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Verschiedene: Die Gartenlaube (1882)

Er zog den Arm zurück, und bog das Haupt von mir hinweg, also daß er an die Wand schaute:

‚Ich merke wohl, Niemand vermag’s zu begreifen, auch Du nicht – wie solltest Du auch?‘ sagte er bitter. Und er antwortete ferner nicht, soviel ich ihn bat; und weigerte Speis und Trank, aber sein Athem ging schneller, und als es Abend ward, da tobete er schon wieder in heißen Fieberreden. Der Arzt aber verkündete, er werde noch heftiger rasen in deliriis, auch gäbe er wenig Hoffnung, so das Fieber nicht balde anstehe.

Da war groß Leid in unserem Hause, und Base Wieschen, die bei Dunkelwerden mit der jungen Muhme zurückgekehret, rang die Hände stetiglich in einander und jammerte, er werde sterben; denn das Leichhuhn habe so schaurig gerufen, da sie durch den Schloßgarten gefahren. Und nun meinte sie, der Vater aber müsse es wissen; sie sagte ihm alles und berichtete dann, er liege ganz still und spreche kein Wort. Mir war dumpf und trauervoll zu Sinne, aber dessen ungeachtet war eine stumme Herzbefriedigung über mich gekommen, und da man mich fort schicken wollt’ von seinem Lager, auf daß ich mich ruhen möchte, da weigerte ich mich heftiglich – es war mir, als gehöre ich zu ihm in alle Ewigkeit und dürfe niemalen von ihm lassen.

Die Krankheit nahm stetig zu; die Base saß mit treuer Sorgniß an dem Siechbette, und mein Herz dacht’ an Prinzeß Liselotte, und dacht’, ob sie nicht ein Bangen spüren möge um diesen, der so hart litt. Dort oben aber war Niemand daheim, der hierher denken mocht; nur vom Thurm flatterte das roth-weiße Banner, ein stumm Jubelzeichen; denn Serenissimus hatt’ endlich dem Drängen des Landes nachgegeben und eine Braut erwählet, und Prinzeß Liselotte hatt’ ihn begleitet auf seiner Brautfahrt, und viel prächtige Festlichkeiten und Kurzweil hielten die Herrschaften am Hofe der zukünftigen Gemahlin zurücke, hochwelche eines französischen Herzogs Tochter war und gar nahe verwandt mit dem Königshause.

Und in dem finsteren Krankenstüblein, da lag Einer, der doch – ich wagete nicht, es auszudenken und warf nur einen scheuen Blick auf das fieberglühende Antlitz in den Kissen. Und eben fuhr er wiederum empor; schier aufrecht saß er und streckte die Hand aus, als stünde dorten Jemand an dem Fußende seines Lagers, und mit lauter Stimme, sodaß es mir gleich wie Funken in die Seele flog, rief er:

‚Ich schwöre es Dir bei meiner Wunde Brennen, bei Allem so mir auf Erden heilig, bei meiner Mutter Ehre – –‘

Dann verzerrte sich sein begeistert Antlitz, und mit schneidender Stimme schrie er:

‚Ich habe keine Mutter. Was begehrest Du? Fort! Ich will mich rächen. O, mein vergiftet Dasein! Wär ich todt!‘

Ich faßte nach seiner Hand, Base Wieschen aber starrete entsetzt auf den nun erschöpft Daliegenden.

,Der Väter Sünden –‘ raunte sie und trocknete ihm die feuchte Stirn und horchte auf sein hastig Flüstern, das sich wieder steigerte zum wahnwitzigen Schreien, also daß es grauenhaft durch das stille Gemach scholl. Die Base öffnete ein Fenster, auf daß die kühle Luft beruhigend in den schwülen Raum dringe; der letzte Abendschein brach vergoldend herein und mit ihm zog eine Frauenstimme durch das Fensterlein, tief und stark und voll süßen Wohllautes, daß ich schier verwundert aufhorchte.

Da sagte die Base, das sei des Vaters junges Schwesterkind; das trage wohl wenig Herzeleid um die todte Mutter. Und sie bog sich fürsichtiglich zum Fenster hinaus und rief halblaut:

‚Hedwige, laß ab mit dem Singen, dem Conradus dient es nimmer.‘

Da scholl die Stimme trutziglich wieder herauf:

‚Ei Base, grad umgekehrt! Mein Mutterlein ward ruhiger, je mehr ich sang,‘ und gleich hub sie wieder die alte Volksweis’ vom jungen Reitersmann an, der keine Heimath hat:

‚In’s Städtlein zieht wieder Reiter und Roß,
Mit Jubel begrüßt man den muthigen Troß;

Viel Kränzlein die flocht man zum Siegeslohn.
Ei, schenket kein Mägdlein mir einen davon?

Mein Vater ist todt, meine Mutter mir fremd,
Mein Mädel hat Andern sich zugewendt. –

Ach besser, geblieben im blutigen Feld,
Als so allein auf mich selbsten gestellt!

Falber, was schaust du so traurig mich an?
Uns Beide will Niemand zum Festschmause han;

Du brav alter Klepper, arg mager und krumm,
Und ich selber zerfetzet – mich wundert’s nicht drum.

Was schiert uns das Volk denn? Falber, was macht’s?
Reiten wir weiter! Niemand beklagt’s.

Giebt auf der Welt noch viel blutigen Streit
Und manch grünen Hügel auf blumiger Haid;

Ranken wohl lustig wild Röslein um’s Grab;
Vöglein singt Lieder vom Zweige herab. –

Wir Beide, Falber, wir schlafen selban,
Ein Roß und sein einsamer Reitersmann.‘

Da ward er stracks ruhiger, der Conradus, als legten sich die viel süßen Töne gleichwie beschwichtigend auf seine gar heiße Stirn. Aber als sie geendet, begunnete er aufs Neue zu fabeln, und schier heftiger denn zuvor.

,Laß sie doch weiter singen, Base!‘ heischte ich. Aber es kam mir schwer an darum zu bitten; was hätt ich gegeben, so ich hätt singen können in dieser Stunde, – so süße und tief, wie sie. Ich kennte meine Muhme nicht, maßen mein Vater nicht sonderlich mit seiner Schwester harmonirete; ihr Mann soll ein gar wilder Christ gewesen sein, der allerlei Zauberkunst verstanden, niemalen sein Ziel gefehlet und vielen Wildschützen das Lebenslicht ausgeblasen. Ob solches wahr, vermag ich nicht zu sagen: mein Vater hatt’ geringe Liebe zu ihm, weil stetiglich irgend ein vermessener Fluch aus seinem Munde ging, und da er ihm einstmals solches heftig verwiesen, war das Band zerrissen zwischen den Schwägern, und niemalen schickte die Frau Försterin wieder ein feist Reh oder einen Frischling in unsere Küchen; bis zu ihrem Todesstündlein hatt’ sie des Bruders vergessen. Die Base erhob sich auf mein Begehr, und schauete in den Garten hinunter.

‚Hedwige, Hedwige!‘ rief sie halblaut, aber es blieb stumm. ,Sie ist tiefer in den Garten gegangen,‘ sagte sie, ‚willst sie nicht suchen, Christel? Ich bin müd, und mein Rücken schmerzet mich arg. Du hast junge Füße; ich setze mich derweilen an Deinen Platz.‘

Ich stieg hinunter und durchsuchte die dunklen Gänge, fund aber nicht, die ich suchte; wollte schon zurückkehren, vermeinend, sie sei in’s Haus gegangen; da erblickte ich sie nahebei; sie saß in der Linde vor meinem Fensterlein; sie hatt’ sich von der steinernen Bank auf den untersten Ast geschwungen; dorten hockte sie und starrete in das Grün der Blätter, und auf ihrem braunen Haar spielete das Abendgold und warf schimmernde Lichter darein. Die Arme hielt sie gar nachlässig in einander geschlungen, und vom Fuß war ihr ein Schuh entglitten, der lag an der Erde, schmal und klein, wie der eines Kindes.

‚Hedwige!‘ rief ich leise; da sah sie hernieder, und als sie mich gewahrete, glitt sie von dem luftigen Sitz, und stund nun vor mir. Ein wunderbar fein Gebilde, zierlich wie das Reh in unseren Wäldern und rehgleich die großen, scheuen lichtbraunen Augensterne unter den langen Wimpern. Um den Mund hatt’ sich ein eigen finsterer Zug gelegt, der von Einsamkeit und stummem Selbstgenügen redete. Die feinen Nasenflügel aber bebten, als wie zuweilen bei Conradus, und die Base hatt’ mir gesagt, das sei ein Zeichen von schier ungestümer Leidenschaft und tiefem Empfinden.

Ich bot ihr die Hand: ‚Gott zum Gruße, Hedwige! Du kommst zu trauriger Stund’ in unser Haus; laß es Dich nicht verdrießen, wenn ich nicht so oft bei Dir kann weilen, als die Gastlichkeit heischet. Es wird wohl Alles anders. So ich Dich aber bitten darf, singe noch ein Liedlein, oder mehr; denn unserem Conradus thuet es wohl.‘

Sie hatt’ die Augen gesenket, und ohne diese Strahlen erschien das Gesicht fast unschön. War aber gleich bereit mir zu folgen und stieg hinter mir die Treppe empor, so leise, daß ich zwomalen mich umsah, vermeinend, sie sei nicht mehr hinter mir. Und so schritt sie auch an Conradus Bette und beugete sich über ihn, und dann setzte sie sich an meinen Platz und fing an leise zu singen; und Conradus lag ruhig, und Base Wieschen schlief allgemach ein im Lehnstuhl am Fenster. Hatt’ mich auf die Truhe gesetzet, so das Tuch von Prinzeß Liselotte barg, und starrete mit brennenden Augen in die Dämmerung und lauschete auf den Sang. Ein finster böses Wesen war über mich kommen, daß es mich dünkte, als müßt’ ich das Mädchen dorten hinwegstoßen von dem

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1882). Leipzig: Ernst Keil, 1882, Seite 824. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1882)_824.jpg&oldid=- (Version vom 27.8.2023)