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Verschiedene: Die Gartenlaube (1882)

Henriette. „Wann wird es trocken sein? – Aber nein – Du sollst es nicht so eilig loswerden. Wie schwer muß es sein, so etwas fortzugeben!“

Arndt hatte das Gefühl, als störe seine Gegenwart die beiden Freundinnen im unbefangenen Aussprechen über das Bild, als müsse, wenn er jetzt nicht zufällig da wäre, Henriette der Freundin leidenschaftlich die Hand drücken und sich freier im Gespräch ergehen; deshalb empfahl er sich, versprach aber den Malerinnen auf deren Bitte, in einer Stunde wiederzukommen, um sie und Frau Professor Brandenburg im Putbrese’schen Boot spazieren zu rudern, und mit der ihm eigenen vornehmen Natürlichkeit erbat er sich zugleich von Henriette die Erlaubniß, ihren Sohn aufsuchen und auf einer kleinen Wanderung unter vier Augen die alte, damals leider so schnell abgebrochene Bekanntschaft erneuern und befestigen zu dürfen.

„Sie sind sehr gütig gegen meinen Sohn, Herr Architekt,“ sagte Henriette. „Bleiben Sie längere Zeit hier?“

„Acht bis vierzehn Tage.“

„O, dann sehen wir uns vielleicht noch öfter.“

„Ich hoffe, gnädige Frau.“ –


7.

Es war Tags darauf. Arndt hatte nun auch Henrietten seinen Besuch gemacht und war mit ihr in Curt’s Begleitung an den Strand hinab gegangen. Es war mehr als ein gemeinsames Interesse, was den Architekten und des Knaben Mutter seit der gestrigen Ruderpartie innerlich genähert und ihre gegenseitigen äußeren Umgangsformen schnell vertraulicher gemacht hatte; auch jetzt – bei der zwanglosen Strandpromenade – unterhielten sie sich lebhaft, während der Knabe bald träumerisch hinterdrein ging, bald ausgelassen voraus lief, wenn er nicht gerade mit irgend einem Steine oder einer Pflanze zu Arndt herangesprungen kam, um in seiner stürmischen Weise eine Erklärung des ihm fremden Gegenstandes zu erbitten. Und so oft Arndt mit männlicher Schärfe und Klarheit eine solche abgab, bemerkte er, wie Henriette mehr als aufmerksam zuhörte.

„Dergleichen sollte man doch eigentlich selbst wissen,“ meinte sie schließlich ganz erregt. „Ich habe mich früher nie für die exacten Wissenschaften interessirt.“

„Die passen auch gar nicht für Sie, gnädige Frau!“ sagte Arndt offenherzig; denn es fuhr ihm durch den Sinn, daß eine Menge trockenen Wissens nur eine unnatürliche, häßliche Last für die Flügel ihres feinen Geistes sein würde, der so viel mehr auf die Höhe und Tiefe, als auf die breite Masse der Dinge gerichtet zu sein schien.

„Für mich passen sie vielleicht nicht, aber für Curt sind sie ein nothwendiges Erforderniß,“ antwortete sie freundlich. „Sein Geist bedarf ein fortwährendes Material, wenn er sich nicht selbst aufreiben soll. Er ist ein wunderbares Kind.“

„Das glaube ich. Ich kann Ihnen aufrichtig sagen, daß mich dieser Knabe seit dem ersten Blick interessirt hat, den ich zufällig auf der Straße aus seinen Augen auffing. Er hat wahrhaftig keine Alltagsaugen.“

„Nein,“ sagte Henriette und sah Arndt wie aufmerkend an, gleichsam als habe sie nicht geglaubt, daß er ein so eigenthümlich tiefes Verständniß für das Wesen des Knaben haben könne, und der Ausdruck einer frohen, ungewöhnlich warmen Sympathie leuchtete aus ihren Zügen.

Das entging Arndt nicht – er wurde immer wärmer.

„Seine Augen sind nicht nur schön, weil sie eine Fülle geistigen Wesens ausströmen,“ fuhr er fort, „sondern weil man ihnen ansieht, wie die Kindesseele tausend Bildern und Ideen, welche von außen auf sie eindrängen, förmlich entgegenquillt. Ich möchte sagen: es ist ein fortwährendes dramatisches Leben in seinem Blick.“

„Ach,“ sagte Henriette und blieb vor innerer Lebhaftigkeit unwillkürlich an Arndt’s Seite stehen. „Wie Sie ihn kennen! – Sie kennen ihn wirklich wunderbar gut. Ja, seine Augen sind keine Alltagsaugen; ihr Blick geht eigenthümlich in die Ferne. Er richtet sich nicht nur auf das sinnlich Wahrnehmbare an den Dingen, sondern zugleich auf Alles, was dahinter und darüber ist: Wenn gewöhnliche Menschen einen abgehauenen Baumstamm in einem Winkel des Hofes liegen sehen, so sehen die Augen meines Sohnes mitten in sonnigem Walde einen grünen Baum, in dessen Zweigen die Winde spielen und die Vögel singen.“

„Gewiß; denn er sieht mit den Augen der Phantasie.“


(Fortsetzung folgt.)



Bilder aus dem Stillen Ocean.[1]

2. Land und Leute in Neu-Britannien.
Für die „Gartenlaube“ beschrieben von Dr. O. Finsch.

„Also endlich einmal wirkliche Wilde!“ dachte ich bei mir selbst, als ich auf meinen Kreuz- und Querzügen durch den Stillen Ocean zuerst meinen Fuß in Neu-Britannien an’s Land setzte, und somit, vom „goldenen Thore“ (San-Francisco) im Westen ausgehend, die ganze Breite dieses größten aller Meere in directer Entfernung auf nahezu 6000 Seemeilen durchmessen hatte. Die dunklen Menschen, die ich hier, in Melanesien, erblickte, machen keinen angenehmen Eindruck auf den Ankömmling. Ihr negerähnlicher Typus, ihre völlige Nacktheit, das wilde, zum Theil buntgefärbte Haar und die manchmal abschreckende Malerei auf einigen Körpertheilen verleihen ihnen ein ebenso ungewohntes wie abstoßendes Aussehen, das beim weiblichen Geschlecht womöglich noch stärker hervortritt als bei dem männlichen. Unter der gaffenden Menge, die den Fremden um Tabak bettelnd umsteht, bemerkt man nicht selten bewaffnete Männer. Sie tragen mit Federn geschmückte Wurfspeere oder eingetauschte eiserne Aexte an langem, sonderbar geformtem und bemaltem Stiele. Mit einem Worte: ich sah mich unter einer mir bisher fremden Rasse, über welche die spärlichen Berichte der wenigen weißen Besucher fast übereinstimmend nicht eben vortheilhaft und vertrauenerweckend lauten; denn sie messen den Eingeborenen von Neu-Britannien Habsucht, Hinterlist, Räuberei, Mordlust und die schreckenerregende Sitte der Menschenfresserei bei.

Ganz anders bildet sich das Urtheil bei dem, welcher, wie ich, monatelang mit und unter den Eingeborenen lebte und ihre Sitten und Gewohnheiten zu seinem Studium machte. Das Auge hat sich bald mit der Nacktheit versöhnt, bemerkt sie fast gar nicht, und findet, daß die hübschen Federkronen und Büschel, die dichten Schnüre weißer und bunter Glasperlen dem dunklen Körper gut stehen, ja söhnt sich zuletzt sogar mit dem Bemalen von Haar und Körper aus, als könne dies gar nicht anders sein. Auch an die Körper- und Gesichtsformen dieser Menschen gewöhnt man sich. Zwar können die breite, nur mit der Kuppe vorspringende Nase, die weitgeöffneten Nüstern, der meist unschön große Mund, das wollig verfilzte Haar sich niemals, vom Standpunkt des Weißen aus betrachtet, das Prädicat: schön erringen, aber im Uebrigen muß man gestehen, daß die Neu-Britannier wohlgebaute Menschen von kräftigem Gliederbau und starker Natur sind und daß die dunkle kaffee- oder chocoladefarbene Haut ganz zu ihrer Erscheinung und dem Himmel, unter dem sie wohnen, paßt. So abschreckend besonders auch die Weiber anfangs erscheinen, nach und nach bemerkt man namentlich unter den jungen Mädchen gar nicht üble Personen, die in Körperform und untadelhafter Büste jeden Vergleich aushalten. Vor allem haben viele dieser „Damen“ große, schöne, lang und zart bewimperte Augen, die ohne die gelbliche Trübung des Weißen, wie sie allen Farbigen eigen ist, geradezu schön genannt zu werden verdienten. Bei diesen Schwarzen Melanesiens macht sich Lebhaftigkeit, Beweglichkeit und eine stets heitere und fröhliche Geselligkeit bemerkbar. Das schwatzt, das scherzt und schäkert oft bis tief in die Nacht hinein, und namentlich an hellen Mondscheinabenden nimmt die ausgelassene Fröhlichkeit kaum ein Ende. Musik und Tanz sind auch hier die unzertrennlichen Begleiter jeder Lustbarkeit; bald hört man einsame Künstler, die in der Stille des


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Verschiedene: Die Gartenlaube (1882). Leipzig: Ernst Keil, 1882, Seite 696. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1882)_696.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2023)