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Verschiedene: Die Gartenlaube (1882)

getreu, wenn ich in der ganzen Stellung des jungen Menschen sofort eine anziehende, jugendlich-natürliche Grazie entdeckte. Er hatte die Beine über einander geschlagen; der linke Arm ruhte unter seinem Nacken, während der rechte neben ihm im Grase lag; das Kinn war erhoben und wies einen starken, vollen Hals, aber der Hut lag über den Augen, sodaß außer Mund und Kinn von seinem Gesichte nichts zu sehen war. Seine ländliche Kleidung zeigte hier und da einen Anflug städtischer Verfeinerung.

‚Sieh doch!‘ begann ich, ‚dieser junge römische Landmann liegt da wie eine Statue.‘

Er regte sich unruhig, während wir so dicht über ihm standen, und stieß einige unverständliche Worte hervor.

‚Laß uns weiter gehen!‘ fuhr ich fort und nahm meines Gefährten Arm, ‚wir thun nicht Recht, wenn wir ihn in seiner Ruhe stören.‘

Wenzel aber wich nicht von der Stelle, und jetzt bemerkte ich, daß etwas Besonderes seine Aufmerksamkeit gefesselt hielt.

Der Schläfer hatte unwillkürlich seine Lage etwas verändert und dabei die Hand geöffnet, die im Grase ruhte. In dieser Hand lag ein ovaler, dunkelfarbiger Gegenstand von der Größe einer kleinen Tabaksdose.

‚Was hat er da?‘ fragte ich meinen Begleiter.

Dieser beugte sich nieder, um besser sehen zu können, erwiderte aber kein Wort.

Meine im Eifer ganz laut gesprochene Frage hatte den Ruhenden erweckt; er erhob seine Hand, und dem Gegenstand in derselben entfuhr ein schwacher, aber deutlicher Lichtblitz.

‚Es ist ein Edelstein,‘ sagte Wenzel, ‚vor Kurzem erst ausgegraben und noch mit Staub und Erde bedeckt.‘

Der junge Eingeborene richtete sich langsam auf, schob seinen Hut zurück und starrte uns an. Er rieb sich die Augen, warf dann einen Blick auf seinen Edelstein – wenn es ein solcher war –, schob darauf die Hand mechanisch in die Tasche und lächelte zu uns empor.

‚Ich muß wissen, was er da hat,‘ murmelte Wenzel und musterte dabei den jungen Menschen mit scharfem Blicke.

Wenzel war ein Curiositätensammler und hatte als solcher bereits sämmtliche Alterthümer- und Trödler-Geschäfte Roms durchsucht. Er suchte in den Alterthümern weder Schönheit noch historischen Werth, sondern einzig und allein künstliche und mühevolle Arbeit – sonderbar genug!

‚Guten Tag!‘ rief ich jetzt unserem Findling zu. ‚Wir wollten Sie nicht stören; wir kamen ganz zufällig hier vorüber.‘

Der Angeredete schüttelte sich, stand auf und blickte uns unter seinen dunklen Locken hervor noch immer lächelnd an. Es lag etwas Kindisches, ja etwas Einfältiges in diesem Lächeln, und im ersten Augenblicke kam mir die Idee, daß wir hier wohl einen Schwachsinnigen vor uns hätten. Der Mensch war jung, aber kein eigentlicher Jüngling mehr; seine Augen waren groß und dunkel, aber sie blickten harmlos und gutmüthig, und seine geöffneten Lippen zeigten weiße, feste Zähne, seine Gesichtsfarbe ein bleiches Braun. Der lockige Kopf saß auf einer hohen, breitschulterigen Gestalt, und so erschien er, Alles in Allem, als ein so hübscher, stattlicher Vagabond, wie man ihn sich nur immer für den Vordergrund einer italienischen Landschaft wünschen kann.

‚Sie haben aber heute Ihren Schlaf noch nicht verdient,‘ begann Wenzel und deutete auf die leere Jagdtasche.

Der junge Mann blickte auf sein Jagdgeräth nieder und dann in Wenzel’s Gesicht; er fuhr sich durch die Haare und lachte.

‚Ich will auch gar nichts schießen,‘ sagte er. ‚Ich nehme die alte Flinte nur mit, um Etwas in der Hand zu haben. Mein Onkel brummt den ganzen Tag, weil ich nichts zu thun weiß, wenn er mich aber mit der Flinte abgehen sieht, dann glaubt er doch, daß ich wenigstens etwas für die Küche mit nach Hause bringen werde. Er weiß nämlich gar nicht, daß das Schloß an dem Dinge hier zerbrochen ist; wenn ich auch Pulver und Schrot hätte, die alte Muskete ginge doch nicht los. Und wenn ich hungrig werde, dann lege ich mich in’s Gras und schlafe.‘

Damit wandte er sich um und blickte grinsend auf sein eben verlassenes Lager.

‚Meinem Onkel,‘ fuhr er fort, ‚fällt es auch niemals ein, mich zu fragen, was ich mitgebracht habe; der ist ein gar frommer Mann und lebt nur von Schwarzbrod und Bohnen.‘

‚Wer ist Ihr Onkel?‘ fragte ich.

‚Der Padre Girolamo zu Ariccia.‘

Nunmehr unterzog er unsere Hüte und Reitgerten einer eingehenden Besichtigung; dann stellte er eine Reihe von Fragen über unsern Ritt und unsere Pferde, über den Miethspreis der letzteren, und schließlich ging er an die Thiere heran, um sie zu streicheln und zu befühlen.

‚Der Kerl hat ganz sicher ein Kleinod in der Tasche,‘ sagte Wenzel. ‚Sieh’ nur – jetzt zieht er’s wieder hervor. Er muß es hier irgendwo gefunden haben; in dem Boden der Campagna stecken noch ungezählte Schätze.‘

Wir näherten uns unserem neuen Bekannten, und als wir wieder dicht neben ihm standen, versteckte er, kindisch und verlegen lachend, die Hand, welche den Stein hielt, hinter seinem Rücken. Wenzel runzelte die Stirn.

‚Der Kerl ist ein Idiot,‘ rief er ärgerlich. ‚Meint ich, daß wir ihm das Ding hinterrücks entreißen werden?‘

‚Was haben Sie da in der Hand,‘ fragte er freundlich. ‚Dürfen wir’s nicht sehen?‘

‚Welche Hand wollen Sie?‘ lachte der Italiener.

‚Die rechte.‘

‚Die linke,‘ sagte Wenzel, als der Andere zögerte.

Der Italiener sah uns noch einen Augenblick ungewiß an, dann aber brachte er das Ding zum Vorschein. Wenzel nahm es in die Hand, wischte es mit dem Taschentuche sorgfältig ab und beugte dann seine kurzsichtigen Augen darüber. Ich wartete ohne Neugierde auf das Resultat seiner Untersuchung und beobachtete inzwischen den Neffen des Padre Girolamo. Der blickte meinen Freund ernsthaft an, zog die Brauen zusammen und bemühte sich augenscheinlich, seinen Verstand und Witz zu Rathe zu halten, um Wenzel’s jedenfalls vielversprechenden Bericht über die Art und den Werth des Steines sogleich recht aufzufassen und zu verstehen. Jetzt bemerkte ich auch, daß Wenzel’s Antlitz vor Erregung und Eifer geröthet war, und sofort brachte ich auch meine Nase über den Stein. Derselbe hatte ungefähr die Größe und Gestalt eines kleinen Hühnereies, war von mattbrauner Farbe, zum Theile mit einer festen, mißfarbigen Kruste überzogen und voll von Unebenheiten auf der Oberfläche. Wenzel setzte allen meinen Fragen ein beharrliches Schweigen entgegen und ließ sich in seinem Kratzen, Wischen und Poliren gar nicht stören. Endlich fragte er trocken und gleichgültig:

‚Wo haben Sie das Ding her?‘

‚Gefunden hab’ ich’s, dort weiter unten, in der Erde.‘

Und der junge Mensch streckte mit einer fast ängstlichen Bewegung seine Rechte aus, um seinen Schatz zurückzunehmen. Wenzel schwankte einen Moment, dann aber legte er den Stein wieder in die Hand seines Eigenthümers; dabei heuchelte er instinctiv die vollkommenste Gleichgültigkeit. Der Italiener stierte den Stein aufmerksam an, wendete ihn um und um und verbarg ihn dann wieder hinter seinem Rücken. Von Neuem spielte das einfältige Lächeln um seine weißen Zähne.

‚Das ist ein Zufall, wie er sich in Jahrhunderten nicht zum zweiten Mal ereignen kann,‘ murmelte Wenzel mir leise zu.

‚Aber so sprich doch! Was ist’s mit dem Steine?‘ fragte ich ungeduldig.

‚Schweig’! Ich wage es gar nicht auszusprechen, wenn auch der Kerl da offenbar kein Deutsch versteht – das Ding ist immens – vorausgesetzt, daß ich es richtig erkannt habe – und hier steht so ein grinsender Vagabond und hat das erste Anrecht darauf. Was machen wir mit ihm? Ich hätte nicht übel Lust, ihm mit dem Kolben seiner alten Mustete den dicken Schädel einzuschlagen.‘

‚Ich bin überzeugt, daß er dir das Ding verkauft, wenn Du ihm genug dafür bietest.‘

‚Wenn ich ihm genug dafür biete! Haha! Wie kann er wissen, was hier genug oder nicht genug ist!? Topas oder Kiesel – was weiß er davon?‘

‚Also ein Topas ist’s ?‘

‚Halt’ den Mund und nenne hier Niemand bei Namen! Der Kerl muß den Stein für einen Kiesel verkaufen – darauf kommt es an. Frag’ ihn, wo er ihn gefunden hat‘

Ich fragte ihn, und nun erzählte unser brauner Gefährte sehr bereitwillig und unter stetem Lächeln alles, was wir wissen wollten: er hatte heute in einem alten, einsamen Weidenbaume die frischen Spuren eines Blizstrahls entdeckt – das Wetter war

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1882). Leipzig: Ernst Keil, 1882, Seite 758. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1882)_758.jpg&oldid=- (Version vom 14.8.2023)