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Verschiedene: Die Gartenlaube (1882)

zu dem Aeltesten gehören, was in Deutschland an Alterthümern bis jetzt bekannt geworden ist: Messer, Sägen, Schaber, Bohrer, Polirer aus Feuerstein, sämmtlich nur geschlagen, nicht geschliffen, sämmtlich Spuren des Gebrauchs tragend, befinden sich darunter. Das Magdeburger Provinzialmuseum und das Museum in Quedlinburg weisen eine Anzahl dieser alten Geräthe aus den Sanddünen und Kiesgruben von Biere auf.[1]

Von historischem Interesse aus neuerer Zeit ist Dodendorf, eine Meile vor den Festungsmauern Magdeburgs.

„Bei Dodendorf färbten die Männer gut
Das fette Land mit französischem Blut;
Zweitausend zerhieben die Säbel blank,
Die übrigen machten die Beine lang –“

singt Ernst Moritz Arndt in seinem „Lied von Schill“. Die Gemeinde Dodendorf hat dem Andenken jener Tapfern, die in der Schlucht des Hohlweges vor dem Dorfe den Heldentod fanden, ein schmuckloses Kreuz gestiftet, das auf der Vorderseite seines Sockels die Inschrift: „Dem Gedächtnisse der am 5. Mai 1809 hier gefallenen und in Gott ruhenden 21 Preußen vom Schill’schen Corps“ trägt, während auf der Rückseite zu lesen ist: „Gewidmet von der Gemeinde Dodendorf am 5. Mai 1859“ (vergl. unsere Abbildung S. 681).

Zum Schluß noch ein Wort über die Thierwelt der Börde! Hier muß vor Allem des Hamsters gedacht werden, welcher in den Getreidefeldern nicht geringen Schaden anrichtet. In einem Hamsterbau, der bis zu zwei Fuß Tiefe in der Erde mit mehreren Kammern ausgeschichtet ist, findet man mitunter einen ganzen Scheffel Gerste, Hafer oder Weizen, welches das gegen ¾ Pfund schwere Thierchen in seinen Backentaschen in emsiger Thätigkeit für die ungastliche Jahreszeit eingeheimst hat. Roggen verschmäht der Felddieb. Unter diesen Umständen ist der Hamsterjäger eine wichtige Persönlichkeit in der Reihe der Angestellten der Zuckerfabrik-Oekonomien. Er beginnt seine Thätigkeit, sobald „der erste Frühlings-Donnerschlag den Hamster aus dem Winterschlafe geweckt hat“, und setzt dieselbe fort, bis der Winter mit Schnee und Eis Einzug gehalten. Wie mir ein Hamsterjäger berichtete, hatte er noch drei Tage nach dem letzten Neujahrsfeste sieben Hamster gefangen; er hatte an dem Tage, an dem ich ihn besuchte, 107 Hamster erlegt, und der Durchschnitt des täglichen Fanges betrug bei ihm 60 Stück. Das Fell dieser Nager wird, nachdem es vom Weißgerber bearbeitet, zu Tafeln von einem Schock Häute an einander genäht und dann auf der Leipziger Messe als weiß Gott was für russisches Pelzwerk in den Handel gebracht. In rohem Zustande variirt der Preis für das Schock zwischen zwei und zehn Mark.

Fast nicht minder zahlreich als der Hamster ist Meister Lampe in der Börde vertreten.[2] Wer nicht Gelegenheit gehabt, sich durch Augenschein zu überzeugen, wird es für „Jägerlatein“ erklären, wenn man ihm erzählt, daß man auf Breiten von etwa 50 Morgen mitunter 60, 70, 80 Hasen hüpfen und spielen sehen kann. Solcher Hasenreichthum veranlaßt denn auch den Kaiser Wilhelm, in Barby fast alljährlich einer Jagd anzuwohnen.

Einen eigenartigen Reiz hat es, in dieser hasenüberfüllten Gegend „auf den Anstand zu gehen“. Man gräbt sich ein halbmannstiefes Loch mit Sitzvorrichtung und setzt sich bei Eintritt der Dämmerung in demselben auf Stroh nieder. Nicht lange, und den verborgenen „unterirdischen“ Jäger umhüpfen auf allen Seiten Häslein im harmlosen Spiel; er streckt ein „Häselein“ nach dem andern auf’s Gras respective auf den Schnee nieder. Bei eingetretener Dunkelheit kann ein solcher Jägersmann – wenn’s Glück gut war – bis zu 10 Hasen erlegt haben.

Von befiedertem Wilde ist neben Rebhuhn und Wachtel besonders die Trappe zu nennen. Diese Thiere leben bekanntlich in Schaaren. Auf dem Eickendorfer Felde zählte ich einst 104, die bei einander saßen. Beim Niederlassen wählen sie sich gern ein freies, blaches Feld, von dem aus sie weithin Auslug halten können, und damit nicht ein unliebsamer Störer ihrem friedlichen Beisammensein ein Ende mache, stellen sie stets eine Wache aus. Harmlos lassen sie sich dicht bei Feldarbeitern nieder, und Fuhrwerke und Pfluggespanne stören sie nicht im mindesten. Sobald aber ein Jäger naht, erheben sie sich mit mächtig rauschendem Flügelschlage und setzen sich vor mindestens einer halben Stunde Weges nicht nieder. Des Jägers List übertrifft denn aber doch mitunter der Trappe Klugheit. Auf Wagen, die mit Ochsen bespannt sind, oder als Frauen verkleidet, mit einer Tragkiepe auf dem Rücken, oder gar – wie ich es einmal sah – in einem Gestell verborgen, das äußerlich einem Ochsen ähnelt, nahen die Schützen den schlauen Thieren. Es bildet stets ein Ereigniß im Jägerleben, einen glücklichen Treffer auf Trappen gethan zu haben; von Nah und Fern wird Kunde davon getragen, und mit Festessen und Weintoasten wird ein solcher Held gefeiert. Selbstverständlich fehlt dabei der Trappenbraten auf der Tafel nicht, und einmüthiglich haben mir stets alle Schmauser versichert, nichts in der Welt schmecke besser als so ein Trappenbraten. Ich habe das aber nie recht finden können; mir hat’s immer scheinen wollen, als ob ein Stück gebratenes Trappenfleisch ebenso gut schmecke, wie nicht gerade allzu zähes Rindfleisch. Habe ich Recht? Mit dieser offenen Frage – alle Fragen des Geschmacks sind bekanntlich offene – schließe ich meine Schilderung aus der Magdeburger Börde.

Nicht war es einer jener „verlornen Winkel“ in deutschen Landen, zu dessen Durchwanderung ich den Leser einlud, nein, ein Landstrich an befahrenster Verkehrsstraße war es, ein Landstrich, der allerdings nicht dazu beiträgt, Deutschlands landschaftliche Schönheit zu erhöhen, der aber Deutschlands Nationalwohlstand stetig mitgehoben hat und mitheben wird. Möge dieser Vorzug der Magdeburger Börde den Leser mit dem Gedanken aussöhnen, sich ein Stündchen auf recht einförmigen Gefilden bewegt zu haben!


Die Temperenzbewegung in der nordamerikanischen Union.

Es gehört zu den Eigenthümlichkeiten der sonst so praktischen Amerikaner, daß sie von Zeit zu Zeit an sensationellen Bestrebungen der widersinnigsten Art Geschmack finden und sich denselben mit einem Eifer hingeben, der einer bessern Sache würdig wäre. Zu diesen sich regelmäßig wiederholenden Sensationsgelüsten ist nun gegenwärtig die Temperenzbewegung zu rechnen, die seit einiger Zeit in verschiedenen Unionsstaaten Platz gegriffen hat und im öffentlichen Leben hochgehende Wogen aufwirft. Unter Temperenz verstehen aber jenseits des Oceans die Anhänger und Vertheidiger derselben nicht etwa blos ein vernunftgemäßes Maßhalten, also Mäßigkeit im gewöhnlichen Sinne des Wortes, wogegen kein verständiger Mensch etwas einzuwenden haben würde, sondern gänzliche Enthaltsamkeit von allen geistigen Getränken.

Als der eigentliche Herd des Temperenzunwesens dürfen die Neu-Englandstaaten angesehen werden, in denen das engherzige Puritanerthum am meisten in Blüthe steht. Der politische Unabhängigkeitssinn der Puritaner, ihr ausdauernder Fleiß und ihre gewandte Betriebsamkeit sind Tugenden, welche ihnen die unparteiische Geschichte nicht absprechen kann, allein zu diesen Tugenden gesellten sich schon in den ersten Zeiten der Colonialperiode grobe Fehler, so namentlich betrügerische Heuchelei und religiöser Fanatismus, der sich in blutigen Hexenverfolgungen äußerte und den edlen Roger Williams als einen Märtyrer religiöser Freiheit mitten im Winter in die Urwälder trieb.

Da nun im Laufe der Zeit das Yankeethum seine Vertreter in nicht geringer Anzahl auch über die anderen Theile der Union verbreitete, so ist es begreiflich, wenn wir die heuchlerische Temperenzelei und das scheinheilige Muckerthum Neu-Englands in den verschiedensten Unionsstaaten Wurzeln schlagen sehen. Im Jahre 1851 gelang es der Temperenzpartei im Staate Maine,


  1. Professor Klopffleisch in Jena arbeitet gegenwärtig an einem ausführlichen Berichte über diese Funde, denen Abbildungen beigegeben werden sollen.
  2. Bei Staßfurt wurden in einem einzigen Jagen gegen 400 Hasen geschossen. In Biere, dessen Jagdgebiet 3000 Morgen groß ist, erlegte man bei der Treibjagd im Herbste 1880 1000 Hasen. Der Hasenmenge auf den Gefilden entsprechen denn auch die Jagdpachte. So ist die Jagd einer 3400 Morgen großen Feldmark augenblicklich für 1300, eine andere 2300 Morgen große für 660, eine dritte, etwa 5000 Morgen große etwas höher als für 2000 und endlich eine vierte von 3000 Morgen gar für 10,000 Mark verpachtet worden.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1882). Leipzig: Ernst Keil, 1882, Seite 683. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1882)_683.jpg&oldid=- (Version vom 24.7.2023)