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Verschiedene: Die Gartenlaube (1882)

Erklärung desselben fand, war der treffliche deutsche Reisende Ulrich Jasper Seetzen, welcher im Beginne unseres Jahrhunderts den Orient durchforschte und an einem Junitage dem tönenden Berge einen Besuch abstattete. Es war eine kleine Gesellschaft, die von dem Wunder gehört und mit Mühe den sandigen Abhang bis zu einer Höhe von siebenzig bis achtzig Fuß erklettert hatte, um sich an der Stelle zu lagern, wo die Pilger, den Tönen lauschend, zu verweilen pflegen. Bereits beim Hinaufklettern hatte Seetzen unter seinen Knieen einen eigenthümlichen säuselnden Ton vernommen, der ihn auf die Vermuthung brachte, es sei nicht der Felsberg, sondern vielmehr der auf dem steilen Abhange liegende Sand, der die Töne erzeuge. Aber erst gegen ein Uhr Nachmittags drang ein stärkerer Ton zu den Ohren der Besucher, worauf das Tönen stärker wurde und gegen drei Uhr eine solche Stärke erreichte, daß es, einmal erregt, sechs Minuten anhielt. Der Ton hatte im Beginn große Aehnlichkeit mit dem Geräusche eines Brummkreisels, fiel und stieg aber dabei, wie die Klänge einer Aeolsharfe und ging schließlich in ein lautes Dröhnen über. Um sich zu überzeugen, ob es wirklich nur der trockene Sand sei, welcher, durch den Wind oder durch die Füße der Besucher in Bewegung gesetzt, den Klang hervorbringe, kletterte Seetzen nunmehr mit größter Anstrengung bis zu dem höchsten Theile des Sandabhangs hinauf und glitt dann so schnell, als er konnte, hinunter, indem er zugleich mit Händen und Füßen den Sand in Bewegung zu setzen versuchte. Der Erfolg übertraf seine Erwartungen bei Weitem; denn der unter ihm fortrollende Sand brachte ein solches Getöse hervor, daß der ganze Berg in einem schreckenerregenden Grade zu beben und bis in seine Grundtiefen erschüttert zu sein schien. Schon damals verglich Seetzen die lange, allmählich in Bewegung gesetzte Sandschicht mit einem riesenhaften Violinbogen, der über die rauhe Unterlage hinabstreicht und sie in tönende Schwingungen versetzt. Wir werden bald erfahren, wie sehr dieser Vergleich das Richtige trifft.

Fast um dieselbe Zeit, in welcher diese Beobachtungen von Seetzen angestellt wurden, hatte Alexander von Humboldt am Orinoko die von den Eingeborenen für verzaubert gehaltenen musikalischen Felsen (loxas de musica), Granitfelsen, aus denen bei Sonnenaufgang orgelartige Klänge hervorbrechen, besucht und diese Töne von den starken Temperaturunterschieden abgeleitet, welche dort zwischen Nacht und Morgen sich fühlbar machen und nach seiner Meinung in den tiefen Spalten des Granits tönende Luftströmungen erzeugen sollen.

Humboldt wandte seine übrigens durch nichts näher bewiesene Vermuthung alsbald auf die Erklärung jenes Wunders der alten Welt an, welches bereits in den römischen Kaiserzeiten ganze Touristenzüge nach dem alten Theben lockte und über welches man noch im vorigen Jahrhundert dicke Bände geschrieben hat, auf die beim Scheine der Morgensonne ertönende sogenannte Memnonsstatue. Seine Erklärung wurde noch plausibler, als die Mitglieder der Napoleonischen Expedition in Aegypten, Jomard, Jollois und Devilliers, in einem granitnen Monumente unweit Karnak bei Sonnenaufgang einen Klang vernahmen, wie den einer springenden Saite, mit welchem schon der alte Pausanias den Klang der Memnonssäule verglichen hatte. Man wollte nun diese Erklärung alsbald auch auf die Töne des Glockenberges anwenden, indem man annahm, der Wind bringe die Töne in seinen Felsspalten hervor.

Wir wollen nur im Vorbeigehen bemerken, daß uns die Humboldt’sche Erklärung des Tönens der nächtlich abgekühlten Felsen in der glühenden Morgensonne der Tropen sehr unwahrscheinlich erscheint, und daß es viel näher liegt, an jenes von Afrika- und Orientreisenden – ich nenne Wetzstein, O. Fraas und Livingstone – wiederholt mit Auge und Ohr wahrgenommene oberflächliche Zerspringen und Absplittern der Steine durch den jähen Temperaturwechsel zu denken. Wie dem auch sein mag, daß jedenfalls das Tönen des Glockenberges nichts mit Luftströmungen zu thun hat, bezeugte bald darauf der Professor Gray aus Oxford, der den Berg wiederholt besuchte. Er konnte lediglich Seetzen’s Beobachtungen bestätigen, suchte vergeblich an dem Felsen nach Luftspalten[WS 1] und hörte den Berg an zwei verschiedenen Tagen bei völlig ruhiger Luft tönen. Dasselbe bestätigte der berühmte Naturforscher Ehrenberg, welcher den Berg 1823 besuchte. Die Reisenden hörten bei jedem Schritt eine kleine Verstärkung des Tones, welcher immerfort mit der Menge des in Bewegung gesetzten Sandes lawinenartig anschwoll und endlich eine Stärke erreichte, welche Ehrenberg mit einem fernen Kanonendonner verglich. Als alle Personen die Sandschicht verlassen hatten, erlosch das Geräusch allmählich an allen Punkten.

Ehrenberg hat darauf das Phänomen genau analysirt und die Mächtigkeit der Schlußwirkung durch die Anhäufung kleiner Wirkungen ähnlich wie beim Lawinensturz erklärt. Die ungefähr 150 Fuß hohe und unten ebenso breite Sandfläche erhebt sich unter einem Neigungswinkel von fünfzig Grad und ruht daher mehr auf sich selbst, als auf dem Felsen, der ihr nur ein schwaches Anlehnen gestattet. Der Sand ist grobkörnig und aus sehr reinen gleichmäßigen Quarzkörnchen von 1/6 bis ½ Linie Durchmesser gebildet. Die große Hitze dörrt den Sand am Tage bis auf eine gewisse Tiefe aus (während derselbe allnächtlich vom Thau durchfeuchtet wird) und macht ihn dann ebenso trocken wie klangfähig. Wird nun durch das tiefe Einsinken eines menschlichen Fußes ein leerer Raum im Sande gebildet, so wird dadurch die ganze über diesem Punkte befindliche hohe Sandschicht ihres Stützpunktes beraubt und beginnt langsam in ihrer ganzen Länge sich in Bewegung zu setzen. Durch das seitliche Zufließen des Sandes und die wiederholten Tritte gelangt endlich ein großer Theil der gesammten Sandschicht des Abhanges in Bewegung und bewirkt durch die Reibung auf den darunter liegenden ruhenden Theilen ein Geräusch, welches aus einem Summen in ein Murmeln und endlich in ein Dröhnen übergeht und um so überraschender ist, als man von dem Rieseln und der allgemeinen Bewegung der oberflächlichen Sandschicht nicht viel sieht. Nach dem Aufhören der Störungen nimmt allmählich auch das Rutschen ab, je nachdem sich die Lücken wieder geschlossen, die Sandsäule unten eine stärkere Basis erhalten und wieder in eine Ruhelage zurückgekehrt ist.

Ich bin, wie gesagt, nochmals so ausführlich auf diese wohlbegründete Erklärung eingegangen, weil in den letzten Jahren deutsche Reisende, Th. Löbbecke und H. Palmé, nach ihren eigenen Beobachtungen sich von Neuem ganz entschieden gegen die Seetzen’sche Erklärung ausgesprochen haben. Löbbecke hat darüber in den Sitzungen der Niederrheinischen Gesellschaft für Naturkunde (März 1880) einen Bericht gegeben, nach welchem bei seinem Besuche alles Laufen, ja Löchergraben im Sande vergeblich gewesen sei, bis sich gegen Abend der Wind erhob und das Phänomen nun mit aller Stärke eintrat.

Ganz Aehnliches erlebte Palmé zum großen Erstaunen des von ihm gemietheten Negers, der unterwegs unaufhörlich versichert hatte, er und kein Anderer sei der Beherrscher des Berges und er allein könne den darin wohnenden Teufel zum Singen bringen. Aber all sein Toben und Steinewerfen war vergeblich; der Berg blieb stumm, und das Vibriren begann erst, als sich ein leichter Wind erhob. Palmé giebt daher ebenfalls die Sandtheorie auf und nimmt an, daß sich in dem Berge große von außen nicht sichtbare Höhlungen befinden, aus welchen durch die brennende Sonne oder den Wind angeregte Luftströmungen hervorbrechen und das Gewölbe des Berges in Vibration versetzen – mit einem Worte: er kehrt zu der Humboldt’schen Erklärung zurück.

Es kann wohl kein besseres Beispiel geben, um die Schwierigkeiten darzulegen, die sich der Auflösung akustischer Naturräthsel entgegenstellen. Und doch liegt die Erklärung der abweichenden Erfahrungen der beiden letztgenannten Beobachter so außerordentlich nahe. Palmé selbst erwähnt, daß der Sand an dem Morgen seines Besuchs stark vom Thau durchfeuchtet war. Schon der Reisende Wellstedt hat nun bemerkt, daß der Sand am Gebel Nakus, wenn er durchnäßt ist, auf keine Weise zum Tönen gebracht werden kann; bei trocknem Sande hörte er dagegen das Dröhnen so stark, daß es dem Donner gleich kam, wobei die Treiber nur mit Mühe die auf dem zitternden Boden wildgewordenen Kameele bändigen und festhalten konnten.

Der englische Reisende M. A. Palmer bemerkt in seinem 1871 gedruckten Werke über die Wüste des Moses, daß selbst der an schattigen und kühlen Stellen liegende Sand, dessen Temperatur 17° C. betrug, trotz seiner Trockenheit viel weniger gut tönte, als der in der Sonne auf 45° C. erhitzte. Der Wind mag bei den Besuchen Löbbecke’s und Palmé’s die doppelte Wirkung gehabt haben, den nicht ganz trockenen Sand vollends auszutrocknen und außerdem aus mechanischen Gründen seine Beweglichkeit zu erhöhen, sicher liegt aber nicht der mindeste Grund vor, nach diesen

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: Luftpalten
Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1882). Leipzig: Ernst Keil, 1882, Seite 719. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1882)_719.jpg&oldid=- (Version vom 3.8.2023)