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Verschiedene: Die Gartenlaube (1882)

Reihe ihrer reizenden, herzlichen Briefe habe ich in meinem Buche „Frau Rath. Briefwechsel von Katharina Elisabeth Goethe“ (Leipzig, 1871) mitgetheilt. Die Herzogin berichtete ihr über die Weimarischen Festlichkeiten und über das Befinden und die Dichtungen des „Freundes Wolf“, „des Hätschelhans“ (Goethe’s), von den Aufführungen des „Jahrmarkts von Plundersweilern“ und der „Iphigenie“, und sandte ihr, der „lieben Frau Aja“, Arien, Gemälde für das „Weimarische Zimmer“, ja sogar Strumpfbänder und einen Geldbeutel, die sie mit eigener Hand für „die liebe Mutter“ gefertigt hatte. Einen der Briefe schickte sie ihr durch ihren Sohn Prinz Constantin, „einen jungen Menschen, der noch nicht ganz flügge ist“, und mit Beziehung auf die in Frankfurt stattgehabten Krönungsfeierlichkeiten, welche für Frau Rath stets von großem Interesse waren, schrieb Anna Amalia am 13. Juli 1783 wörtlich nach Frankfurt:

„Was soll ich Ihnen schreiben, Liebste Frau Aja! nachdem Sie mit Kayser, Ertzherzogen, Fürsten, und allen Teufel sich herum getrieben haben, was kan Ihnen Wohl weiter interessiren? – man muß aus dem hohen F. F. mit Ihnen sprechen, aber leider bey uns pasirt gar nichts, sogar kein ausländisches Thier gehet durch Weimar, geschweige den ein Kayser. Doch mein Herz sagt mir, daß Frau Aja bey allem Gaudium Frau Aja geblieben, daß sie doch seitwärts Blicke voll Liebe und Freundschaft auf die Entfernten geworffen hat, und ewig die Liebe gute Mutter ist und bleiben wird. Amen!“

Nicht weniger als fünf Kaiserkrönungen erlebte Frau Rath in Frankfurt. Sie alle boten ihr, um mich ihres Leibausdruckes zu bedienen, ein „großes gaudium“, die interessanteste und in ihren Folgen bedeutungsvollste von allen wurde aber für sie die vierte Kaiserkrönung, diejenige vom Jahre 1790; denn sie führte ihr neue, liebenswürdige fürstliche Gäste zu, mit denen sie in dauerndes, inniges Verhältniß trat.

Am 20. Februar 1790 war Kaiser Joseph der Zweite gestorben. Sein Tod machte, wie Frau Rath dem Sohne der Frau von Stein schilderte, die Stadt Frankfurt zu einem lebendigen Grabe. Vier Wochen hindurch ertönten täglich zweimal die Trauerglocken so ergreifend, „daß man weinen mußte, man mochte wollen oder nicht.“ Dann aber setzten die herannahende Kaiserkrönung und deren Vorbereitungen die ganze Stadt und mit ihr die echte Frankfurterin Frau Rath in Spannung und Aufregung. Am 11. Mai schrieb sie: „Im Juli ist die erste Auffahrt zur Wahl; das giebt ein groß Spectakel. Mein Haus wird von oben bis unten vollgepfropft.“ Einige Wochen darauf, am 12. Juni, machte sie, von dem Wunsche erfüllt, daß ihr Sohn und Friedrich von Stein zu den großen Festtagen nach Frankfurt kommen möchten, ihrem jungen Correspondenten Friedrich die anschauliche Schilderung: „Eine Berechnung, wieviel der Aufenthalt während der Krönung hier kosten möchte, ist beinahe ohnmöglich zu bestimmen, soviel ist gewiß, daß eine einzige Stube den Tag ein Karolin[1] kosten wird, das Essen den Tag unter einem Laubthaler gewiß nicht. Zudem ist auch die Frage, ob ein Cavalier, der unter keiner Begleitung eines churfürstlichen Gesandten ist, Platz bekommt, denn unsre besten Wirthshäuser werden im Ganzen vermiethet. … Wenn Leopold Kaiser werden sollte, so mag Gott wissen, wo die Leute alle Platz kriegen werden, denn da kommen Gesandte, die eigentlich nicht zur Krönung gehören, als der Spanische, Neapolitanische, von Sicilien einer etc. – Bei mir waren die Quartierherren noch nicht, – ich traue mir deswegen nicht vor die Thür zu gehen und sitze bei dem herrlichen Gotteswetter wie in der Bastille, – denn wenn sie mich abwesend fänden, so nähmen sie vielleicht das ganze Haus, denn im Nehmen sind die Herren verhenkert fix, und sind die Zimmer einmal verzeichnet, so wollte ich’s keinem rathen, sie zu anderem Gebrauche zu bestimmen. – Sie werden doch mit meinem Sohne kommen? Eine Stube sollen Sie haben, aber freilich müßten Sie sich begnügen, wenn’s auch drei Treppen hoch wäre, – was thäte das, wir wollen doch lustig sein.“

So kamen die großen Kaiserfesttage heran. Am 30. September wurde Leopold zum Kaiser gewählt; am 9. October wurde er mit altem feierlichem Pompe gekrönt, und erst sieben Tage darauf verließ er die festliche Stadt wieder. Weder Friedrich von Stein noch Goethe traf zu diesen Feierlichkeiten in Frankfurt ein, aber das Goethe-Haus erhielt anderen, gar lieben Festbesuch:

Prinz Karl von Mecklenburg-Strelitz, der nachherige Herzog, von Jugend auf dem großbritannisch-hannöverischen Kriegsdienste geweiht und in diesem bis zur Würde eines Feldmarschalls gestiegen, hatte seine erste Gattin Friederike, die durch hohe Geistesbildung ausgezeichnete Tochter des Landgrafen Georg Wilhelm von Hessen-Darmstadt, die ihm blühende Kinder geschenkt, im Jahre 1782 durch den Tod verloren. Er hatte den Kindern in der jüngeren Schwester seiner dahingeschiedenen Gattin, Charlotte, eine zweite Mutter gegeben. Als aber auch diese schon im Jahre 1785 gestorben war, war er aus dem activen Militärdienste getreten und hätte seinen Wohnsitz von Hannover nach Darmstadt verlegt. Hier genossen die Kinder, namentlich die beiden jüngsten Töchter Louise (nachherige Königin von Preußen) und Friederike, sowie der dritte Sohn Georg (später Großherzog von Mecklenburg-Strelitz), der Pflege der würdigen Großmutter, der schon verwittweten Landgräfin von Hessen-Darmstadt. Unter deren Aufsicht leitete Demoiselle Gelieux, aus der Schweiz gebürtig, als Hofmeisterin die Erziehung der Kleinen. Dort, an dem wegen seiner edeln Einfachheit und Verehrung von Wissenschaft und Kunst allgemein hochgeschätzten Hofe, entwickelten sich die Kinder, die in ihrem jungen Leben schon so schwere Verluste zu erleiden gehabt hatten, in erfreulichster Weise.

Als nun im Jahre 1790 die Festtage der Kaiserkrönung herankamen, reisten die Prinzessinnen Louise (damals vierzehn Jahre alt) und Friederike und – wenn man der Mittheilüng Bettina’s Glauben schenken darf – auch der elfjährige Prinz Georg unter Begleitung von Demoiselle Gelieux, zu der glänzenden Feierlichkeit nach Frankfurt. Gleich den vielen anderen während der Kaiserkrönung zu beherbergenden Fürstlichkeiten wurden sie von Seiten der Stadt auf bestimmte Wohnung angewiesen, und zwar wurden die mecklenburgischen Fürstenkinder, als die Verwandten der Königin von England, im sogenannten hannöverschen Viertel bei Frau Rath Goethe einquartiert.

Frau Rath, seit dem Jahre 1782 Wittwe und damals neunund fünfzig Jahre alt, hatte sich leiblich wie geistig die ihr eigemthümliche Frische erhalten. Ihr Aeußeres hat sie selbst einmal in einem Briefe an Friedrich von Stein vom 9. September 1784 folgendermaßen beschrieben:

„Von Person bin ich ziemlich groß und ziemlich corpulent, habe braune Augen und Haare und getraute mir die Mutter von Prinz Hamlet nicht übel vorzustellen. Viele Personen, wozu auch die Fürstin von Dessau gehört, behaupten, es wäre gar nicht zu verkennen, daß Goethe mein Sohn wäre. Ich kann das nun eben nicht finden, doch muß etwas daran sein, weil es schon so oft ist behauptet worden.“

Die Aehnlichkeit zwischen ihr und ihrem Sohne hatte schon im Jahre 1778 der Musiker Johann Friedrich Kranz, der sie in Frankfurt gesehen, in einem Briefe an sie bei Schilderung von Goethe’s Spiel auf dem Weimarischen Liebhabertheater bemerkt:

„Eines muß ich wegen großer Aehnlichkeit zwischen Ihnen und ihm doch melden. Goethe als Andrason kömmt vom Orakel …. O, wenn Sie ihn nur da hätten sehen sollen! Augen, Geberden, Ton, Gesticulation – Alles in Allem, sage ich Ihnen. Ich war gar nicht mehr im Orchester, ganz in der Atmosphäre von Casa santa.“

In den Tagen der Kaiserkrönung hatte sie noch ihren frischen Humor, ihren lebhaften, muntern Geist, ihren leichten, heitern Sinn, ihren derben Mutterwitz, ihr weiches, warmes Herz, ihr freundliches, tiefes Gemüth. Sie, welche „die Menschen sehr lieb hatte und immer die gute Seite auszuspähen suchte“, hatte an Anderer Freude selbst herzliche Freude. Ihr Haus war stets gastfrei; sie konnte sich rühmen, „daß noch keine Menschenseele mißvergnügt von ihr weggegangen, weß Standes, Alters und Geschlechts sie auch gewesen.“

Mit Freude empfing sie die ihr zugewiesenen fürstlichen Kinder. Die Ankunft derselben war ein wahres Fest für das Goethe-Haus; denn die anmuthigen Kinder hatten sofort das ganze Herz der Frau Rath gewonnen. Sie that ihnen Alles zu Liebe, zu Gefallen und zur Unterhaltung. Ohnehin war sie dem Verkehre mit der Jugend zugethan. So plauderte, spielte und schaffte sie denn auch ganz jugendlich mit den Fürstenkindern und gewann sich mit diesem herzigen Wesen gar bald die Liebe derselben. Auch an sorglicher Bewirthung ließ sie es nicht fehlen, aber

  1. Karolin, auch Karlin genannt, war eine seit 1732, wo sie zuerst Karl Philipp von der Pfalz schlagen ließ, in Oberdeutschland allgemein gangbare Goldmünze. Ihr Werth schwankte zwischen 18 bis 20 Mark.
    D. Red.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1882). Leipzig: Ernst Keil, 1882, Seite 762. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1882)_762.jpg&oldid=- (Version vom 15.8.2023)