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Verschiedene: Die Gartenlaube (1882)

Tage über das erlebte Abenteuer, das mir viel zu denken gab, nicht aus dem Gedächtnisse. – –

Inzwischen waren Wochen vergangen. Wenzel dachte nicht daran, seinen Stein einem Kunstverständigen oder einem Archäologen zu zeigen. Er erkundigte sich vielmehr ganz unter der Hand danach, wie antike Gemmen am besten zu reinigen und wieder aufzufrischen seien, beschaffte die nothwendigen Werkzeuge und Säuren und schloß sich sodann mit seinem Schatze ein. Ich stellte keine Fragen und ließ ihn gewähren, aber ich merkte es ihm an, daß er sich in seinen Erwartungen nicht getäuscht sah. Er pfiff und sang vor sich hin, wie Einer, der endlich die Dame seines Herzens errungen hat. Und so oft ich ihn hörte oder sah, trat mir das Bild Angelo’s vor die Seele, wie er uns nachstarrte, als wir an jenem Tage, wie ein Paar Buschklepper in der Ballade, mit seinem Kleinode auf und davon ritten.

Wir wohnten seit längerer Zeit in einem und demselben Hause. Eines Abends hatte ich mich soeben zur Ruhe begeben, als mein Freund zu mir hereinkam und mich mit solcher Hast und Gewalt aus dem Schlafe rüttelte, als stände das ganze Haus in Flammen. Ich errieth den Zweck seines Erscheinens, noch ehe er den Mund geöffnet hatte; schnell schlüpfte ich in den Schlafrock und folgte ihm in sein Zimmer.

‚Es war mir unmöglich, meinen Triumph bis morgen früh für mich zu behalten,‘ sagte er mit unterdrücktem Jubel; ‚vorhin habe ich die letzte Hand angelegt – dort liegt er in seiner ganzen kaiserlichen Pracht!‘

Und da lag er, unter der Lampe, auf einem Kissen von weißem Sammet, ein feuersprühender, wundervoller Goldtopas.

Wenzel schob mir ein Vergrößerungsglas in die Hand und drückte mich dann in den vor dem Tische stehenden Stuhl nieder. Ich nahm den Stein unter die Lupe. In der Mitte seiner ovalen Oberfläche sah ich eine nackte Figur, die ich anfänglich für eine heidnische Gottheit hielt. Dann aber gewahrte ich den Erdball, die Kugel der Herrschaft, in der einen ausgestreckten Hand der Figur, in der andern aber das fein modellirte kaiserliche Scepter und auf ihrer niederen Stirn die Lorbeerkrone. Rings um die Fläche, an dem ovalen Rande hin, zog sich ein Kranz von vielen verschlungenen Gestalten von Kriegern, Rossen und Wagen, von jungen Männern und Weibern, über dem Haupte des großen Bildes aber, innerhalb der concaven Figurenguirlande, stand die Inschrift:

DIVUS TIBERIUS CAESAR TOTIUS ORBIS IMPERATOR.

‚Der göttliche Cäsar Tiberius,‘ sagte ich erstaunt, ‚der Gebieter des ganzen Erdkreises!‘

‚Ja, ein Stein des Tiberius!‘ bekräftigte mein Freund Wenzel.

Die Steinschnitzerei war mit bewunderungswürdiger Meisterschaft ausgeführt; das starke Vergrößerungsglas zeigte mir jede einzelne Figur in jener vollkommenen Vollendung, wie man sie nur bei den berühmtesten der antiken Marmorstatuen findet. Dazu war die Farbe des Steines von fleckenlosester Reinheit, und wie ich ihn jetzt in seiner ganzen Herrlichkeit vor mir sah, erschien mir seine Größe fast fabelhaft. Das war in der That das Kleinod der Kleinode – ein Schatz von fast unermeßlichem Werthe.

‚War’s nicht der Mühe werth, aus dem Bette aufzustehen, um hier die Bekanntschaft des Kaisers Tiberius zu machen?‘ rief Wenzel, nachdem er sich an meinem Erstaunen geweidet hatte. ‚Auf die Kniee, rothhaariger Barbar! Du stehst hier vor dem allmächtigen Herrscher der Welt. Habe ich diese Pracht mit meinen Lumpen und Lappen, mit meinen kleinen Feilen und mit all dem andern Kratzzeug nicht doch endlich an’s Licht geschafft? Jahrhunderte habe ich beseitigt und einen totius orbis imperator wieder an’s Licht gebracht. Kannst Du es fassen, Freundchen? Pocht Dein Herz nicht höher an die Rippen? Sicherlich noch nicht so, wie es sich gehört. Hier hat der Cäsar den Stein getragen‘ – er zeigte auf seine Brust – ‚nicht weit von der Schulter, und in ciselirtes Gold war das Kleinod gefaßt, besetzt mit Perlen, so groß wie Pflaumen – und so hielt es die beiden Seiten seines golddurchwirkten Mantels zusammen. Die Agraffe war’s des kaiserlichen Purpurs. Zittere, Wurm!‘ Und er nahm das funkelnde Juwel und hielt es gegen meine Brust. ‚Keinen Widerspruch – kein Aber – keine Spitzfindigkeiten, oder wir sind von Stund’ an Todfeinde! Du wolltest fragen, woher ich das Alles so genau weiß, he? Ich weiß es, weil es nicht anders gewesen sein kann. Verstanden? Das Kleinod ist zu köstlich, als daß es einem anderen Zwecke gedient haben könnte. Es ist der schönste Intaglio in der ganzen Welt. Und er hat mir alle seine Geheimnisse erzählt; während dieser ganzen Woche hat er mir täglich stundenlang classisches Latein in’s Ohr geflüstert.‘

‚Hat er Dir auch erzählt, wie er in den eisernen Kasten und unter die alte Weide gerathen ist?‘

‚Natürlich, und noch viel mehr als das, und mehr, als ich Dir jetzt wiedererzählen kann. Begnüge Dich zunächst damit, seine unvergleichliche Schönheit zu bewundern!‘

‚Fürwahr,‘ rief ich endlich, ‚dies ist der wundervollste aller bekannten Intaglios!‘ wenngleich ich nicht so fest wie mein Freund davon überzeugt sein konnte, daß wirklich Kaiser Tiberius den Stein getragen.

Wenzel schwieg eine Weile. Endlich rief er:

‚Aller bekannten? Sage lieber: aller unbekannten! Niemand soll je davon erfahren. Dich verpflichte ich hiermit zu immerwährendem Schweigen. Ich werde den Stein keinem menschlichen Auge zeigen – meine Braut ausgenommen, wenn ich jemals eine solche besitzen sollte.‘

Seine Braut! Sonderbarer Gedanke! Hielt ich es doch beinahe für selbstverständlich, daß mein Freund lebenslang ohne jene bessere Hälfte einherwandeln würde, etwa wie Peter Schlemihl ohne seinen Schatten. Und doch! Wie bald sollte die Zeit diese meine Ansicht corrigiren!“


(Fortsetzung folgt.)




Die Mecklenburger Herzogskinder bei „Frau Rath“.

Von Robert Keil.

Zu den interessantesten Episoden im Leben von Goethe’s Mutter gehört ihr Verkehr mit den Fürsten und Fürstinnen der Zeit, welche ihr theils durch ihren berühmten Sohn, theils durch den Zufall zugeführt wurden. Wie stets – mochte sie sich nun schlichten Menschen oder den Großen dieser Welt gegenüber befinden – so waren der Frau Rath auch hier, in ihren Beziehungen zu den allerhöchsten Kreisen, alle süßen, faden Redensarten, alle Schmeicheleien und Höflichkeitslügen durchaus zuwider. Wie sie dachte und fühlte, sprach sie auch, und genau so, wie sie sprach, schrieb sie, unmittelbar und geradezu. Ebendarum sind ihre originellen Briefe so wichtige, treue Belege ihrer Anschauung und ihres Charakters. An Fräulein von Göchhausen schrieb sie in einem ihrer drolligen Knittelvers-Briefe:

„Lirum larum Dudelsein,
Lassen wir die großen Männer sein
Und reden jetzt zu dieser Frist,
Wie uns der Schnabel gewachsen ist!“

So wie der Schnabel ihr gewachsen war, verkehrte sie, die frohe, lebhafte „Frau Aja“, mit dem Herzog Karl August, verkehrte sie mit der Herzogin Anna Amalie von Weimar, sowohl in ihren Briefen an dieselbe wie auch persönlich, als diese sie in Frankfurt besuchte; sie stand stets zu Beiden in innigem Verhältnis

„Ihro Durchlaucht“ – schrieb sie der Herzogin zum Beispiel am 22. October 1782 – „können ersehen, daß Frau Aja immer noch so ungefähr Frau Aja ist, ihren guten Humor beibehält und alles thut, um bei guter Laune zu bleiben. Den ganzen Winter Schauspiel! da wird gegeigt, da wird trompetet – ha! den Teufel möchte ich sehen, der Courage hätte, einen mit schwarzem Blut zu incommodiren!“

Dies war der Ton, in welchem Frau Rath an die Herzogin Amalie schrieb, und in gleich herzlichem Tone antwortete die geistvolle, lebensheitere Fürstin. Wie jeder Brief der Frau Rath ein wahres Fest am Weimarischen Hofe war, so war für die wackere Frankfurterin jeder Brief der Herzogin eine innige Freude. Eine

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1882). Leipzig: Ernst Keil, 1882, Seite 760. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1882)_760.jpg&oldid=- (Version vom 15.8.2023)