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Verschiedene: Die Gartenlaube (1882)

fashionable, noch überhöflich ist, so hat er ja alle Ursache dazu, sich möglichst mit der Weisheit zu befreunden.‘

Von dem wundervollen Topas redete Wenzel mit mir jetzt nur selten; es lag in unserem Gefühl, daß das Kleinod kein geeignetes Thema sei für das beiläufige Gespräch einer müßigen Minute. Als wir damals unseren Freund Angelo auf der Campagna aus den Augen verloren, da nahm ich die innerliche Ueberzeugung mit fort, daß wir eines Tages auf diese oder jene Weise wieder von ihm hören würden; inzwischen aber waren viele Wochen vergangen, ohne daß dies geschehen wäre.

So kam das Weihnachtsfest heran.

Die heilige Nacht fand uns Vier in der sixtinischen Capelle, wo wir mit bebenden Herzen der wundervollen Christmesse lauschten.

Frau Dörpinghaus hatte sich, wie immer, meiner Obhut anvertraut, und als wir Beide aus der Kirche traten, bemerkten wir, daß unsere Gefährten sich im Gedränge von uns verloren hatten. Wir warteten unter den Colonnaden eine Zeit lang vergeblich auf sie, und als wir später vor der Behausung der Damen angekommen waren, stellte es sich heraus, daß die Beiden hier noch nicht eingetroffen waren. Ich fühlte mich berufen, das Pärchen zu entschuldigen, und sagte daher, daß sie wahrscheinlich, der Schaar der übrigen Messebesucher folgend, zur Peterskirche gewallfahrtet seien, um dort in dem gewaltigen, halbdunklen Raume die tausend Kerzen brennen zu sehen. Man könne ja auch nichts Anstößiges in dieser nächtlichen Promenade der Zwei finden, da sie, im Grunde genommen, doch Onkel und Nichte seien.

Endlich trafen die Verspäteten ein, nicht nur als Onkel und Nichte, sondern – als Verlobte. Ich erfuhr dies am nächsten Morgen, als ich zu Wenzel in’s Zimmer trat. Er lief rastlos auf und ab, und ich sah ihm an, daß er mir etwas mitzutheilen hatte. Endlich brachte er’s heraus.

‚Höre,‘ begann er, ‚eine Neuigkeit! Ich bin verlobt. Ich bin, wie Du mich hier siehst, sozusagen ein glücklicher Kerl.‘

Ich wünschte ihm von Herzen Glück, während er wieder erregt hin und her ging. Plötzlich blieb er vor seinem Schreibtische stehen und zog ein Fach heraus. Da lag der große Intaglio; er erschien mir mächtiger und majestätischer als je zuvor.

‚Das wäre eine Brautgabe,‘ sagte Wenzel, nachdem er seine Augen einige Zeit an der strahlenden Pracht des Juwels geweidet hatte. ‚Wie würde sie den Stein am besten tragen können? Wie müßte er wohl gefaßt werden?‘

‚Sicherlich nur auf eine Art,‘ entgegnete ich ‚in ein massives Medaillon, an einer kostbaren Halskette hängend. Wohl würde dieses kaiserliche Kleinod, auf dem Busen einer schönen Frau ruhend, die Welt mehr mit seinen Strahlen füllen, als nun, da es hier im finsteren Schubfach zwischen Bürsten und Rasirmessern verborgen liegt. Meiner Meinung nach aber dürfte nur eine Schönheit von einem ganz bestimmten Typus einen solchen großartigen Schmuck tragen – ein dunkles, volles, prächtiges Weib, ein Weib mit den Brauen einer römischen Kaiserin und mit den Schultern einer classischen Statue. Ein schlankes, sylphenhaftes Kind mit blauen Augen und goldenem Haar dagegen würde, nach meinem Gefühl, damit überlastet erscheinen, und wenn ich den Stein zum Beispiel an Fräulein Helene’s Halse sehen müßte, würde ich die Empfindung haben, derselbe zöge sie niederwärts.‘

Wenzel schien durch meinen Einwand unangenehm berührt, aber als er das Schubfach schloß, lächelte er wieder.

‚Helene hat nun freilich wohl nicht die Schultern der milesischen Venus,‘ antwortete er, ‚aber ich glaube, daß es mehr als eines solchen Spielzeugs bedarf, um sie niederwärts zu ziehen.‘

Es hat viel Weihnachtsfeste gegeben, an denen ich nicht zur Kirche gegangen bin, aber so lange ich denken kann, habe ich an der Gewohnheit festgehalten, am Christtage einen langen, einsamen Spaziergang zu unternehmen – es sei das Wetter wie es wolle – und dabei christlichen Gedanken nachzuhängen, sofern solche sich einstellten. So hielt ich es auch an jenem Christtage unter italienischem Himmel. Das Wetter war mild, beinahe warm, das Firmament grau und sonnenlos. Ich schlenderte durch die Straßen der Stadt und suchte endlich das Coliseo auf. Der weite Cirkel war menschenleer, bis auf eine einsame Gestalt, die auf den Stufen des Kreuzes saß, das sich im Mittelpunkte der Arena erhebt – es war ein junger Mann, der, vornüber gebeugt, regungslos dasaß und die Ellenbogen auf die Kniee, das Gesicht in die Hände stützte. Als ich dicht an ihm vorbeiging, erhob er den Kopf; und ich erkannte Angelo. Seit unserer Begegnung waren nur sieben Wochen vergangen, er aber schien um drei Jahre älter geworden zu sein. Er hatte an Fülle verloren, an Ausdruck gewonnen. Als er grüßte, lag in dem Ton seiner Stimme keine Spur mehr von kindischer Einfalt. Er sah ernster, männlicher und gar nicht mehr wie ein Dorfbewohner aus. Seine Kleider waren neu und modern, dabei aber vernachlässigt und unsauber. Der ganze Mensch war so verändert, als habe er inzwischen eine Reise um die Welt gemacht. Ich reichte ihm die Hand und fragte ihn, ob er sich meiner noch erinnere.

Per Dio!‘ schrie er. ‚Dazu habe ich doch wahrlich Grund genug.‘

Angelo trug einen Zorn gegen uns in seinem Herzen. Wer mochte ihm die Augen geöffnet haben? Er sah mich in stummem, halb bittendem, halb drohendem Vorwurfe ernst an. Der Mann that mir leid; denn er hatte etwas verloren, das köstlicher gewesen, als der kaiserliche Topas: seine harmlose, knabenhafte Unwissenheit war von ihm gewichen, jene idyllische Gemüthsruhe, in deren Schatten er damals so sorglos und behaglich in der Campagna geruht, den Kopf auf blumenüberwucherten Steinen. Etwas von seiner früheren Einfalt lag aber auch jetzt noch in seinem gereizten Wesen.

‚Wo ist der andere – Ihr Freund?‘ fragte er dumpf.

‚Zu Hause, noch immer in Rom.‘

‚Was hat er mit dem Steine angefangen?‘

‚Nichts. Er besitzt ihn noch heute.‘

Angelo schüttelte klagend den Kopf.

‚Verkauft er ihn mir wohl, wenn ich ihm fünfundzwanzig Scudi dafür biete?‘

‚Ich fürchte, nein. Er schätzt den Stein sehr hoch.‘

‚Das glaub’ ich. Ob er ihn mir wohl noch einmal zeigt?‘

‚Das müssen Sie ihn selber fragen. So viel ich weiß, hat er ihn noch Niemand gezeigt.‘

‚Ha! Er fürchtet sich vor Räubern. Ja, ja! Das ist ein Beweis für die Kostbarkeit des Steines. Hat er ihn auch noch keinem Juwelier, noch keinem Steinschneider gewiesen?‘

‚Ich sagte Ihnen ja, noch Niemand hat den Stein gesehen. Sie müssen mir glauben, Freund.‘

‚Er hat ihn aber gereinigt und gewaschen und polirt und dann entdeckt, was er ist – he?‘

‚Der Stein ist sehr alt.‘

‚Sehr alt – he? Gewiß ist er sehr alt. Er zählt mehr Jahre, als er mir Scudi eingebracht hat. Und wie sieht er aus? Roth? Blau? Grün? Gelb?‘

Ich zögerte einige Augenblicke, und dann sagte ich:

‚Gelb.‘

Er sah mich lauernd und durchdringend an.

‚Es ist ein Topas!‘ rief er dann.

‚Ganz recht, es ist ein Topas.‘

‚Und ein kunstvoll geschnittener! O, das habe ich wohl gesehen. Ein Intaglio ist’s. Ich weiß jetzt alle die Namen, hab’ ich diese Weisheit doch theuer genug bezahlt! Was stellt das Bildniß vor? It’s eines Königs Kopf? Oder gar der eines Papstes? He? Oder ist’s eine jener schönen Frauen, von denen man in den Büchern liest?‘

‚Es ist das Bild eines Kaisers.‘

‚Eines Kaisers? Wie ist sein Name?‘

‚Tiberius.‘

Corpo di Cristo!‘

Angelo’s Gesicht wurde dunkelroth, und Thränen des Zornes traten ihm in die Augen.

‚Beruhigen Sie sich, Freund!‘ sagte ich. ‚Die Hergabe des Steines thut Ihnen leid, wie ich sehe; man hat Ihnen sicherlich allerlei vorgeschwatzt und Sie aufgestachelt und unzufrieden gemacht.‘

Per Dio! Was war ich für ein Dummkopf! Ich lief damals nach Hause mit meinen elf Scudi und glaubte, daß ich den Haufen Geld niemals würde durchbringen können. Zu allererst taufte ich für meine Ninetta eine vergoldete Haarnadel von einem Hausirer. Sie steckte das Ding in ihre Zöpfe, beschaute sich im Spiegel und fragte mich dabei, wie ich denn plötzlich zu all dem Reichthum gekommen sei. Ha, sagte ich, ich bin reicher als Du glaubst, und zeigte ihr das Geld und erzählte ihr, wie ich dasselbe für den Stein erhalten. Ninetta aber ist ein kluges Mädchen. Sie nannte mich einen Esel, lachte mir in’s Gesicht und schwor,

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