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Verschiedene: Die Gartenlaube (1882)


‚Nach Rom,‘ sagte der Priester, ,in die heilige Stadt. Man wird die Beiden hoffentlich nicht beunruhigen. Ihre Verwandten mögen nicht vergessen, daß Helena mündig und ihre eigene Herrin ist, und daß sie mit ihrem Vermögen thun kann, was ihr beliebt. … Und sie hat ziemlich viel Vermögen … eh?‘

Der Pfaff kannte augenscheinlich das Terrain.

Er sagte mir auch, daß er es gewesen, der den Ehebund der jungen Leute geschlossen; die Ceremonie hatte an jenem denkwürdigen Morgen, um fünf Uhr, in dem kleinen, runden, alten Kirchlein, das in Albano auf dem Hügel steht, stattgefunden.

‚Sehen Sie, Signore,‘ fügte er hinzu, indem er langsam seine gelben, runzeligen Hände rieb, ‚Helena hatte es nun einmal selber so gewollt. Sie glauben gar nicht, wie sehr sie meinen Angelo liebt. Und sie hat Recht darin. Angelo ist nicht nur ein hübscher Bursche, sondern auch einer, der sich Kenntnisse erworben hat.‘

‚Wirklich?‘ fragte ich.

‚In der That, Signore! Seine Handschrift ist besser als die meine, und schon als Knabe hat er mir manchen Band der Kirchenlehre und die Lebensgeschichten der meisten unserer Heiligen vorgelesen. Bis vor einem halben Jahre war er Castellano der Villa des Principe San Marco in Albano; auch die Ländereien des Principe hat er verwaltet. Der fromme Herr ist dann gestorben, und sein Besitzthum ist an das Kloster gefallen. Aber der heilige Angelo hat meinen Neffen nicht verlassen.‘

‚Wie so?‘ fragte ich, als der Alte schwieg.

‚Nun,‘ fuhr er fort, ‚wohl schalt ich Angelo zuweilen wegen seines müßigen Umherstreifens draußen auf der Campagna – wir Menschen sind so kurzsichtig. Gerade dort hat ihn sein Schutzpatron sein Glück finden lassen. Ein Blitzstrahl vom Himmel wies ihm zuerst den Stein des alten heidnischen Kaisers, und dann seine Helena. – Sie liebt ihn sehr, und Angelo ist zufrieden. Ich bin es auch. Sie ist mehr werth, als der Topas.‘

Ich antwortete nichts, um ihm keine Veranlassung zu geben, noch mehr von dem unglückseligen Topas zu reden, und entfernte mich ohne weitere Formalitäten.

Inzwischen beschäftigte sich Frau Dörpinghaus in ihren Gedanken lebhaft mit dem Schicksale ihrer ungerathenen Stieftochter. Ihr mütterliches Herz hätte gar zu gern gewußt, wie Helene jetzt eigentlich lebte, und ob der Geruch auf der Treppe und in dem Hausflur derselben ebenso abscheulich sei, wie in den meisten römischen Häusern. Und so suchte ich eines Tages die Wohnung des jungen Paares auf, die ganz in der Nähe der Piazza Barberini lag. Die Gegend war keine besonders vornehme, aber das Haus schaute mit seinen Fenstern in die Gärten der Kapuziner, und was den Geruch auf der Treppe anlangte, so spürte ich nur den eines großen Blumenstraußes, der in einem Fenster des Flures stand.

Angelo öffnete mir die Thür; er sah recht wie der Held eines Romans aus. Anfänglich betrachtete er mich mit ziemlich kalten und mißtrauischen Blicken, als ich aber die Vergangenheit mit keinem Worte erwähnte, wies er ein höchst zufriedenes Gesicht.

Er war mir ein wandelndes Räthsel. Für verliebt hielt ich ihn nicht; ich glaube sogar, daß er schon wieder vergessen hatte, wie er in sein Glück hineingerathen war, und daß er sich jetzt lediglich und mit einem Gefühl großen Behagens von seiner jungen Gattin anbeten ließ. Er erfreute sich daran, wie am Sonnenschein. Ich bat ihn um die Erlaubniß, Helene sehen und sprechen zu dürfen; er zuckte die Achseln und meinte, daß diese thun und lassen könne, was ihr beliebte, aber er ging, um ihr meinen Wunsch mitzutheilen. Sie schien sich schwer entschließen zu können, mich zu empfangen; wenigstens ließ sie mich eine lange Zeit warten. Endlich erschien sie, und kühl und reservirt fragte sie nach dem Zwecke meines Kommens.

‚Man hat mich gebeten,‘ entgegnete ich, ‚mich zu erkundigen, ob Sie glücklich seien. Frau Dörpinghaus möchte Rom nicht verlassen, ohne Ihnen noch einmal Gelegenheit zu geben ….‘

‚Reuevoll zurückzukehren?‘ fragte sie schnell. ‚O, Frau Dörpinghaus mag beruhigt abreisen … Alles, was ich noch erbitte, ist: recht schnell vergessen zu werden.‘

Ich stand noch immer vor ihr, obgleich ich ihr ansah, daß sie dringend wünschte, mich gehen zu sehen.

‚Ich für meine Person kann dies nun kaum versprechen,‘ entgegnete ich, ‚denn eines solchen Paares, wie Sie und mein guter Freund hier, erinnert man sich noch lange.‘

Sie wendete sich kurz ab; Angelo athmete auf, als nicht mehr Deutsch gesprochen wurde. Er ging zur Thür, öffnete und sah mich mit selbstbewußtem, bedeutungsvollen Lächeln an.

‚Sie ist glücklich, nicht wahr?‘ fragte er.

‚So sagt sie.‘

Er legte seine Hand auf meine Schulter.

‚Nun, und ich bin’s auch. Sie ist mehr werth, als der Topas.‘

Ich schob ihn auf die Seite und eilte hinaus. – –

Wenzel mußte wohl errathen haben, daß ich in Angelo’s Hause gewesen. Am Abende desselben Tages forderte er mich auf, mit ihm einen Spaziergang in den Straßen zu machen. Die Luft war feucht und warm, und große, zerrissene Wolkenmassen trieben langsam über den Mond. Wir wendeten uns dem Dome von St. Peter zu. Auf der Brücke von St. Angelo blieb Wenzel stehen und schaute, über die Brüstung gelehnt, hinab in den Tiber. Plöglich stieß er die Frage hervor:

‚Du hast sie also gesehen?‘

,Ja.’

,Was sagte sie?’

‚Daß sie glücklich sei.‘

Er schwieg und wir gingen weiter. Mitten auf der Brücke stand er von Neuem still und sah in die Fluth hinab. Dann zog er ein Kästchen aus der Tasche, öffnete es und ließ etwas im Mondschein blitzen und funkeln. Es war der wundervolle, der kaiserliche, der unglückselige Topas. Er blickte mich an, und ich verstand ihn. Ja wohl, es haftete ein Fluch an dem goldig glänzenden Kleinod. Mochte es denn zurückkehren in die modernde Unterwelt der römischen Vergangenheit.

Ich ergriff Wenzel’s Hand und drückte sie warm und fest; da erhob er die andere in weitem Schwunge und schleuderte das glitzernde Juwel hinunter in den schwarzen, schweigenden Fluß.

Dort liegt es wohl noch heute.

Eines Tages, wenn man den Tiber nach Schätzen durchsucht, wird man vielleicht auch unseren Topas wieder zu Tage fördern. Aber Niemand wird dann ahnen, daß er schon einmal seinem tausendjährigen Grabe entrissen gewesen, um mit wetterleuchtender Gewalt die Tiefen menschlicher Leidenschaften aufzuwühlen und Menschenschicksale übermächtig in andere Bahnen zu lenken.“




Der Venusdurchgang vom 6. December 1882.

Der 6. December dieses Jahres wird mit besonderer Spannung von unseren Astronomen erwartet; schon lange bereiteten sie sich auf diesen Tag vor, und wenn er hereinbricht, werden sie an vierzig Punkten der Erde gerüstet stehen, um ihre Fernröhre und Helioskope, ihre Prismen und photographischen Apparate auf die Sonnenscheibe zu richten; sie hoffen fest, an jenem 6. December Wichtiges zu vollbringen, wenn ihnen die wetterwendischen Mächte, welche oft zur unrechten Zeit den Himmel mit Wolken umschleiern, keinen Strich durch die Rechnung machen. Am 6. December wird nämlich die Venus als ein schwarzer runder Fleck vor der Sonnenscheibe vorübergehen, schnurgerade von Westen nach Osten, wie dies unsere anseitige Abbildung zeigt (Figur 1). Das ist ein gar seltenes Ereigniß, das keineswegs wie die Sonnen- und Mondfinsterniß alle Jahre eintritt. Kein sterbliches Auge, welches sich jetzt zum gestirnten Himmel erhebt, wird die Wiederholung dieses Venusdurchganges schauen; denn erst nach hunderteinundzwanzig Jahren und sechs Monaten wird, den unfehlbaren Berechnungen der Astronomie zufolge, die Venus wieder einmal vor der Sonnenscheibe, sichtbar für uns Menschen, ein Stück ihrer Bahn beschreiben.

Unsere Leser, die für astronomische Thatsachen ein gutes Gedächtniß haben, werden sich erinnern, daß vor acht Jahren, nämlich am 8. December 1874, gleichfalls ein Venusdurchgang stattfand und daß damals die „Gartenlaube“ einen ausführlichen Artikel

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1882). Leipzig: Ernst Keil, 1882, Seite 794. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1882)_794.jpg&oldid=- (Version vom 24.8.2023)