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Verschiedene: Die Gartenlaube (1882)

Populäre heimische Vögel auf der Anklagebank.

Eine praktische vogelkundliche Untersuchung.
Von Gebrüder Adolf und Karl Müller.
(Fortsetzung.)
2. 0Die Ueberhandnahme des Haussperlings.

In gewissem Sinne ist der Haussperling unter den gefiederten Wesen dasjenige, welches sich – wie der Hund unter den Säugethieren – den menschlichen Verhältnissen am meisten anzuschließen versteht. Er hat dem Gebieter der Erde Manches abgesehen und von ihm Mancherlei gelernt – aber umgekehrt wie der intelligente und treue Hund – im Verkehr mit dem Menschen sich hauptsächlich nur schlechte Gewohnheiten angeeignet.

Der Haussperling ist ein Culturvogel, und sein Bestehen knüpft sich eng an den Ackerbau: nur in Gegenden des landwirthschaftlichen Betriebs und unter Verhältnissen, welche diesem Vogel wesentlich die Nahrung aus Feld- und Gartenerzeugnissen bieten, nistet er sich ein; er vermehrt sich dort zusehends. Wenn wir schon im Jahre 1873 in unserem Werke „Die einheimischen Säugethiere und Vögel nach ihrem Nutzen und Schaden in der Land- und Forstwirthschaft“ im Allgemeinen zu dem Resultate kamen, daß der Schaden des Sperlings seinen Nutzen entschieden überwiege, so müssen wir kraft unserer fortgesetzten Untersuchungen und Ermittelungen dieses Urtheil heute vollauf bestätigen, ja noch schärfer als früher aussprechen:

Den Schaden, den Krähe und Dohle in großem Maßstabe anrichten, verübt unser Spatz im Kleinen. Aber die Masse, in welcher er auftritt, steigert die Verderblichkeit seines Thuns und Treibens. An Klugheit, Vorsicht und Frechheit giebt er der Krähe nichts nach, und dazu kommt, daß er sich kraft der vielfachen Beziehungen zu menschlichen Verhältnissen eine Lebenspraxis angeeignet hat, die ihn bei seinen Plünderungen nur allzu oft vor Nachstellungen schützt. Sein Naturell ist zählebig wie seine geistige Begabung vielseitig, und wie die Krähe in der Flur jede Nahrungsquelle ausfindig macht, so fühlt er sich in Haus, Hof, Garten, Haagen und Baumstücken daheim. Seine ganze nutzenbringende Thätigkeit beschränkt sich wesentlich auf die Zeit im Frühlinge, wo er seine ersten Bruten mit Insecten nährt, und zwar meistens mit Raupen. Die Nestlinge füttert er mit Kerfthieren – aber nur, so lange sie noch nackt sind; sobald sie die Kiele gestoßen haben, fängt sofort die Atzung mit Körnern, und zwar mit milchigen jungen Erbsen und Getreide, an, welche Nahrung allmählich die ausschließliche bei Jung und Alt wird. Den zweiten und späteren Bruten reicht der alte Sperling in den meisten Fällen nur Körner.

Mit dem Beginne der Kerffütterung aber fällt eine andere schädliche Bethätigung des Sperlings zusammen: er beißt freventlich die Blüthen- und Blattknospen an den Obstbäumen ab. Wenn nun neuerdings behauptet wird, daß alle abgebissenen Knospen Blüthenbohrer, wie z. B. den Apfelblüthenbohrer (Anthonomus pomorum), enthielten, so ist dies nicht zutreffend: wir haben uns wiederholt durch innere Untersuchungen frischerlegter Sperlinge davon überzeugt, daß die Masse im Kropfe vorhandener Blüthenknospen nur aus gesunden Exemplaren bestand. Das Abbeißen der Knospen artet bei diesen Vögeln in Unart, in Spielerei aus. Daß die Entdeckung eines Kerfs in den Knospen den Unhold bei solchen Ausartungen zum Abbeißen und Untersuchen von Knospen nach Insecten antreibt, wollen wir zwar nicht in Abrede stellen; denn oft genug haben wir wahrgenommen, daß er eine Zeitlang die abgebissenen Knospen im Schnabel herüber und hinüber wirft, um sie sodann fallen zu lassen. Daß er aber diese Verheerungen auch an ganz gesunden Knospen anrichtet, davon haben wir uns öfters genau überzeugt.

Unsere Hausfrauen und Gärtner ärgert der freche Eindringling gleich im Frühjahre durch Auflesen der ausgestreuten Sämereien. Vergeblich sind hier Scheuchen und Klappern aufgestellt worden, wie man sie auf den Obstbäumen zum Schutze der Früchte anwendet. Der Wohlerfahrene hat diese Popanze und Lärmmaschinen längst als ungefährliche Spielereien kennen gelernt und scheut sie deshalb absolut nicht, wie er umgekehrt die eiserne und steinerne Falle, welche ihm die Jugend stellt, respectvoll meidet. Die stillen Frühstunden oder die sonst irgendwie gesicherten Tageszeiten werden von dem Pfifficus schlau benutzt; er lockt seine Cameraden durch Rufe zu gemeinsamem unbedrohtem Handeln herbei. Unter und auf den bunt mit allen möglichen Drohungszeichen und Lärmapparaten decorirten Rabatten hebt das graue Gesindel nun frech die eben aufgekeimten Erbsenpflänzchen aus der Erde, um die angeschwollene Frucht zu verzehren oder die Jungen damit zu füttern, und wenn die Ranke die ersten Schoten treibt, dann ist der Spitzbubenhaufen der Alten mit der herangewachsenen Brut schon wieder zur Verheerung da. Ebenso fällt Monsieur Sperling häufig in den Weizen, die Gerste und den Hafer, ehe diese Früchte noch reifen, um seinen Jungen die willkommenen Körner zuzutragen. Gleich wie die Frucht des Feldes, so wird das Obst der Baumstücke und Gärten heimgesucht, und vor Allem liebt der Sperling das Steinobst; er liebt es leidenschaftlich. Zur Zeit der Reife dieser Obstart haben sich schon die meisten Bruten des Vorsommers als angehende selbstständige Spatzen zusammengeschaart und bemächtigen sich nun der besten Kirschen, Pflaumen, Aprikosen, Mirabellen, Reineclauden, Zwetschen etc., deren sie nur irgend habhaft werden können; sie schlürfen begierig den süßen Saft. Zuletzt kommen die Weintrauben an die Reihe, die von einzelnen Räubern und ganzen Räuberschaaren unter dem heimlichen Dämmer der Spaliere und des Gemäuers geplündert werden.

Vorher schon hat der Spatz in den ansehnlichen Flügen des August die Frucht- und Samenäcker, vornehmlich die den Ortschaften und Städten zunächstliegenden, überfallen. Im Hanfe, in der Hirse und dem Mohne zehntet er gehörig, sodaß unter dem Gewichte der sich niederlassenden Vögel die Halme sich beugen und zur Erde knicken am dort nach allen Richtungen hin verzerrt und verbissen zu werden. Die aufgestellten Garben umsitzt und umhängt das Diebsvolk oft wie ein grauwimmelnder Bienenschwarm den Korb. Auch das eingeheimste Getreide bestiehlt der Sperling den Winter über in den Scheunen und Diemen, wie die aufgeschüttete Frucht auf den Böden.

Was bedeutet nun die geringe Ausbeute des Vogels an Kerfen, welche er im Frühjahr macht – was bedeutet sie diesem Diebeshange nach Körnernahrung gegenüber? Was will die Leistung des im Fluge unbeholfenen Vogels beim Maikäfer-, Schmetterlings- und sonstigen Insectenfange sagen? Sie ist nicht erwähnenswerth im Vergleiche z. B. mit dem Nutzen, welchen die Saatkrähe uns durch massenhaftes Erbeuten des Mai- und Junikäfers leistet, indem sie ihn morgens mit Flügelschlägen von den Zweigen zur Erde wirft – nicht erwähnenswerth neben dem emsigen Haschen dieses Insects durch die gemeine Fledermaus. Und doch erweisen sich auch die Vertilgungen durch Krähe und Fledermaus in einem sogenannten Maikäferjahre nur als ohnmächtig. Noch weniger von Gewicht ist die nur gelegentliche und vorübergehende Ernährung des Sperlings durch Regenwürmer und Erdkerfe. Den Nutzen, welcher durch diese ganz untergeordneten Bethätigungen erzielt wird, drängt der Allesfresser wieder in den Hintergrund durch die nur wenig unterbrochenen Plünderungen in den Gehöften an ausgestellten Käsen, am Fleische und Fette der Metzgerläden, in den Vorrathskammern der Wohnungen, welche Orte alle er ebenso keck und aufgeräumt wie mißtrauisch und vorsichtig besucht, abgesehen von unzähligen anderen Diebswegen. Er lebt mit dem ganzen Volke des Hausgeflügels; ja er weiß sich sogar mit den Hofhunden zu vertragen, die ihm gern den Zehnten ihrer Futternäpfe überlassen.

Werfen wir nach der Schilderung dieser einzelnen Lebensäußerungen des Sperlings nunmehr einen Blick aus sein charakteristisches Betragen, sein Auftreten überhaupt dem Menschen und der gefiederten Weit gegenüber! Ueberall bekundet er sich als ein kecker, durch lange Duldung und Hegung immer muthwilliger und unverschämter gewordener Strolch, der vorübergehende, nicht durchgreifende Verfolgungen nur zu verhöhnen scheint, der sich mit der Miene eines übermüthigen Wohlberechtigten allerorten breit macht, wo er sich vorwitzig eingedrängt hat. Sein Losungswort heißt: ubi bene, ibi patria – zu deutsch: wo mir’s behagt und wo ich stehlen kann, da bin ich daheim, und er erweitert zu Gunsten seiner Beeinträchtigungen fremden Eigenthums diesen Spruch, indem

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1882). Leipzig: Ernst Keil, 1882, Seite 767. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1882)_767.jpg&oldid=- (Version vom 16.8.2023)