!“ Türr begab sich in’s Schloß und suchte eine Audienz nach. Der König, unbässlich, empfing ihn im Bette liegend, mit aufgekrämpelten Hemdsärmeln. Er ließ sich den Brief Garibaldi’s geben, las denselben und sagte, die scharfen Augen auf Türr geheftet: „Durch den Telegraphen? Ja oder Nein? Sehr gut!“ Dann nach einer kurzen Pause: „Nun denn, Ja! Aber sagen Sie dem General: Nicht allein Nizza, sondern auch Savoien! Und wenn ich mich entschlossen habe, die Heimat meiner Ahnen, den Stammsitz meines Geschlechtes dahinzugeben, so wird er sich wohl bequemen können, den Ort zu verlieren, wo er geboren ist.“ Endlich, nach einer abermaligen Pause, sagte der König noch in schmerzbewegtem Ton: „Ja, es ist ein grausames Geschick, daß ich und er für Italien das größte Opfer bringen müssen, welches man von uns verlangen kann.“ Italien hat bekanntlich seit 1850 viel Glück, außerordentlich viel Glück gehabt: sein größtes aber war, daß es zu gleicher Zeit einen Garibaldi, einen Cavour und einen Viktor Emanuel besaß.

Die unmittelbaren Folgen des Friedens von Zürich zeigten die angebliche Staatskunst Napoleons des Dritten in ihrer ganzen Nichtigkeit auf. Es folgte dann der frevelhafte Schwindel des mexikanischen Abenteuers, den Anfang vom Ende der pseudobonaparte’schen Herrlichkeit zu markiren. Die Zustände in Italien waren unleidlich. Die Bestimmungen des züricher Friedens flatterten als werthlose Papierfetzen im Winde. Von dem Spottgebilde eines italischen Staatenbundes keine Rede! Die Bevölkerungen von Mittelitalien fielen mittels feierlicher Volksbeschlüsse dem König Viktor Emanuel zu, und die von Unteritalien und Sicilien lechzten nach Erlösung aus bourbonischer Pein. Die im Vatikan arbeitende Flüchespritze goß aber nur Oel in das Feuer nationaler Begeisterung. Dieses Feuer im Geheimen zu schüren, war der im Januar 1860 nach kurzer Unterbrechung wieder an’s piemontesische Staatsruder zurückgekehrte Cavour eifrig bemüht. Zugleich wusste der große Minister dem Despoten in den Tuilerien, welcher Italien noch immer unter seiner Hand zu haben wähnte, ein Beschwichtigungsgaukelspiel von vollendeter Meisterschaft vorzumachen. Der Sohn der Hortense Beauharnais, welchen in den Tagen seiner Macht so viele feile Zungen und Federn für ein politisches Genie ausgegeben haben, war dazumal gerade so der Narr Cavours, wie er etliche Jahre später der Narr Bismarcks gewesen ist.

Aber alle diplomatische Kunst hätte doch nicht ausgereicht, der auf’s Höchste gespannten Lage eine entschiedene und entscheidende Wendung zu geben. Es war wieder einmal ein Draufgänger und Durchfahrer vonnöthen, ein Knotenzerhauer, und der kam im April von 1860 von seiner Ziegeninsel nach der Villa Spinola unweit von Genua herüber. Diese Villa wurde das Hauptquartier zur Rüstung des Unternehmens, im Verlaufe dessen der Stern Garibaldi’s zu seiner Zenithhöhe hinanstieg. Hier sammelten sich um den General alle die aus früheren Kämpfen mit dem Leben davongekommenen Führer der Rothhemden, die Bertani, Stocco, Bixio, La Masa, Cairoli, Crispi und andere manche. Es kam auch der Ungar Türr, etwas später der Deutsche Rüstow. Die Mannschaften eilten in kleinen Trupps, um Aufsehen zu vermeiden, herbei, viele der besten Männer und Jünglinge Ober- und Mittelitaliens, fast lauter gediente und erprobte „Bersaglieri“, und bald war das „Tausend“ voll. Nach Sicilien sollte die kühne Kriegsfahrt gehen. Dort sollte der Hebel angesetzt werden zum Sturze des Bourbonenthrons in Neapel, zur Vernichtung der Priesterherrschaft in[WS 1] Rom, zur vollen Lösung der italischen Einheitsfrage, zur endlichen Verwirklichung der stolzen Losung von 1848: „Italia farà da se.“

Es steht fest, daß Garibaldi sein kühnes Wagniß hätte weder vorbereiten noch durchführen können, so die turiner Regierung dasselbe nicht stillschweigend gebilligt und so der italische „Nationalverein“, also die konstitutionell-monarchische Partei, das Unternehmen nicht ausgiebig unterstützt hätte – selbstverständlich in der Meinung und Absicht, daß die Sache zum Vortheile der Monarchie ausschlagen sollte und müsste. Cavour wusste demnach um alles. Die ihm zugetheilte Rolle in diesem neuen Aufzug des Drama’s der italischen Bewegung war sicherlich eine ungeheuer schwierige. Er sollte den anerkannten Bannerherrn des italischen Republikanismus in einem Unternehmen, das hochroth den republikanischen Stämpel trug, gewähren lassen, ja sogar unter der Hand fördern. Zugleich aber sollte er sich fertigmachen, im gegebenen Augenblick mit überlegener Macht einzugreifen, um die von Garibaldi erlangten Erfolge zum Vortheil der Monarchie auszubeuten und überhaupt der ganzen Sache eine nationale zwar, aber auch entschieden monarchisch-dynastische Wendung zu geben. Endlich musste er gleichzeitig den ganzen Apparat diplomatischer Kniffe und Pfiffe, worüber er verfügte, in Anwendung bringen, um den Argwohn des Verbrechers vom 2. December einzulullen, wenigstens soweit, daß Frankreich von einer thatsächlichen Einmischung in den Gang der Dinge auf der apenninischen Halbinsel abgehalten werden könnte. Erfolganbeter haben natürlich den Minister um dieses Doppel- oder Tripelspiels willen gepriesen, weil es eben Erfolg hatte. Altfränkische Menschen jedoch, welche des bescheidenen Dafürhaltens sind, daß es nicht nur im privatlichen, sondern auch im öffentlichen Leben etwas wie Moral geben sollte, werden es sehr

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1882). Leipzig: Ernst Keil, 1882, Seite 678. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1882)_678.jpg&oldid=- (Version vom 19.7.2023)