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Verschiedene: Die Gartenlaube (1882)

die verschiedensten Anbaumethoden der Zucker- und Runkelrübe berichten. Vieles davon dürfte dem größten Theil unserer Leser übrigens schon ebenso bekannt sein, wie das berühmte „Magdeburger Sauerkraut“, die Cichorie und die Zwiebeln der Börde.

Der Werth von Grund und Boden ist hier ein besonders hoher, und wer in der Magdeburger Börde 100 Morgen Acker – den Durchschnitt der Morgenzahl eines dortigen Bauerngutes – besitzt, ist seinem Vermögen nach kaum mehr das, was man anderswo unter einem Bauer versteht. Die Bördebauern wollen aber vielfach auch gar nicht Bauern oder Ackerleute sein; sie nennen sich: Ackergutsbesitzer. Ich habe mich stets an dem erstaunten Gesichte geweidet, das Fremde aufsteckten, wenn ich mit ihnen einem Bördebauern einen Besuch abstattete. „So wohnen hier zu Lande Bauern!?“ sprach’s da immer aus ihren verwunderten Mienen, und dabei sahen sie dann erstaunt um sich, wie ich es auch that, als ich – selbst Sohn eines Bauern, dessen Hof aber leider nicht in der Börde liegt – zum ersten Mal ein solches Bauernhaus betrat. Paläste, nicht Bauernhäuser sind das. Fehlt doch gar in mehreren nicht einmal ein großer Speisesaal. Es giebt Wohnhäuser auf Bauernhöfen, in denen Decorationsmaler fast ein Jahr lang an der Ausschmückung gearbeitet haben. Für ein Fach Fenster hat man das Paar Vorhänge mitunter mit 300 Mark bezahlt, und manches gräfliche Schloß hat in seinen Gemächern nicht so stattliche Möbel aufzuweisen, wie die Zimmer in diesen Bauernwohnungen, deren Fußböden mit dicken Teppichen belegt sind, über die man dann wohl noch kostspieligere Läufer gebreitet sieht.

Denkmal für die Gefallenen des Schill’schen Corps bei Dodendorf.
Nach der Natur aufgenommen von G. Sundblad.

Nun ist aber der Wohlstand oft genug der Tod eigenartiger und markiger Volkskraft, und so lichtet sich denn auch in der Magdeburger Börde mit dem zunehmenden Reichthume der Bewohner mehr und mehr der Stamm derber, biederer Bauern von altem Schrot und Korn. Die heranwachsende männliche Generation ist vielfach „wissenschaftlich“ gebildet, d. h. sie hat sich oftmals von höheren Schulen eine abgeknickte Quartanerbildung geholt, und die weibliche Jugend bezieht ihren Bildungsbedarf aus einer „Benehmigte“ (Pensionat, Anstalt, in der man lernt, sich zu benehmen) in Magdeburg oder Gnadau, wobei für Mägdelein wie Knäbelein gar oft die liebe Muttersprache, das Platt, gänzlich verloren geht.

Und wie mit der Sprache, so ist’s auch mit der Kleidung: auf den Straßen der Bördedörfer kann man die neuesten Moden und die theuersten Stoffe studiren, und dies um so besser, als das Auffassungsvermögen des Betrachtenden an dem sich überall aufdrängenden Contraste die beste Unterstützung findet.

Jeder Freund volksthümlichen Wesens muß mit uns tief beklagen, daß mit dem Zunehmen dieser Art von „Bildung“ unter der bördischen Landbevölkerung eigenartige Sitten und Gebräuche immer mehr schwinden. Nur eine einzige Volkssitte hat sich aus früherer Zeit ungeschwächt in die jetzige hinein gerettet, und auch sie hat gewiß diese Rettung allein ihrem realen Untergrund zu danken. Bei „Schlachtefesten“ oder bei wirklichen Festen schickt man nämlich seinen Nachbarn und Bekannten, Freunden und Verwandten die „Kenzelië“ in’s Haus – ein Geschenk vom geschlachteten Stück Vieh oder vom frischen Festkuchen.

Hünengrab bei dem Dorfe Borne.
Nach der Natur aufgenommen von G. Sundblad.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1882). Leipzig: Ernst Keil, 1882, Seite 681. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1882)_681.jpg&oldid=- (Version vom 22.7.2023)