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Verschiedene: Die Gartenlaube (1882)

lassen, ehe ich meinem Versprechen nachkommen konnte, und auch da durfte ich nur eine Nacht von Rom abwesend sein. In Albano traf ich meine Freunde gesund und wohl im Gasthofe an, und so konnte ich mich am nächsten Morgen beruhigt auf den Weg machen, um bei Zeiten wieder in Rom zu sein. Die alte, wackelige Landkutsche, die mich durch die noch nebelgraue Campagna bringen sollte, hielt vor dem etwa fünf Minuten entfernten Postgebäude und wartete auf ihre Ladung. Um den Weg abzukürzen, ging ich durch den kleinen Garten, der hinter dem Gasthause lag. Noch war Alles ringsum still; meine Schritte knirschten laut auf dem feuchten Kiese des Weges, der an einer moosgrünen, verstümmelten Statue und an einer breiten, steinernen Bank vorüberführte; von der letzteren erhob sich bei meinem Näherkommen ein Mensch – Angelo Beati!

,Angelo –!‘

Er stand ganz ruhig vor mir und sah mich lächelnd, dabei aber starr und mit seltsam herausfordernden Blicken an. Endlich murmelte er etwas zwischen den Zähnen, und ich glaubte zu verstehen, daß er doch wohl noch das Recht habe, sich in seines Nachbars Garten aufzuhalten.

,In Ihres Nachbars Garten?‘ fragte ich. ‚Nun ja, aber –‘

‚Nun, per Dio! wohne ich denn etwa nicht in Ariccia?‘

Und dabei lachte er fast wieder so kindisch wie damals, als wir ihn aus seinem Schlummer im grünen Grase gestört.

Es war mir bisher noch gar nicht eingefallen, daß sich Wenzel durch seine Uebersiedelung nach Albano thatsächlich in den allernächsten Bereich des Feindes begeben hatte. Ich fing jezt aber an zu glauben, daß dieser Feind doch wirklich nur ein recht harmloser sei. Wenn Angelo seine Machinationen darauf beschränkte, sich die fieberschwangeren Nächte in feuchten Gärten herumzutreiben, so schadete er hierdurch mehr sich selber, als Wenzel. Anfänglich hatte ich gemeint, daß das ihm widerfahrene Unrecht einen Mann aus ihm gemacht habe, jetzt aber gewahrte ich, wieviel romantische Zwecklosigkeit doch in dem Menschen steckte.

,Aber was thun Sie hier?‘ fragte ich. ‚Wie können Sie so gedankenlos sein und sich hier in der Nacht dem Fieber aussetzen? Sie werden sich den Tod holen und dann ist die ganze Geschichte mit einem Male zu Ende.‘

‚Nicht doch, Signorino mio, vor dem Fieber habe ich keine Furcht; hier sitzt ein Fieber‘ – dabei schlug er sich heftig auf die Brust – ,das ein Gegengift ist gegen alle Malaria. Allerdings verfolge ich hier meine Absichten, aber von denen haben Sie keine Ahnung. Lassen Sie mich in Frieden! Ich will Ihnen kein Leid zufügen. Jezt aber muß ich mich auf und davon machen; der Tag bricht an, und man soll mich hier nicht sehen.‘

Ich ergriff seinen Arm, hielt ihn fest und blickte ihm forschend in’s Gesicht. Er sah mich lächelnd an. In seinem dunklen Auge lag etwas wie ein tiefes, zielbewußtes Wollen. Er wendete sich ab, als fürchtete er, daß sein Gesicht mir zuviel offenbarte, und wie verlegen pfiff er leise vor sich hin.

,Hören Sie, Angelo,‘ sagte ich, ‚es schickt sich nicht für einen Mann wie Sie, daß er hier in Nacht und Nebel wie ein Einbrecher umherschleicht; ich will Ihnen –‘

Er unterbrach mich hastig.

‚Aspetti!‘ rief er zurücktretend. ‚Wenn Sie mit der Landkutsche nach Rom wollen, dann ist es jetzt die höchste Zeit, daß Sie zur Post kommen. Wir sehen uns wieder.‘

Damit ging er schnell davon.

Ich folgte ihm nachdenklich und anfänglich im Zweifel, ob ich nicht umkehren und Wenzel diese Begegnung mittheilen solle. Da ich aber überzeugt war, daß von einer Gefahr für die Freunde nicht die Rede sein konnte, schlug ich mir, so gut es ging, alle Bedenken aus dem Sinne und fuhr nach Rom zurück.

Hier aber wurde ich, trotz aller Bemühungen, den Gedanken nicht los, daß sich in Albano etwas unerwartetes, etwas Schlimmes, etwas Trauriges für meinen Freund vorbereitete; dieser Gedanke quälte und bedrückte mich schließlich so sehr, daß ich schon nach wenigen Tagen in einem leichten Miethsfuhrwerke wieder nach Albano hinausfuhr. Gegen Abend langte ich vor dem Gasthause an. Wenzel war mit den Damen ausgegangen, der Wirth aber konnte mir die Richtung nicht angeben, welche die kleine Gesellschaft eingeschlagen hatte. Es blieb mir nichts Anderes übrig, als bis zur Rückkehr derselben in dem schmutzigen Städtchen herumzuschlendern.

Dicht am albanischen See steht ein Kapuzinerkloster; die Thür der Kirche war offen; ich ging hinein. Abendliche Dunkelheit lag schon dicht in allen Ecken des Gotteshauses, auf dem Altare aber brannte eine Anzahl Kerzen, von irgend einem frommen Opferer dargebracht. Die Lichter flackerten roth in der Dämmerung; hier und dort knieete regungslos eine dunkle Gestalt; es war ein reizvolles Bild, und ich setzte mich nieder, es mit Muße zu genießen. Nach einigen Minuten bemerkte ich nicht weit von meinem Platze eine junge, weibliche Gestalt in andächtiger Verzückung. Sie hielt die Hände auf den Knieen gefaltet und blickte mit erhobenem Antlitze und weit geöffneten, strahlenden Augen auf die flimmernden Kerzen des Altars, als habe sie dort, im Lichterscheine, eine Vision. Der Ausdruck ihres Gesichtes war so eigenthümlich, daß ich erst nach einigen Augenblicken in der verzückten Beterin – Helene Dörpinghaus erkannte.

Instinctiv suchten meine Augen ihre beiden Gefährten, aber weder Frau Dörpinghaus noch Wenzel waren zu sehen.

Helene so allein in der Kirche? Vielleicht erwartete sie hier die Andern; vielleicht war Wenzel auf die Terrasse des Klostergartens gegangen, zu welcher Damen keinen Zutritt haben, um von dort aus den Sonnenuntergang zu betrachten. Ich erhob mich, schritt um das Innere der Kirche herum und näherte mich dann der jungen Dame von der anderen Seite mit absichtlichem Geräusche. Sie wendete den Kopf nach mir um und sah mir in’s Gesicht, aber ihre Gedanken waren abwesend – sie erkannte mich nicht. – Endlich stand sie langsam auf – sie nannte meinen Namen. Ich begrüßte sie freundlich, sie aber richtete ihre Augen mit einem so tiefernsten Ausdrucke auf mich, als seien ihre Gedanken gegenwärtig hoch erhaben über allen nichtigen Höflichkeitsformen.

,Aber mein liebes Fräulein, warum so allein in dieser einsamen, dunklen Kirche?‘

‚Ich bat Gott um Licht,’ antwortete sie.

,Und das ist Ihnen hoffentlich geworden.’

‚Ja!’

Sie schritt mit mir dem Ausgange zu.

,Würden Sie die Güte haben,‘ fragte sie, ‚mich nach Hause zu geleiten?‘

Ich bot ihr den Arm und führte sie durch das Portal. Auf dem Plaze vor der Kirche blieb sie wieder stehen.

‚Sie sind ein sehr intimer Freund von Herrn Wenzel, nicht wahr?‘ fragte sie plötzlich mit einer gewissen Aufgeregtheit.

‚Das müssen Sie ihn selber fragen,’ antwortete ich; ,ich kann nur hoffen, daß er mich als solchen betrachtet.‘

,O bitte,‘ fuhr sie fort, ‚dann sagen Sie mir dies Eine: wird er eine Enttäuschung, eine schwere Enttäuschung ertragen?‘

Sie schien mich durch Ton und Geberde zu einer bejahenden Antwort drängen zu wollen; ihre Blicke hingen an meinen Augen, an meinen Lippen in stummer, dringender Beschwörung.

‚Nein!’ entgegnete ich endlich nach kurzer Ueberlegung auf das Bestimmteste. ‚Nimmermehr!‘

Sie seufzte tief auf, indem wir unsern Weg fortsetzten. Sie schritt ganz in Gedanken versunken stumm an meiner Seite hin.

Im Gasthause angelangt, erfuhr ich nach kurzer Begrüßung von Wenzel und seiner Schwester, daß alle Drei am Nachmittage einen Spaziergang unternommen hätten, daß aber Helene bald über Müdigkeit geklagt und allein wieder umgekehrt sei. – ‚Wenn mich auf dem Wege nach Hause eine Schwäche anwandeln sollte’ – hatte sie gesagt – ‚dann ruhe ich mich in der nächsten Kirche aus.’ – Man war erstaunt, sie bei der Rückkunft nicht in der Wohnung zu finden, und athmete jetzt, da ich die Vermißte heimbrachte, erleichtert auf.

Es war auch Wenzel und Frau Dörpinghaus nicht entgangen, daß das junge Mädchen sich seit kurzem in einer ganz seltsamen Gemüthsverfassung befand. Wenzel war heute nachdenklich gestimmt. Helene saß ruhig bei ihrer Stickerei; sie führte die Nadel und zog den Faden mit so vollkommen ruhiger und sicherer Hand, als gäbe es gar keine Nervosität in der Welt. Das Abendessen verlief unbehaglich, und ich nahm daher Wenzel’s Vorschlag, im Garten mit ihm noch eine Cigarre zu rauchen, freudig an.

Mein armer Freund war nicht glücklich – das sah ich ganz deutlich; ich wagte kaum zu hoffen, aus seinem Munde etwas über den Grund von Helene’s verändertem Wesen zu hören. Ich versuchte wiederholt, unserem Gespräche eine Wendung zu geben, die ihm eine Mittheilung seiner Sorgen und Befürchtungen erleichtern

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1882). Leipzig: Ernst Keil, 1882, Seite 790. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1882)_790.jpg&oldid=- (Version vom 23.8.2023)