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Verschiedene: Die Gartenlaube (1882)


Mohammedanische Friedhöfe.

Von Adolf Ebeling.


Auch die Mohammedaner ehren ihre Todten, und die Strenggläubigen unter ihnen, die genau alle Vorschriften des Korans befolgen, könnten in dieser Beziehung den Bekennern anderer Religionen vielfach zum Muster dienen. Freilich enthalten jene Vorschriften auch manches nach unseren christlichen Begriffen Verkehrte und manchen Aberglauben, aber die ihnen zu Grunde liegenden Hauptideen sind doch zumeist wohlthuend und erhebend.

Mit dem Glauben an die Unsterblichkeit der Seele verbindet der Moslim den Gedanken an die verheißenen Freuden des Paradieses, die allerdings sehr materieller Natur sind, ihm aber die Schauer des Todes weniger schrecklich erscheinen lassen. „Der Gläubige geht ein durch die Himmelspforte,“ sagt der Koran, „nur der Ungläubige wird zurückgestoßen in das ewige Feuer.“ Auch der dem Mohammedaner von frühester Jugend an eingeprägte Fatalismus (der Glaube an das Kismet, das unwiderruflich vorherbestimmte Fatum) macht ihn mit dem Tode vertrauter, an den er noch außerdem, nach dem Gebote des Propheten, jeden Morgen bei Anlegung des Turbans zu denken hat; denn das Turbantuch muß vorschriftsmäßig „sieben Kopflängen“ haben, d. h. siebenmal um den Kopf herumgehen, weil es später als Leichentuch seines Trägers dienen soll.

Ein eigentlicher priesterlicher Beistand des Sterbenden ist nicht vorgeschrieben und wird auch nur selten verlangt, aber gewöhnlich nähert sich ihm doch einer der Umstehenden mit der Frage: „Bekennst Du, daß es keinen Gott giebt außer Allah?“ worauf dann die Antwort, wenn sie überhaupt noch gegeben werden kann, lauten muß: „Ich bekenne.“ Daß sofort nach dem Hinscheiden die Leiche gewaschen wird, ist wohl kaum nöthig zu erwähnen; gehört doch schon für den Lebenden die tägliche mehrmalige Waschung vor dem Gebet zu den Hauptvorschriften des Korans, und dies geht so weit, daß an Orten, wo es kein Wasser giebt, oder wo man es doch wegen seiner Kostbarkeit sparen muß, wie z. B. auf Pilgerfahrten oder Karawanenreisen durch die Wüste, der Sand die Stelle des Wassers vertritt, nur damit man dem Gesetz genüge. Bei den Reichen und Vornehmen wird dann oft noch die Leiche mit Rosenwasser besprengt, bevor man sie in die Grabtücher hüllt, die auch, je nach dem Range und Vermögen des Verstorbenen, sehr einfach (oft nur das obenerwähnte Turbantuch) oder sehr kostbar sind. Mittlerweile haben sich auch schon die Klageweiber eingestellt, die vor dem Hause oder im inneren Hofe desselben ein ohrbetäubendes Geschrei anstimmen, oft aber auch wirkliche Klagelieder singen, monotone Melodien, die sie mit der Tarabukka (dem arabischen Schellentamburin, aber bei dieser Gelegenheit ohne Schellen) begleiten. Einige dieser Weiber bleiben gewöhnlich im Trauerhause zurück; die anderen folgen der Leiche nach dem Friedhofe, und zwar in dunkelblauen Gewändern, der allgemeinen Trauerfarbe des Orients, nachdem sie sich vorher noch Kopf und Schultern mit Asche oder Erde bestreut haben. Sonst sind helle Farben, roth, gelb und grün, bei allen Begräbnissen vorherrschend, und die Bahre selbst, auf welcher die Leiche ruht, wird stets mit einem schimmernden hochrothen Shawl bedeckt. Särge kennt man nämlich im Orient nicht; der Körper wird von der Bahre, auf der man ihn hinausgetragen hat, herabgenommen und in seiner Umhüllung in die Gruft gelegt, wobei man namentlich Sorge trägt, daß das Gesicht in der Richtung nach Mekka hin zu liegen kommt. Auch geht Alles schnell von Statten; denn wenn der Tod Vormittags eingetreten ist, so muß die Beerdigung noch am Abend desselben Tages geschehen, wenn Nachmittags, am nächsten Morgen.[1] Auch darf keine Leiche gefahren, sondern sie muß getragen werden, gleichviel ob eines Königs oder eines Bettlers, und zwar immer mit dem Kopfe voran, was ebenfalls sehr gewissenhaft beobachtet wird.

Alsdann setzt sich der Zug in Bewegung, und ob groß oder klein, ob vornehm oder gering, stets wird die Leiche in die nächste Moschee getragen und vor dem Imam (Geistlichen) niedergesetzt, der die Angehörigen fragt:

„War der Todte während seines Lebens ein treuer Bekenner Allah’s? War er gerecht und war er mildthätig gegen die Armen?“

„Er war es; er war es,“ antwortet man von allen Seiten, und die Ceremonie ist beendigt. Nur bei vornehmen Leichen wird sie durch Gebete und Koranlectüre sehr verlängert, und für solche wird dann auch noch am Abend ein besonderer Gottesdienst abgehalten, bei dem alle Lampen der Kuppel, oft viele hundert an der Zahl, angezündet sind, was einen feierlichen Eindruck macht.

Wer es irgend erschwingen kann, nimmt einen Fiki (einen gewöhnlichen Schulmeister), der zwei oder drei Knaben mitbringt, von denen der eine einen Koran, der andere ein Rauchfaß und der dritte eine Schüssel mit Salz trägt (das Salz wird umhergestreut, um die bösen Geister zu bannen), und ebenso einen Moscheediener, der mit einer grünen Fahne voraufgeht. Blinde und Bettler schließen sich immer von selbst an; sie beklagen den Todten und preisen seine Tugenden, auch wenn sie ihn gar nicht gekannt haben, und die Vorübergehenden reichen ihnen oft eine kleine Gabe. Die nachfolgenden Klageweiber heulen unaufhörlich, und die übrigen Leidtragenden singen, gleichfalls ununterbrochen und in schnellem, fast lustigem Tact, den üblichen Begräbnißvers: „La illah ill Allah, Mohammed rassuhl Allah!“ (Es giebt keinen Gott außer Gott, und Mohammed ist sein Gesandter.)

Auf dem Friedhof angelangt, wird die Leiche sofort und ohne weitere Ceremonien in die für sie bestimmte Gruft gelegt. Diese Grüfte sind immer längliche, aus Ziegelsteinen gemauerte Gewölbe, in Aegypten, in Arabien und Syrien einige Fuß über der Erde und selten mehr als ein Meter tief, in der europäischen Türkei und in Kleinasien tiefer und gewöhnlich mit einem einzigen großen flachen Stein bedeckt; dort sind sie auch mit aufrechtstehenden und oft reichverzierten Steinen geschmückt, voll Koransprüche und Sentenzen, während sie in den ersteren Ländern nur am Kopfende eine kleine steinerne Säule tragen, auf welcher oben ein Turban ausgemeißelt ist. Werden Frauen in der Gruft des Mannes beigesetzt, was nicht immer der Fall ist, da man ihnen besondere Gräber baut, so wird der Raum durch eine kleine Mauer abgetrennt; denn auch im Tode will der Mohammedaner keine Gleichberechtigung der Frauen, die er im Leben immer als tief unter sich stehend betrachtet. Giebt es doch noch heutzutage gelehrte Koranausleger in der Ashar-Moschee zu Kairo, die höchst ernsthaft die Frage erörtern, ob die Frauen wirklich eine Seele wie die Männer und dadurch ein Anrecht auf ein jenseitiges Leben haben.

Begraben werden übrigens die Frauen im Orient auf ganz ähnliche Weise wie die Männer, und in den höheren Ständen oft mit großer Pracht.[2]

Eigenthümlich ist die Sitte, auf der Bahre der weiblichen Leichen eine Stange zu errichten, die mit bunten Tüchern umwunden und mit allerlei Schmuck, sogar mit goldenen Uhren und Ketten behängt wird und auf der Spitze auch wohl noch eine goldene Krone trägt.

Ein schöner Gebrauch herrscht aber bei allen mohammedanischen Begräbnissen, das ist die Armenspende, und wenn auch der Todte selbst noch so arm war, ein Korb voll Datteln und Brod wird doch immer an seiner Gruft vertheilt. Sind die Ueberlebenden nicht im Stande, die Gabe zu erschwingen, so findet sich stets ein bemittelter Nachbar oder Freund, der die wenigen Piaster dazu schenkt, „denn das Grab des Gläubigen soll gesegnet sein durch den Dank der Armen“.

Die Reichen lassen ihren Leichenzügen oft mehrere mit Lebensmitteln aller Art beladene Kameele folgen, auch wohl

  1. Wir sprachen oft mit türkischen und arabischen Aerzten darüber, schon wegen der Möglichkeit des Scheintodes und des Lebendig-begraben-werdens, hörten aber stets dasselbe, daß nämlich das Gesetz es so vorschreibe und daß die eben erwähnten Eventualitäten nicht vorkämen. In allen größeren Städten sind übrigens auch Leichenbeschauer angestellt, die den Tod vorher constatiren müssen. Eine große Autorität auf diesem Gebiete, H. Petermann („Reisen im Orient“), ist freilich anderer Meinung und behauptet, daß sehr viele Mohammedaner lebendig begraben würden.
  2. Die „Gartenlaube“ brachte in Nr. 38 des Jahrg. 1875 von demselben Verfasser eine Schilderung des Leichenbegängnisses der Lieblingstochter des Khedives, bei welchem ein ganz außerordentlicher Pomp entfaltet wurde. D. Red. 
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1882). Leipzig: Ernst Keil, 1882, Seite 799. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1882)_799.jpg&oldid=- (Version vom 24.8.2023)