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verschiedene: Die Gartenlaube (1882)

Sämmtliche Tafeln an den Häusern, wie auch die Universität selbst und alle Gebäude, die zu ihr eine Beziehung haben, tragen als Wappen einen Simson, welcher einem grimmigen Löwen den Rachen aufreißt; hinter Mann und Thier sieht man eine Sonne mit den Worten: ex forti dulcedo (Süßigkeit von dem Starken). Dieses von Kaiser Maximilian verliehene Siegel brachte zuwege, daß man alle Diejenigen, welche nicht unter diesem Zeichen standen, also alle Nichtakademiker, mit dem Namen der von Simson bekämpften Philister belegte, eine Sitte, die noch heute durch ganz Deutschland auf allen Universitäten herrscht und deren Zurückführung auf das Städtchen Helmstädt gewiß Wenigen geläufig ist.

Der Stifter der Universität, dessen Bild und Gestalt uns in der Aula und in den vielen Reliefs und Statuen an der Façade des Gebäudes entgegentritt – ich benutze einen sehr ausführlichen, nach authentischen Quellen gearbeiteten Aufsatz des Montagsblattes der „Magdeburger Zeitung“ von 1876 – war der 1529 geborene Herzog Julius von Braunschweig, ein bedeutender Fürst, der, an der Grenzscheide des alten und neuen Glaubens stehend, gegen seinen streng katholischen Vater einen Kampf auf Tod und Leben durchzufechten hatte.

Die „Julia Carola“ (Theatrum Musarum) in Helmstädt. Originalzeichnung von G. Sundblad.

Aehnlich wie bei Friedrich Wilhelm dem Ersten und Friedrich dem Zweiten, spitzten sich in diesen beiden Männern die Gegensätze alter und neuer Zeit derartig zu, daß der junge ketzerische Herzog, für den bereits das Gewölbe zu seiner Einmauerung hergerichtet war, sich vor dem Tode nur durch eine gefahrvolle Flucht retten konnte. Die feste Ueberzeugung, der damals erschrecklichen Unwissenheit der Geistlichkeit nur durch die Gründung einer Hochschule im Herzogthum Braunschweig abhelfen zu können, ließ ihn die Ausführung dieses Planes mit großer Energie betreiben, und so konnte er schon im Jahre 1576 an der Spitze eines aus Fürsten, Grafen, Prälaten, Ritterschaft und Abgeordneten bestehenden farbenprächtigen berittenen Zuges der feierlichen Eröffnung der Universität Helmstädt als ihr Rector perpetuus im schwarzen „bischöflichen Habit“ beiwohnen. Bei seinem Tode, dreizehn Jahre später, hatte die Akademie bereits vier Theologen, fünf Mediciner, sechs Juristen und neun Philosophen zu Lehrern. Die Nachfolger dieses Herzogs hüteten das junge aufblühende Unternehmen mit großem Eifer.

So wurde unter seinem Sohne Heinrich Julius, der, ein wahres Wunderkind, schon in seinem zehnten Jahre die gelehrtesten Professoren in die Enge getrieben haben soll, der prächtige Bau des „Theatrum Musarum“ aufgeführt, der uns noch heute im Wesentlichen erhalten ist – ein Gebäude, wie es zu jener Zeit keine andere deutsche Universität auszuweisen hatte. Derselbe ist nach dem Vorbilde der Oxforder Universität in edlem Renaissancestil gebaut und macht mit seinen säulen- und statuengezierten, den Unterbau kranzartig umgebenden Erkern, seinen mächtigen, mit zierlichem Maßwerk durchflochtenen Fenstern, den beiden wappengeschmückten Portalen und dem zierlichen, hohen, mit steinerner Gallerie umgebenen Treppen- und Uhrthurm einen höchst harmonischen Eindruck. Unter dem Gebäude zieht sich ein Weinkeller hin – damit, wie der Herzog bestimmte, „die Studenten lernen sollen, daß Bacchus von ihnen mit Füßen getreten werden müsse.“

Der Schrecknisse des Dreißigjährigen Krieges, welchen eine große Anzahl öffentlicher Lehrinstitute erliegen mußte, ungeachtet, blühte die Universität weiter und glänzte während derselben durch ein Trifolium von Docenten, theilweise Schülern von Melanchthon, auf dem Gebiete der humanistischen Studien, durch Johann Caselius, den man den „Phönix Deutschlands“ nannte, ferner durch Cornelius Martini und vor Allem durch Georg Calixt, den hochangesehenen theologischen Gelehrten und Redner, einen Apostel der Milde und Toleranz, welcher, beweint „als der Universität Ehrensäule, das edelste Kleinod des lieben Vaterlandes“, und mit Titeln und Einkünften, wie nie zuvor ein Professor, gesegnet, 1656 zu Grabe getragen wurde.

Fast noch als Zeitgenosse von ihm glänzte der berühmte Polyhistor, „das Wunder des Jahrhunderts“, wie auf seinem Grabsteine steht, ein zweiter Faust, „der Theologie, Juristerie, Philologie und Medicin Doctor, Redner, Poet, Geschichtsschreiber“, gar einzig in seiner Art – Herman Conring. In allen Gebieten hatte er Hervorragendes geleistet, durch seine eminente publicistische Thätigkeit die Aufmerksamkeit auswärtiger Könige erregt und war bei diesem weitumfassenden Geiste so unscheinbar von Gestalt, daß er zu allerlei Anekdoten Veranlassung gab, die man sich heute noch in Helmstädt von ihm erzählt. So wartete einmal vor seinem Hause am Ziegenmarkt die herzogliche Equipage nebst Vorreiter, um ihn nach Wolfenbüttel abzuholen. Als Conring sich dem Wagen naht, fragt der Kutscher:

„Nun, Kleiner, willst Du denn auch mit?“ – und sagt, als sich der Geheimrath lachend vorstellt: „Na, wenn das ist, da hätten wir doch nicht vierspännig vorzufahren brauchen; Sie hätte ich in meiner Kiepe nach Wolfenbüttel tragen können.“

Ein einziges Mal, während des Dreißigjährigen Krieges, im Jahre 1626, waren die Vorlesungen für ein Semester eingestellt worden, weil die Professoren vor dem Eindringen von Heeresabtheilungen noch dem festeren Braunschweig geflohen waren, die Studenten aber meistentheils Kriegsdienste genommen hatten, um von der Beute im Wintersemester zu studiren. Darnach aber wuchs die Zahl der Akademiker bis auf die imponirende Zahl von 2000, welche allerdings schon bei Gelegenheit des hundertjährigen Jubiläums 1676 wieder auf die Hälfte zurückgegangen war.

Diese Säcularfeier, welche die ruhmreiche Thätigkeit von dreißig Theologen, achtunddreißig Juristen, dreiundzwanzig Medicinern und zweiundsechszig Philosophen registriren konnte, wurde unter dem feierlichen Geläute aller Glocken der Stadt und dem Schalle der Pauken und Trompeten, in Gegenwart einer großen Menge Festtheilnehmer kirchlich und akademisch, durch Umzüge, Bankette, die Promotion von zwanzig Doctoren, Chorgesänge, Denkmünzenprägung und, was den Vergnügungen jener Zeilen immer einen humanen Zug beifügte, eine große Armen-Speisung begangen.

Das zweite Jahrhundert des Bestehens der Universität glänzte durch das Wachsen der inneren Einrichtungen. Die Bibliothek war durch die Munificenz der gelehrten Herzöge auf 6000 Bände angeschwollen, besaß eine Zahl Originalcodices lateinischer Schriftsteller, handschriftliche Chroniken und Correspondenzen, unter ihnen namentlich die Briefe Luther’s und Melanchthon’s. Auch Luther’s Brautring mit dem Motto: „Was Gott zusammengefügt, soll niemand scheiden“ – wurde als Schatz verwahrt. Die Anatomie, die Bildergallerie, astronomische und astrologische Globen, Atlanten, physikalische Instrumente und allerlei Curiositäten, wie sie selbst in den Arsenalen der Wissenschaft des achtzehnten Jahrhunderts nicht fehlen durften, erregten in der ganzen gebildeten Welt Aufsehen.

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verschiedene: Die Gartenlaube (1882). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1882, Seite 765. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1882)_765.jpg&oldid=- (Version vom 16.8.2023)