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Verschiedene: Die Gartenlaube (1882)

Ausdrucksweise besteht. Doch die Begeisterung für Deutschland ist für uns Deutsche selbst in ihren Übertreibungen nur schön und herzerhebend. Einige Blüthen aus diesem Kranze, den uns der feindliche Dichter auf’s Haupt setzt, wollen wir hier zu einem kleinen Strauße zusammenbinden.

„Keine Nation ist gerechter als du. Zur Zeit, als die ganze Erde noch ein Ort des Schreckens war, warst du unter den starken Völkern das gerechte Volk. Ein dunkles Diadem schmückte deine erhabene Stirn, und dennoch glänzest du wie Indien, das Fabelland. O Land der blauäugigen Menschen, erhabene Klarheit im düstern Grund Europas, ein unnahbarer gewaltiger Ruhm hüllt dich ein. Lange, wie die Eiche, die dem Epheu ihre Arme bietet, warst du die Kämpferin für das alte Recht der Besiegten. Wie man Silber und Blei in Erz mischt, wußtest du in ein innig Herrschervolk zwanzig Völker zu verschmelzen, die Hunnen die Dacier, die Sigambern. Der Rhein bot dir das Gold, Bernstein das baltische Meer. Die Musik ist dein Hauch, deine Seele Harmonie und Weihrauch; sie läßt in mächtigen Hymnen den Schrei des Adlers mit dem Gesange der Lerche wechseln. Deutschland hat mehr Helden, als der Athos Gipfel hat. Teutonia erscheint dicht unter den erhabenen Wolken, wo der Stern mit dem Blitze sich vermählt; seine Gipfel in der Nacht sind wie ein Wald; über seinem Haupte schwebt ein Horn des Sieges, und seine Legende gleicht seiner Geschichte. Seid stolz, ihr Deutschen! Nur der Titanenfuß paßt für eure Sandale!“

Und gegenüber diesem volltönenden Lobgesang auf Deutschland, der trotz seiner vielen unklaren Bilder echte Begeisterung athmet, hat der Dichter für sein Frankreich nur drei Worte, aber Worte, in denen die ganze Inbrunst des Heimathsgefühls und der Vaterlandsliebe pulsirt. „O ma mère!“ Das ist schön und echt dichterisch, und um dieses Gedichtes willen mag man Victor Hugo die hundert galligen Lästerungen verzeihen, mit denen er Deutschland begeifert.

Die Erwartung.
Nach dem Oelgemälde von Eugen von Blaas.


Solche Milderungsgründe stehen aber den späteren Dichtern, die in dasselbe Horn stoßen, nicht zur Seite; auch sind sie an Talent dem geübten Altmeister weit untergeordnet. Der Akademiker Victor de Laprade dichtete ein Lied: „An Gretchen“, in welchem nicht nur alle thörichten Anklagen gegen die Deutschen und ihr Benehmen in dem letzten Kriege wiederholt werden, sondern in dem auch ein widerwärtiger Cynismus herrscht.

Dieses Lied scheint in Frankreich leider! sehr volksthümlich geworden zu sein; die deutschen Frauen und Mädchen werden darin in schmachvoller Weise an den Pranger gestellt. Da wird die deutsche Romantik und Gefühlsseligkeit persifliert: Gretchen sitzt nachdenklich am Fenster, entblättert poetisch eine Blume des deutschen Rheins und denkt an ihren Herrn und Meister. Er ist im Felde – Prinz oder Doctor, Fritz oder Faust – und macht in Burgund oder in der Champagne seine kleine Beute. Gretchen, die Schöne mit dem Goldhaare, hat eben geschrieben, und ihre Hand, welche noch von Tinte befleckt ist, hat Schiller, Goethe, Dante citirt, um zu beweisen, daß man nirgends außer in dem alten Deutschland die wahre Liebe in den Herzen und das wahre Genie in den Köpfen findet. Jetzt befragt sie mit Spannung das Orakel eines Maßliebchens – und warum? Die Blume soll ihr sagen, ob ihr Geliebter in den Schlössern, die er plündert, recht gute Beute macht, ob er ein wenig, ob viel oder ob übermäßig viel mit nach Hause bringen wird. Gretchen braucht ja noch einige feine Battisttaschentücher für festliche Gelegenheiten. Auch eine werthvolle Perle fehlt noch ihrer Kronenschnur: nun, man kann sie ja in Paris finden, in dem verwünschten Babylon. Das Gretchen des

Herrn von Laprade ist nämlich eine deutsche Baronesse, eine Hofdame:

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1882). Leipzig: Ernst Keil, 1882, Seite 797. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1882)_797.jpg&oldid=- (Version vom 12.12.2020)