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Verschiedene: Die Gartenlaube (1882)


No. 45.   1882.
Die Gartenlaube.

Illustrirtes Familienblatt. – Begründet von Ernst Keil 1853.

Wöchentlich bis 2 Bogen.    Vierteljährlich 1 Mark 60 Pfennig – In Heften à 50 Pfennig.



Spätsommer.

Novelle von C. von Sydow.
(Fortsetzung und Schluß.)


15.

Eine „rücksichtsvolle“ Ehe ist von allen nicht glücklichen Ehen vielleicht die verhängnißschwerste.

Arndt und Henriette waren seit vier Jahren verheirathet.

Jetzt konnte er sich den Gebieter jener Räume nennen, welche Henriettens Leben und Schaffen nach wie vor gewissermaßen mit dem feinen Wehen eines leisen Sommerwindes erfüllte, von welchem man nicht in jedem Augenblicke zu sagen weiß, von wannen er kommt. Aber woran lag es, daß das Wehen dieses Windes jetzt nicht mehr, wie einst, als er noch Gast in diesem Hause war, etwas unbedingt Anregendes und Erfrischendes für Arndt hatte? Sah Henriette ihm doch alle seine Bedürfnisse von den Augen ab; nie kam ein Wort der Ungeduld über ihre Lippen, und noch weniger stand jemals eine häßliche oder kleinliche Laune auf der Stirn dieser Frau. Sie war die Bescheidenheit und Anmuth selbst; sie verlangte nichts und war in jedem Augenblicke bereit, Alles und Jedes zu geben. Sie war auch nicht kalt. Nein, wenn es ausnahmsweise geschah, daß er sich ihr, von einer plötzlichen Aufwallung erfaßt, mitten im Drange der Geschäfte und ablenkenden Tagesfragen zärtlich nahte, nahm sie seine Liebesäußerung mit eben dem freundlich-sanften Lächeln hin, wie am Abende ihrer Verlobung. Wie kam es, daß er trotzdem nicht ganz zufrieden schien?

In den ersten zwei Jahren seiner Ehe war Arndt nicht frei von wieder und wieder auftauchender Eifersucht auf den Sohn gewesen, denn er hatte gemeint, daß Henriette ein Uebermaß von Liebe an den Knaben verschwende, während sie ihn, ihren Gatten, auf das Pflichttheil beschränkte. Aber je mehr sich der Knabe zum Jüngling umbildete, desto mehr zog sich jede Zärtlichkeit zwischen Mutter und Sohn in die tiefste Innerlichkeit zurück. Aus dem Kuß, den Henriette einst besänftigend auf das heiße Kindeshaupt gedrückt hatte, wurde nach und nach ein liebreich ermahnendes aber tröstendes Wort, aus dem Worte schließlich nicht selten nur ein kürzer, verständnißvoller Blick. Und an allem, was Curt anging, hatte Arndt als Vater seinen vollen Antheil. Wäre der Knabe sein leiblicher Sohn gewesen, er hätte sich kein schöneres Verhältniß zu ihm wünschen können. Curt, in dessen poetischem Schaffen sich mehr und mehr der allmählich reifende Kern einer bedeutenden Veranlagung zeigte, war recht eigentlich der Dritte im geistigen Bunde der Eltern.

Und doch war Arndt nicht glücklich, denn – etwas fehlte ihm.

Er wußte recht gut, was dieses Etwas war, vermied es aber, sich darüber Rechenschaft zu geben.

Ein Schmerz ist deshalb nicht weniger Schmerz, weil man ihn niederkämpft oder vor sich selbst verleugnet. Und während das Weh um ein Verlorenes, aber einst Vollbesessenes wohl eine heiligende Kraft in sich birgt, wird der Schmerz um ein Gut, nach dem die Seele ihr Leben lang hungert und dürstet, allzuleicht ein langsames, tückisch zerrüttendes Gift.

Arndt fühlte dieses Gift mehr und mehr sein Leben durchsickern – aber er trug es still; denn Eines hatte er seit seiner Verheirathung gelernt, das er früher nicht in diesem Maße besessen: Selbstbeherrschung.

Je harmonischer und ruhiger sich mit den Jahren das Verhältniß beider Gatten zu einander gestaltete, desto gelassener wurde Henriette in ihrem Herzen und desto weniger empfand sie es als eine Kränkung gegen sich selbst, daß sie diesem Manne, der nie ihr Geliebter gewesen, Leben und Freiheit geschenkt habe. Ebenso hoffte und glaubte sie auch, daß es ihr wirklich gelänge, ihn zu befriedigen, denn mehr und mehr schien so auch seine Liebe jenen Freundschaftscharakter anzunehmen, der ein volles Echo in ihrem eigenen Dasein fand – und so war diese Ehe von beiden Seiten eine durchaus rücksichtsvolle geworden. – –

Der Sommer war gekommen; in wenigen Tagen sollten wieder einmal Curt’s Ferien beginnen.

„Wohin?“ fragten die Gatten einander, und der fünfzehnjährige Sohn lauschte mit gespanntester Aufmerksamkeit. In Schweden und Norwegen, in der Schweiz und Italien war man in den Vorjahren gewesen.

„Wie wäre es, wenn wir wieder einmal nach Rügen gingen?“ fragte Henriette zögernd.

Curt fuhr lebhaft in die Höhe und blickte den Vater an.

„Gewiß,“ sagte Arndt, „gehen wir nach Rügen. – Warum sollen wir auch nicht?“

„Aber ist es Dir wirklich recht, Georg?“ warf Henriette ein. „Ich für meine Person lebe mich überall ein und finde es an jedem Orte schön, wo ich freien Himmel sehen kann.“

„O ja, ich weiß: Du schickst Dich in jede Lage – Du bist rücksichtsvoll,“ grollte es in Arndt’s Herzen, aber kaum, daß es flüchtig um seine Lippen zuckte. „Also nach Rügen! Was meint denn unser Dichter dazu.“

„Daß es nur ein Rügen giebt, Vater, trotz der Schweiz und trotz Italien!“ erwiderte Curt.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1882). Leipzig: Ernst Keil, 1882, Seite 741. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1882)_741.jpg&oldid=- (Version vom 11.9.2022)