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Verschiedene: Die Gartenlaube (1882)

Rath hörte nicht auf, nach den ihr unbekannten Personen zu fragen: „Wer ist die? wer ist das?“ Und wie sie wieder nach dem Namen einer Dame fragte, die eben gesprochen hatte, antwortete die Königin:

„Frau von Guttenhofen!“

„Die Frau von Guttenhofen?“ fuhr sofort Frau Rath lebhaft und in größter Wuth auf; „die Frau von Guttenhofen, die so grob war? Lassen Ihro Majestät ihr nun gleich befehlen, sie soll sich ihre Aermel abschneiden!“

Auch im Juni 1803 sah Königin Louise die hochbetagte Freundin in Frankfurt wieder und erfreute sie durch das Geschenk eines goldenen Halsbandes.

Mit dem Prinzen Georg, dem Freunde ihres Sohnes, stand Frau Rath in Briefwechsel. In einem in meinem Besitze befindlichen Briefe vom 20. August 1805 schreibt er ihr von Charlottenburg aus in alter Herzlichkeit: „Da ich weiß, daß Sie Ihrem alten Freunde Gerechtigkeit widerfahren lassen, so würde es mir unmöglich seyn, Ihnen meine Freude Ihres lieben Briefes wegen mit den gewöhnlichen Schnörkeln auszumahlen. Ich sage Ihnen lieber, daß ich darin ganz meine alte, liebe Räthin erkannt habe, die Frau, von der es mich nie gewundert hat, daß sie uns Goethe gebahr …. Bleiben Sie mir nur immer recht gut und recht lang noch hier auf Erden – damit wir noch oft die Gläser anklingen können, wenn ich durch Frankfurth komme, zum Angedenken der schönen, alten Zeit; denn ich glaube nun mit ziemlicher Gewißheit bestimmen zu können, daß ich wohl immerdar der Alte bleiben werde. Die Königin, welche mich versichert, Sie mit herzlicher Freude in Frankfurth wiedergesehen zu haben, grüßt Sie schönstens, und ich – wenn Sie’s erlauben – umarme Sie nach alter Uebereinkunft auf alte deutsche Weise.“

Leider sollte sein Wunsch, die Frau Rath möge, „noch recht lang hier auf Erden“ bleiben, nicht in Erfüllung gehen. Wohl sah er sie im Februar oder März 1808 in Frankfurt noch einmal wieder. Er trat bei ihr gleich mit den Worten ein: „Frau Rath, werd’ ich heut’ Abend mit Ihnen einen Specksalat mit Eierkuchen essen?“ und gedachte der unvergeßlichen Krönungstage, der Brunnenlust und der eingeschlossenen Hofmeisterin. Doch schon wenige Monate später, am 13. September 1808, schied die wackere Frau aus dem Leben. Am 19. Juli 1810 folgte ihr die liebenswürdige königliche Freundin Louise. Prinz Georg aber, seit 1816 Großherzog von Mecklenburg-Strelitz, bewahrte der „alten lieben Räthin“ alle Zeit treues Andenken, und noch im Jahre 1822 erzählte Friederike, die damalige Herzogin von Cumberland (nachherige Königin von Hannover), zu Teplitz in vertrautem Kreise in treuer, liebevoller Erinnerung, ja mit kindlicher Nachfreude, von der guten Frau Rath und von der herzlichen Aufnahme, die sie einst bei ihr als Einquartierung im Goethe-Hause gefunden hatte.




Eine verschollene Universität.

Die Empfindung von der erhebenden Wahrheit des Dichterwortes: „Die Stätte, die ein guter Mensch betrat, ist eingeweiht –“ ergriff mich in ihrer ganzen Stärke, als ich die Straßen des alten braunschweigischen Städtchens Helmstädt durchwanderte und mich unter den Wölbungen seiner ehrwürdigen Häuser von den Geistern jener erleuchteten gelehrten Männer umwehen ließ, welche fast drei Jahrhunderte lang hier gearbeitet und geschaffen, gestrebt, gerungen und durch ihr Wort und Beispiel weit hinaus in’s deutsche Vaterland gewirkt haben.

Helmstädt! Wie Wenigen ist der Name überhaupt geläufig, und doch war diese reizend unter dem Elm gelegene braunschweigische Stadt bis in das erste Jahrzehnt unseres Jahrhunderts der Sitz einer Universität, welche einst eine glänzende Blüthezeit durchlebte und nicht nur durch eine Reihe berühmter Docenten, sondern auch durch die große Anzahl ihrer Studenten, die sich zeitweise auf 2000 steigerte, eine geistige Macht repräsentirte.

Die thüringischen, noch mehr aber die Städte des Harzes, vor Allem Braunschweig, zeigen in ihrer ganzen Anlage und ihrem Häuserbau fast durchgängig noch jenen unmittelbaren Charakter des späten Mittelalters und der Reformationszeit, welcher in anderen Städten des deutschen Nordens bis auf wenige Ausnahmen gänzlich geschwunden ist; wenn man sich in eine jener gewundenen Straßen oder auf einen der entlegeneren Plätze hinstellt, wo nicht moderne Kaufläden und Schilder störend in das alte Bild hineinragen, so glaubt man sich vollständig in die „gute alte“ Zeit zurückversetzt und erwartet jeden Augenblick, daß ein Hochweiser mit Sammetbarett, kurzem schwarzen Mantel und Schnabelschuhen oder eine Patricierfrau mit der hohen Spitzenhaube, gepufften Aermeln, knappem Mieder und dem vergoldeten Gebetbuche in der Hand uns entgegentreten müsse.

Helmstädt, zum Theil eine neue Stadt, trägt in seinen älteren Straßen noch ganz jenen Charakter der Reformationszeit; wir freuen uns an manchem charakteristischen Holzbau, an den mehrere Fuß über einander nach der Straße vortretenden Stockwerken, an Giebeln und Schnitzereien, an Inschriften, Figuren und Wahrzeichen; kaum können wir hier eine Straße zu Ende gehen, wo nicht an einem jener Häuser eine große Steinplatte mit goldener Inschrift die kurze Lebensgeschichte jener verdienten Männer erzählt, welche in diesen Häusern gewohnt und – um es gleich dazu zu sagen – docirt haben; denn die Collegien fanden in den Privatwohnungen der Docenten statt, eine Einrichtung, die sich manche Professorenfrau heute entschieden verbitten dürfte; die Gelehrten hatten in ihren Mauern ihre ganze geistige Werkstatt, Bibliothek und Laboratorium, hatten nicht die Störung des Umkleidens und des wenn auch nicht großen Weges nach der Universität, ein Moment, welches bei den riesenmäßigen Arbeiten der Gelehrten des sechszehnten und siebenzehnten Jahrhunderts gewiß in Betracht gezogen zu werden verdient. Das Universitätsgebäude, die sogenannte Julia Carola, war nämlich bei weitem nicht groß genug, daß sie für mehr als ein paar hundert Studenten hätte ausreichen können. Das jetzt in jenes Gebäude verlegte Gymnasium giebt nur etwa 250 Schülern Platz.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1882). Leipzig: Ernst Keil, 1882, Seite 764. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1882)_764.jpg&oldid=- (Version vom 15.8.2023)