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Verschiedene: Die Gartenlaube (1882)

Dann, die vor ihm stehende Flasche ergreifend und sich unmittelbar zum Schiffe wendend, schloß der Prinz mit der üblichen Formel: „Auf Befehl und im Namen Seiner Majestät des Kaisers taufe ich dich hiermit ‚Pfeil‘,“ und nun, von seiner sicheren Hand glücklich geschleudert, zerschellte die Flasche am Bug und ergoß ihren schäumenden Inhalt über dessen vordere Planken.

Damit war der officielle Act der „Taufe“ beendet, und der des Stapellaufs bereitete sich vor.

Der Prinz verließ mit seiner Umgebung den erhöhten Standpunkt und begab sich zu den reservirten Plätzen inmitten der großen Tribüne. Seine verlassene Stelle nahm nunmehr der Schiffbaudirector ein. Für ihn und seine Untergebenen sind diese Minuten vor dem ersten Schritt in’s Leben, den das Riesenerzeugniß ihres Fleißes und ihrer Intelligenz zu thun im Begriff steht, eine Zeit unruhigen Herzklopfens.

Wohl ist Alles gethan und sorgfältig vorbereitet, jenen Schritt zu ebnen und zu sichern; der Schlitten ist ausgiebigst geglättet; die Stützen wurden bis auf die zur Aufrechthaltung dringend nöthigen bereits entfernt, aber doch – ein unseliger Zufall kann den Lauf plötzlich hemmen, eine nicht vorzusehende Nichtigkeit die Eleganz und „Schneidigkeit“ des großen Schlußmoments beeinträchtigen, von möglichem größeren Unheil ganz zu schweigen. Der Ausdruck der Spannung im Gesicht des droben Stehenden ist daher wohl erklärlich, nicht minder der prüfende Blick, mit dem er noch einmal das Ganze überfliegt, namentlich die Arbeiter, die auf jeder Seite des Schiffes mit ihren Werkzeugen, seines Winkes gewärtig, dastehen. Jetzt hebt er den Hut. „Klar zum Ablauf!“ tönt sein kräftiges Commandowort durch die Todtenstille, und fast gleichzeitig erschallen auch schon die dumpfen, aufregenden Axtschläge gegen die wenigen Holzstützen, die den „Pfeil“ noch auf seinem Stapel halten. Ein Moment allgemeiner, fast athemraubender Erwartung! Und nun beginnt der Koloß sich leise zu regen, kaum merklich zu schwanken, und dann – dann schießt er, zuerst langsam und sicher, darauf aber immer rascher und zuletzt, seinem Namen Ehre machend, schnell und sicher in seinen Gleitplatten dahin, deren eine die Inschrift trägt:

„Nicht Fleiß, nicht Kunst, nicht Arbeit nützt,
Wenn Gott der Herr das Schiff nicht schützt.“

Unter schmetterndem Tusch der Musik, jauchzendem Jubelruf, lebhaftem Tücherwehen und den Segenswünschen der umstehenden Menge gleitet er hinab in sein heimisches Element.

Damit schloß für die große Menge der schöne, dem Andenken eines um die Flotte und um Wilhelmshaven hochverdienten Mannes geweihte Tag. Ein Diner im Officierscasino, zu dem – des mangelnden Raumes wegen – nur unzureichende Einladungen hatten ergehen können, vereinigte danach noch den Prinzen und das Officierscorps für einige gemüthliche, cameradschaftliche Stunden. Das Hoch aber, das Marineminister von Stosch bei dieser Gelegenheit auf den Hohenzollern-Stamm und seine beiden Sprossen – die ehrenvolle Vergangenheit im Prinzen Adalbert, die hoffnungsvolle Zukunft im Prinzen Heinrich verkörpert – ausbrachte, findet sicher lauten Nachhall in allen Seemannsherzen.

J. v. A.




Musik der Berge und Thäler, Wälder und Wüsten.

I.
Der Streit um das singende Thal von Thronecken. – Akustische Täuschungen. – Elektrische Musik bei Gewitterstürmen. – Die Alpenfee. – Singende Wälder im Schilluklande. – Eine neue Beobachtung im Thal von Thronecken. – Posaunenengel in den Wolken. – Das Geläut an der Koralpe auf der steirischen Grenze. – Die Musik der Wasserfälle und der Meeresbrandung.

Das „singende Thal von Thronecken“, über welches wir in Nummer 2 der „Gartenlaube“ von 1881 berichteten, verspricht eine Berühmtheit unseres Vaterlandes zu werden, sofern sich an dasselbe hoffentlich die Erklärung einer Naturerscheinung knüpfen wird, welche in den verschiedensten Theilen der Welt das Erstaunen der Bewohner wie der Reisenden erregt hat. Zwar sind die Beobachtungen des Herrn Reuleaux in Remagen, der bekanntlich zuerst weitere Kreise auf die Musik dieses Thales aufmerksam machte, aus nicht völlig klaren Gründen in forstlichen Blättern lebhaft angezweifelt und angegriffen worden, aber, wie wir bald sehen werden, mit dem größten Unrecht. Man hat gemeint, die Erscheinung der stundenlang über das Thal hinwegziehenden Glockentöne sei durch vom Winde hergewehte Hornsignale der Treibjagd oder durch über den Kopf des Beobachters (unsichtbar?) hinwegziehende Vögelschaaren oder durch das Rauschen der Baumwipfel hervorgebracht worden, und in älteren Nachrichten über das singende Thal soll es sich gar blos um einige Scherze des verstorbenen Oberförster Helbron gehandelt haben.

Was nun zunächst den letzteren Einwurf betrifft, so müßte dieser alte Herr den gänzlich sinn- und gedankenlosen Scherz sehr oft wiederholt haben; denn, abgesehen von den schon im vorigen Artikel erwähnten Gewährsmännern, haben ihn noch viele andere Personen bei den verschiedensten Gelegenheiten über sein „singendes Thal“ sprechen hören, wie sich dies aus zahlreichen, Herrn Reuleaux inzwischen zugegangenen Privatberichten ergab. Die Rentnerin Weckbecker in Honnef, deren verstorbener Gatte oft in der Nähe von Thronecken zur Jagd war, berichtet, daß bei den Unterhaltungen desselben mit den ihn besuchenden Förstern „hundertmal“ die Rede auf das Singen und Tönen eines Thales bei Thronecken gekommen sei, wobei dann darüber gescherzt wurde, daß die abergläubischen Leute der Gegend diese Töne für Geisterstimmen hielten und mit dem alten Schlosse Thronecken in Beziehung brächten.

Die obenerwähnten Deutungsversuche sind übrigens außerordentlich bezeichnend für die Schwierigkeit, ungewöhnliche akustische Naturerscheinungen aufzuklären, eine Schwierigkeit, welche hauptsächlich aus der Unsicherheit unseres Ohres den Schallrichtungen gegenüber entsteht. Nehmen wir mit dem Auge irgend eine ungewöhnliche Erscheinung wahr, so können wir darauf losgehen und sie näher betrachten, oder wenigstens aus der Lage, in der sie z. B. in hoher Luft erschien, Schlüsse über ihre Entstehungsweise ableiten, aber einer neuen Klangwirkung gegenüber befinden wir uns in der übelsten Lage; jeder Bauchredner kann uns mit Erfolg weismachen, nicht er, sondern eine hölzerne Figur spreche; den Ort eines Glockenthurmes suchen wir nach dem Geläut oft in geradezu entgegengesetzter Richtung, zumal wenn ein Widerhall im Spiele ist; wir drehen uns nach allen Richtungen herum, wenn wir auf weiter Haide einen Ruf vernehmen, ohne Jemand zu sehen; kurz, wir werden Klängen unbekannten Ursprungs gegenüber leicht zum Spiel der Phantasie.

Die Gegner des singenden Thales hätten darum noch sehr viele andere Möglichkeiten zur Begründung ihrer gegnerischen Behauptungen auffinden können, und ich wundere mich besonders, daß sie nicht auch das dumpfe und anhaltende Pfeifen erwähnt haben, welches Jäger nicht selten vernehmen, wenn der Wind auf der Mündung ihres schräg über die Schulter hängenden Gewehres bläst. Gebirgs- und Wüstenreisende hören öfter ein eigenthümliches Säuseln in ihrer unmittelbarsten Nähe, welches von ausströmender Elektricität herrührt, die, namentlich bei Schnee- oder Sandstürmen, mit lautem Geräusche aus allen nach oben gerichteten Theilen ihres Körpers oder ihrer Ausrüstung und Bekleidung hervorströmt. In der Dunkelheit erblickt man dann die sogenannten Elmsfeuer, welche sich, wie ein altgriechischer Schriftsteller sagt, „singenden Vögeln gleich“ auf allen emporragenden Spitzen zeigen. Es gehört nur eine besondere, etwas gehobene Stimmung dazu, um selbst solchen in unserer unmittelbarsten Nähe entstehenden Tönen einen geheimnißvollen Charakter beizulegen. Eine von mir gemachte Erfahrung mag als Beispiel dienen.

Vor einigen Jahren wanderte ich eines schönen, oder vielmehr recht unschönen Tages in Gesellschaft eines guten Freundes den bekannten Touristensteig von Meiringen über Rosenlaui und die große Scheidegg nach Grindelwald. Es regnete beinahe ohne Aufhören; der Boden war jämmerlich durchweicht, und von all den Herrlichkeiten des Berner Oberlandes, die Einem sonst auf diesem Wege entgegentreten, war nicht die Spur zu erblicken: Wellhorn, Wetterhorn, Engelhörner etc., sie alle lagen in dichtem Nebelkleide verborgen.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1882). Leipzig: Ernst Keil, 1882, Seite 702. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1882)_702.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2021)