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Verschiedene: Die Gartenlaube (1882)

dem Kleinverkehr in jener Stadt größtentheils zu Gute kommen; denn die Einwohnerschaft Astorias, aus den verschiedenartigsten Nationalitäten zusammen gewürfelt, gehört durchaus nicht zu dem Geschlechte der Philister, sondern läßt ihre schwer erworbenen Dollars auf noble Weise in den 40 Kneipen, in den Handelshäusern, den Austerstuben und anderen civilisatorischen Etablissements des auf eine große Zukunft aspirirenden Millionärstädtchens wieder unter die Leute kommen. Daß Raufereien, Schießaffairen und Stechereien in Astoria zu den Seltenheiten gehören, scheint bei einer so gemischten Bevölkerung fast unbegreiflich zu sein, ist aber dennoch der Fall, und es freut mich, dem lustigen Astoria in dieser Beziehung ein so gutes Zeugniß in diesem Weltblatte ausstellen zu können.

Ein prächtiges Schauspiel bot sich mir dar, als ich am Abend jenes Ostersonntags bei dem herrlichsten Wetter den Blick von den hinter Astoria gelegenen bewaldeten Höhen über den mächtigen Columbia schweifen ließ: ein etwa sieben englische Meilen breites Gewässer dehnte sich vor meinen Augen aus, und diese ungeheure Wasserfläche war mit mehr als 500 Segelböten bedeckt, die alle der Mündung des Stromes zustrebten, um dort bei einbrechender Nacht ihre Netze zum Fangen eines Theils der Avantgarde der diesjährigen Salmenarmee auszuwerfen. Unter mir lag Astoria mit seinen zahlreichen, auf Pfeilern in den Strom hinausgebauten Holzquais, und zu beiden Seiten der Stadt, von der unteren Bucht bis nach dem sich im Osten als dichtbewaldete Höhe in den Strom hinausschiebenden „Tongue Point“, zog sich in großen Bogen eine lange Reihe von „Canneries“ hin, d. h. von fabrikartig angelegten Anstalten zum Verpacken der Salmen. Am gegenüberliegenden Ufer des breiten Columbia erstreckten sich die malerischen, mit dichtem Waldstande bekleideten Höhenzüge im Territorium Washington und fanden in weiter Ferne ihren Abschluß in einem sich kühn aufbauenden grünen Vorgebirge, dessen Fuß der große Ocean bespült. Ich habe ein gutes Stück dieser schönen Erde gesehen, aber ich muß gestehen, daß ich kein Flußpanorama kenne, welches sich, wenn der Himmel seinen in diesen Breiten alltäglichen grauen Wolkenanzug einmal mit einem sonnigen blauen Festgewande vertauscht, an Großartigkeit mit dem des unteren Columbia messen kann.

Den Lesern soll hier jedoch keineswegs eine landschaftliche Studie geboten werden; es soll sich vor ihren Augen nur ein Bild des industriellen Treibens an den Ufern des Columbiastromes entrollen. Begleiten wir also die Armada der Segelböte auf ihrer Fahrt nach den Fischereigründen an der Strommündung! Nur vier Monate im Jahre – vom 1. April bis zum 31. Juli – ist den Lachsfischern ihr Handwerk nach den Gesetzen des Staates Oregon und des Territoriums Washington, deren Grenzscheide der Columbia bildet, gestattet. Früher und später und am Tage des Herrn können die Salmen ihre Wanderung 1000 Meilen stromaufwärts nach ihren Laichplätzen unter polizeilichem Schutze unternehmen; sie haben dann nur noch die Rothhäute an den Dallesfällen zu fürchten, welche über dem Gesetze stehen und die vorbeiflüchtenden Lachsgeschwader zu jeder Zeit mit Netz und Speer attaquiren. Wer sich für diese Art indianischen Fischfangs besonders interessirt, der möge den oben erwähnten Artikel in den früheren Jahrgängen der „Gartenlaube“ nachschlagen. Hier haben wir dagegen nur die Ausrüstung und die Thätigkeit der civilisirten weißen Lachsfischer in’s Auge zu fassen.

Jedes der Fischerböte, welche an der Mündung des Columbia auf den Lachsfang ausgehen, hat eine Besatzung von zwei Mann, einen Fischer und dessen Gehülfen. Es ist ein außerordentlich gefährliches Handwerk, welchem diese Fischerleute obliegen. Da die Salmen dort am delicatesten sind, wo sie aus dem Salzwasser in die Strommündung gelangen, so streben alle Böte darnach, ihre Netze so nahe dem Meere wie möglich auszuwerfen und dort die in den Fluß hineinschwimmenden Lachse zu fangen. Die Mündung des Columbia bildet nun aber eines der gefahrvollsten Gewässer der Welt, und die Barre des Stromes (Columbia river bar) ist das Schreckgespenst aller Seefahrer an dieser Küste. Selbst bei stillem Wetter ist es dort nichts weniger als gemüthlich, wüthet aber ein Südweststurm, so ist die Brandung auf der Barre grauenhaft.

Die Böte, welche auf den Salmenfang ziehen, benutzen stets die Nacht zur Ausübung ihres gefährlichen Handwerks, da diese die passendste Zeit für einen ergiebigen Lachsfang bildet. Einige Meilen oberhalb der Strommündung werfen die Fischer ein gewaltiges Netz aus, das eine Länge von etwa 1500 Fuß und eine Tiefe von 30 Fuß hat. Das Netz ist aber kein geschlossenes, sondern nur ein riesiger Maschenvorhang, der von circa 100 Pfund schweren Bleigewichten in senkrechter Stellung im Wasser gehalten und oben durch eine Menge von schwimmenden Holzklöpfeln getragen wird. Mit der Ebbe treibt dieser Maschenvorhang, dessen eine Seite am Boote hängt, langsam stromab. Das Netz hat eine bräunliche Färbung, sodaß die Salmen es im Dunklen vom Wasser nicht unterscheiden können. Die unglaublich schnell stromauf schwimmenden Lachse rennen nun kopfüber in die Maschen. Die kleineren dagegen zwängen sich durch die Maschen, welche einen gesetzlich vorgeschriebenen Durchmesser von 8 1/[4?][WS 1] Zoll haben – die größeren bleiben darin hängen. Verstricken sie sich mit den Kiemen in den Maschen, so können sie nicht mehr athmen und ersticken buchstäblich im Wasser, so paradox dies auch klingen mag. Gelangen aber die Fische mit dem halben Körper in die Maschen, so werden sie lebendig an’s Boot gezogen und dort – grausam genug! – mit einem Knüppel vom Leben zum Tode befördert.

Die armen Salmen sind aber noch der Verfolgung durch andere Todfeinde ausgesetzt, vor Allem durch die an der Mündung des Columbia sehr zahlreichen Seehunde und Seelöwen. Diese Thiere, denen ein fetter Lachs bekanntlich ein lucullisches Mahl dünkt (vergl. Jahrg. 1881, Nr. 37), stellen sich oft in den Fischereigründen ein und fressen als Feinschmecker den in den Netzen festgerannten Fischen die Kiemen ab, oder reißen sogar einen gefangenen Salm ganz aus dem Netze heraus und verschlingen ihn als guten Bissen. 11 Lachse von je 30 Pfund Gewicht sind ein Mahl für einen ausgewachsenen Seelöwen. Die Fischer haben daher eine erklärliche Wuth auf die Seelöwen, welche die erbeuteten Lachse wie zum Hohn über dem Wasser hin und her schleudern, ehe sie dieselben verschlingen. Aber dieser Spaß kommt manchem dieser lustigen Flußpiraten theuer zu stehen; denn oft muß er ihn mit einer Büchsen- oder Revolverkugel büßen. Nicht besser ergeht es ihm, wenn er, nach gefangenen Lachsen recognoscirend, das Netz entlang ruhig hin und her schwimmt und dabei unvorsichtig den Kopf über das Wasser hebt.

Die Böte treiben, wie gesagt, mit der Ebbe langsam der Barre zu und mit eintretender Fluth wieder stromaufwärts. Gerathen sie aber in stockfinsterer Nacht und bei stürmischem Wetter in die Brandung, so sind sie meistens verloren; denn bevor die Fischer ihre mit Salmen beschwerten Netze von dieser großen Last befreien können, werden sie von den Wogen fortgerissen; die Böte schlagen um, und an Rettung ist nicht zu denken. Sollen doch im letzten Jahre 190 Fischerleute daselbst um’s Leben gekommen sein, ja in einer Nacht kenterten dort 25 Böte, und am nächsten Morgen fand man einige derselben, das Unterste nach oben gekehrt, am Strande; die Insassen der Fahrzeuge hatten sich, um nicht von den Wogen fortgespült zu werden, an den Sitzbrettern festgebunden, waren aber in dieser Lage elendiglich umgekommen. Oefters kommt es auch vor, daß die Böte in Folge der Masse der eingeladenen Fische umwerfen, und die Fischer können von Glück sagen, wenn sie bei einer solchen Katastrophe nur die Salmen und Netze, nicht aber auch noch das Leben einbüßen. Daß eine Ladung von 150 bis 200 Lachsen, die von 20 bis 60 Pfund das Stück wiegen, die Widerstandskraft eines mittelgroßen Fischerbootes bei stürmischem Wetter auf das Aeußerste in Anspruch nimmt, ist wahrlich kein Wunder. Aber die Aussicht auf einen reichen Fang ist für diese waghalsigen Seeleute zu verlockend, als daß da noch die Furcht vor der Gefahr bei ihnen aufkommen könnte.

Die Besatzung der 1200 Fischerböte, welche gegenwärtig den Lachsfang am unteren Columbia betreiben, recrutirt sich aus den kühnsten Seeleuten der Welt. Fast alle seefahrenden Nationen sind unter ihnen vertreten, namentlich Griechen, Dalmatiner, Italiener, Skandinavier, Briten, Amerikaner, Portugiesen, Finnländer und Deutsche. Die Spanier zeichnen sich unter den Fischerleuten durch Heimtücke besonders aus und berauben nicht selten die fremden Netze; oder sie wissen es so einzurichten, daß ihr Netz in dunkler Nacht einige hundert Ellen vor einem anderen stromab treibt, um die Salme zuerst abzufangen, – was man mit dem technischen Namen „corking“ bezeichnet. Chinesen giebt es nicht unter den Fischern; denn die Söhne des Himmlischen Reiches sind zu vorsichtig, um ihre kostbaren Existenzen den oben beschriebenen Gefahren auszusetzen.

Die Böte sind theils das Eigenthum der Fischerleute; theils

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Bruch ist unleserlich gedruckt, wahrscheinlich: 1/4.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1882). Leipzig: Ernst Keil, 1882, Seite 770. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1882)_770.jpg&oldid=- (Version vom 17.8.2023)