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Verschiedene: Die Gartenlaube (1882)

Deutschen haben stets mit den Republikanern gestimmt, jetzt aber kommen sie zu uns Demokraten und verlangen, daß wir ihnen eine Maßregel durchsetzen helfen, welche die Republikaner nicht durchführen wollen, eine Maßregel, bei der sie pecuniär interessirt sind. Ich sage: laßt sie gehen! Wir haben ohne dieses deutsche Votum gelebt, und wenn die Deutschen drohen, uns zu verlassen, falls wir ihnen nicht zu Hülfe kommen und das Temperenzgesetz nicht niederstimmen, dann laßt sie gehen und verdammt sein!“

Diese rohe und brutale Sprechweise wird ihre Früchte tragen. Der Rebellendemokrat Dean kann es den Deutschen nicht vergessen, daß sie unter der Präsidentschaft von Abraham Lincoln den Herrsch- und Sondergelüsten der Sclavendemokratie gegenüber für die Befreiung der Negersclaven und für die Einheit der Union in die Schranken traten; darum unterstützt er in seinem blinden Deutschenhasse die den Deutschen so verhaßte Temperenzbewegung, obschon er persönlich dem Trunke ergeben ist. Das Knownothingthum oder die Feindschaft gegen das eingewanderte Element, namentlich gegen die Deutschen, im Bunde mit den einer heuchlerischen Frömmigkeit ergebenen Temperenzlern wird und kann keiner politischen Partei in Amerika auf die Dauer von Nutzen sein.

Eine Verbindung solcher problematischen, keiner wahren Sittlichkeit und Religiosität huldigenden Elemente kann immer nur durch selbstsüchtige Motive der Furcht und der Herrschsucht, immer nur durch den Vortheil der Einzelnen, nicht der Gesammtheit einer Nation aufrecht erhalten werden; sie muß nothwendig zerfallen, sobald die Einzelnen nicht mehr ihren Vortheil darin finden. Das Wesen aller Schlechtigkeit ist die Lüge und die Selbstsucht.

Das Treiben pietistischer Politiker, deren Hauptziel nur der Besitz der Macht ist, steht warnend in der Geschichte da; es hat dem Staatsverbande, in welchem es, durch die Umstände begünstigt, zum vorübergehenden Siege gelangte, noch immer früher oder später die schwersten Wunden geschlagen. Wie in Missouri, so hat die demokratische Partei auch im Staate Indiana ein höchst dehnbares Parteiprogramm angenommen, welches den Temperenzlern nur von Vortheil sein kann. In der Staatsconvention der dortigen Demokraten hielten sogar zwei Frauen Reden, von denen die eine eindringlich ein strenges Temperenzgesetz empfahl, während die andere für das politische Wahlrecht der Frauen eintrat.

Aber auch die Partei der Republikaner ist nicht in allen Unionsstaaten gesund; wie sie z. B. in Kansas und Iowa den Temperenzleuten zum Siege verhalf, so hat sie sich auch in Ohio, in Pennsylvanien etc. zu Gunsten dieser heuchlerischen Fanatiker erklärt. Erfreulich ist es dagegen, daß fast alle bedeutenden deutsch-amerikanischen Blätter dem eigenthümlichen Kleeblatt, nämlich dem Knownothingthum, dem Temperenzunwesen und dem politischen Frauenstimmrecht, mit größter Entschiedenheit entgegengetreten sind und daß sie dabei von manchen der besten englisch-amerikanischen Zeitungen unterstützt werden.

Die Blüthezeit des Knownothingthums ist vorüber, und wenn vor dreißig Jahren noch an manchen Orten eine Fremden- oder namentlich eine Deutschenhetze möglich war, so ist dies in Folge der vor längerer Zeit stattgefundenen starken deutschen Einwanderung nicht mehr recht zu fürchten. Der bekannte Ausspruch: „Nur Amerikaner sollen in Amerika herrschen“, hat nicht mehr die Kraft, amerikanischen Bürgern deutscher Abkunft ihre Bürgerrechte zu entziehen. Mit wenigen Ausnahmen sind sämmtliche Bewohner der Vereinigten Staaten Nordamerikas Eingewanderte oder Abkömmlinge von Eingewanderten, und wie Heinrich Börnstein, seiner Zeit amerikanischer Consul in Bremen, etwas derb, aber mit Recht erklärte: „Die wirklich Eingeborenen in den Vereinigten Staaten sind die Indianer und die Büffelochsen; alle Anderen sind Eingewanderte“, so werden die Deutsch-Amerikaner der Union sich ihre Stellung als freie Bürger dieser Republik zu sichern wissen. Daß die deutsch-amerikanischen Bürger ihre Anhänglichkeit und Liebe für ihr Adoptivvaterland hinlänglich gezeigt haben, dafür lieferte der blutige Secessionskrieg, wo Tausende in besonderen Regimentern für die Einheit und Freiheit der Union in’s Feld zogen und Tausende sich in amerikanische Regimenter einreihen ließen, hinlängliche Beweise. Die Thaten der Deutschen gehören der Geschichte der Vereinigten Staaten an, und sie haben keine Ursache, sich derselben zu schämen. Wenn heute die Union auf dem europäischen Markte, ja, auf dem Weltmarkte eine Rolle spielt, so ist dieses Resultat nicht zum wenigsten den deutschen Farmern zu verdanken, welche aus der Wildniß blühende Felder und Gärten machten und selbst solche Landstrecken, die von den Amerikanern als unfruchtbar verlassen wurden, vortheilhaft zu verwerthen verstanden. Dies beweisen unter Anderem die früher kahlen Hügel am Ufer des Missouri bei der Stadt Hermann und am Ohio bei Cincinnati, wo deutscher Fleiß und deutsche Willenskraft die schönsten Weinberge geschaffen hat – und dieser Wein soll jetzt durch die Temperenzler werthlos gemacht werden? In allen größeren Städten des Landes haben sich der Fleiß, die Energie und die Kenntnisse der Deutschen in Fabriken und kaufmännischen Geschäften jeder Art bewährt; in den Schulen und Bildungsanstalten nehmen deutsche Lehrer hervorragende Stellen ein; in den Gesetzgebungen und auf den Richterstühlen erwerben sich Deutsche Achtung und Ehre – und sie sollen nicht gleiche Berechtigung mit ihren Mitbürgern amerikanischer Abkunft haben, weil sie das stärkende Bier dem berauschenden Whisky vorziehen?

In der Stadt St. Louis allein beträgt das in den dortigen Brauereien angelegte Capital mehr als 15 Millionen Dollars, und ähnlich ist es in vielen anderen Städten, z. B. in Milwaukee, Cincinnati, New-York etc.

Und wahrlich! Es erwächst daraus der Sittlichkeit kein Schaden; denn bei den von den Deutschen arrangirten Sänger- und Turnfesten, wo Bier getrunken wird, geht es ordentlicher und anständiger her, als in den Whiskykneipen der Amerikaner. Statistische Untersuchungen haben es festgestellt, daß in den Gegenden, wo das Bier den Whisky verdrängt hat, weniger Verbrechen und weniger Krankheiten des Körpers und des Geistes vorkommen, als dort, wo der sogenannte Bourbon-Whisky die Hauptrolle spielt. Mehr als unangenehm aber berührt es, wenn die Frauen sich in öffentlichen Versammlungen auf die Rednertribüne drängen, um dort den Männern vorzuschreiben, was sie thun und lassen sollen, oder um selbst die Rolle des Gesetzgebers zu spielen.

Unzweifelhaft haben die Amerikaner vieles Werthvolle selbst geschaffen; ihre Unabhängigkeitserklärung und der ruhmwürdige Kampf für dieselbe stehen leuchtend in der Geschichte da. Sie haben auch von den Errungenschaften der Alten Welt viel Gutes über den Ocean gebracht und fahren mit Recht fort, von den Bildungsmitteln der vorgeschrittensten Völker Gebrauch zu machen; sie haben sogar in manchen Dingen andere Nationen überflügelt; aber es ist eine lächerliche und verderbliche Anmaßung, wenn sie sich für berufen halten, das als schädlich und Verderben bringend über Bord zu werfen, was die Weisesten und Besten aller Zeiten und aller Völker nicht abgeschafft haben. Keinem Staatsmann, keinem Könige oder Kaiser im Abendlande der Alten Welt ist es jemals beigekommen, den Genuß anregender Getränke von Staatswegen verbieten zu wollen. Niemals hat sich auch selbst die größte Willkürherrschaft so weit verstiegen. Der hart Arbeitende muß seinen stärkenden Trank haben, wenn auch die Uebel des unmäßigen Bier- und Branntweintrinkens nicht zu leugnen sind. Man strafe die Gesetz und Ordnung störende Unmäßigkeit, lege aber darum dem gesitteten Menschen, hoch oder niedrig, keinen Zwang auf in Bezug darauf, was er trinken soll oder darf. Auch die von den Amerikanern, äußerlich wenigstens, dem weiblichen Geschlechte erwiesene Achtung ist gewiß nicht zu tadeln; wenn sie aber den Frauen erlauben oder sie gar dazu anreizen, Gesetze machen zu helfen, welche darüber Bestimmung treffen, mit welcher Art von Flüssigkeit der Mann sich erlaben soll, so treiben sie die Frauen aus der von der Natur ihnen angewiesenen Sphäre hinaus. Den öffentlichen Angelegenheiten des Vaterlandes gegenüber sollen sich auch die Frauen nicht gleichgültig verhalten, aber sie werden hier am besten und wirksamsten ihre Pflicht erfüllen durch die Erziehung ihrer Kinder, durch ein weises und verständiges Schalten und Walten am häuslichen Herde. Der dort von ihnen in der richtigen Art geübte Einfluß ist segensreich und nicht hoch genug anzuschlagen. Jede Art sinn- und geiststörender Frömmelei ist vom Uebel, am meisten aber diejenige, welche sich mit politischen und communalen Dingen befaßt und das Frauenelement dabei zu Hülfe ruft. Hoffentlich werden sich auch die jetzt jenseit des Oceans hochgehenden Temperenzwogen bald wieder legen; der Temperenzrausch wird in der großen transatlantischen Republik vorübergehen, ohne dem amerikanischen Gemeinwesen allzu großen Schaden bereitet zu haben.

Rudolf Doehn.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1882). Leipzig: Ernst Keil, 1882, Seite 687. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1882)_687.jpg&oldid=- (Version vom 26.7.2023)