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Verschiedene: Die Gartenlaube (1882)

Schlucht oder das ausgetrocknete Bett eines Stromes zu erreichen. Nicht lange mehr läßt der Sturm auf sich warten. Der Flocken und Flöckchen werden mehr und mehr; ihre Flugrichtung wird eine immer verticalere, je mehr sich der Wind zum Sturm steigert. Hat derselbe seinen Höhepunkt erreicht, so werden die feinen Flocken mit einer solchen Kraft getrieben, daß die das Gesicht treffenden Theile gleich ebenso vielen Nadelstichen prickeln.

Man hat Beispiele, daß Farmer, die während des Unwetters von ihren Wohnhäusern nur bis zu den Ställen zu gehen versuchten, den Weg verloren, in die Prairie geriethen und wenige Schritte von ihrem Herde elendiglich zu Grunde gingen.

Die Gefahr beruht weniger in der mit der Naturerscheinung verbundenen Kälte als in der ungemeinen Schärfe des Windes, welcher gleich einem Messer schneidet und alle Lebenswärme aus den Gliedern treibt. Ein gewöhnlicher Winterüberzieher schützt nicht mehr als ein Fetzen Mousselin gegen das Wüthen des „Blizzard“, der, von den eisigen Gebieten der nördlichen britischen Besitzungen und Alaska kommend, in der Regel drei Tage lang aus dem Norden bläst, dann plötzlich umschlägt und wieder drei Tage lang mit ungeschwächten Kräften sein Wüthen von Süden her fortsetzt.

Glücklicher Weise treten gewöhnlich diese äußerst schweren „Blizzards“ nur etwa fünf- bis sechsmal während eines Winters auf; ja im vergangenen Winter wurde Norddacotah nur von einem einzigen in den Monat März fallenden Schneesturm betroffen; dahingegen hat sich der Winter 1880 bis 1881 mit seinen sechszig schweren Stürmen für immer denkwürdig in die Chroniken des amerikanischen Nordwestens eingeschrieben. Der erste Schnee fiel früh, im October, und von dieser Zeit bis zum April führte der Winter ein ganz unerhört strenges Regiment. Ueberall lag der Schnee sechs bis zwanzig Fuß hoch; einige Schneewehen erreichten sogar eine Stärke von über fünfzig Fuß. Weit und breit war Alles unter diesen enormen Massen begraben, die Menschen litten schrecklich, und die Thiere starben zu Tausenden; jede Verbindung mit der Außenwelt war abgeschnitten, und die Passagiere der Eisenbahnzüge waren nicht selten inmitten der ödesten Prairien unter den größten Entbehrungen zu tagelanger Haft verurtheilt.

Welche Macht und Stärke die ungeheuren Schneemassen besaßen, erhellt aus der Thatsache, daß ein 48,000 Pfund schwerer Pflug, der noch dazu mit 80,000 Pfund Eisen belastet und von sechs hinter einander gespannten Locomotiven getrieben wurde, vollständig unfähig war, eine ihm entgegenstehende Schneewand zu durchbrechen. Als die furchtbare Attacke geschehen und die Werkleute den Pflug näher besahen, fanden sie, daß derselbe mit all seinen 128,000 Pfund Eisen wie eine Feder zurückgeschlagen, über die Schneewehe hinweggeglitten und gegen einige Bäume geschleudert worden war, wo die Maschinerie bis zum Wegschmelzen des Schnees ausruhen mußte. Die Schneewehe war zweiundfünfzig Fuß hoch.

Einige Bahngesellschaften suchten ihre Linien frei zu halten, indem sie Tausende von Leuten anstellten, die den Schnee in große Blöcke von der Breite des ganzen Bahnbettes und von zwölf Fuß Länge zu zerschneiden hatten, welche dann, durch Stricke und Planken zusammengehalten, mittelst einer vorgespannten Locomotive an weitere Oeffnungen geschafft wurden, um daselbst aufgebrochen und beseitigt zu werden.

So viel für heute über die Stürme der Prairien[WS 1]! Es wird genügen, um dem Leser ein Bild zu entwerfen von den Schrecknissen, mit denen die Natur die Bewohner jener Gegenden bedroht. Wohl uns, die wir einen freundlicheren Himmelsstrich bewohnen!


Blätter und Blüthen.

Der Tschuktschenhund in dem Hausthiergarten der Universität Halle. (Mit Abbildung S. 829.) Das vielseitige Interesse, welches der von der geographischen Gesellschaft zu Bremen dem obengenannten Hausthiergarten überwiesene Tschuktschenhund erregte, veranlaßt uns, dieses seltene Exemplar unseren Lesern in einem sehr getreu ausgeführten Holzschnitte vorzuführen. Der Tschuktschenhund zu Halle ist weiblichen Geschlechts und wurde im Alter von einem Jahre von den Herren Gebrüder Dr. Krause, welche im Auftrage der Bremer geographischen Gesellschaft zu naturwissenschaftlichen und geographischen Zwecken die Küstengebiete des Beringsmeeres bereisten, auf der Tschuktschenhalbinsel mit noch einem zweiten, männlichen Exemplare erworben und von San Francisco aus mit dem Bremer Schiffe „Anna“, Capitain Kruse, nach Europa gesandt. Der männliche Hund starb während der langen Seereise, bei welcher der Aequator zweimal passirt werden mußte, das weibliche Thier dagegen überwand die Schwierigkeiten der Reise sehr gut. Ueber dasselbe ertheilte uns Herr Professor Dr. Julius Kühn, Director des landwirthschaftlichen Instituts der Universität Halle, bereitwilligst nähere Auskunft.

Darnach ist der am Widerrist und am Kreuz gleichmäßig 48,5 Centimeter hohe Hund schwarz und weiß gefleckt, das Schwarz mit einem leichten Anflug von Braun, der hintere Rand des Sprunggelenks rehbraun.

Die Beschaffenheit der einzelnen Körpertheile ergiebt sich aus der Abbildung; insbesondere ist auf die spitze Schnauze hinzuweisen. Ihrer ganzen Bildung nach gehören die Tschuktschenhunde zur Rassengruppe der „Spitze“ und kommen im Wesentlichen mit dem Eskimohunde überein, sind jedoch etwas kleiner. Sie dienen wie dieser, den Bewohnern ihres Heimathlandes durch ihre vorzügliche Zugkraft und haben für dieselben einen unschätzbaren Werth; sie bilden ihr einziges, aber auch unentbehrliches Hausthier. Es sind dies die mit den Eskimos verwandten sogenannten „seßhaften“ Tschuktschen, die auch als Fischer-Tschuktschen oder Namollos bezeichnet werden und die sich fast allein von Fischen ernähren, auch ihre Hunde ausschließlich mit Fischen füttern. Die Tschuktschenhunde bellen nicht, sondern heulen nur. Bei Kreuzungen scheint jedoch diese Eigenthümlichkeit verloren zu gehen. Der abgebildete Tschuktschenhund warf nämlich am 20. Juli fünf Junge, von denen zwei starben, während drei vortrefflich gedeihen. Schon der Tragezeit nach können diese jungen Thiere nicht wohl reinblütig sein, weil der männliche Tschuktschenhund während der Seereise frühzeitig starb. Bemerkenswerth ist nur, daß das eine männliche Exemplar der Jungen bereits zuweilen ein deutliches Bellen wahrnehmen läßt.

Herr Professor Dr. Kühn macht uns noch darauf aufmerksam, daß der Hausthiergarten des landwirthschaftlichen[WS 2] Instituts zu Halle keineswegs zur Aufgabe hat, zahlreiche Hunderassen zu halten; nur Rassen von besonderem physiologischem oder züchterischem Interesse werden beiläufig mit aufgenommen – die wesentliche Bestimmung dieser Einrichtung beruht vielmehr in der Haltung und Züchtung der landwirthschaftlich wichtigsten Hausthiere, wie dies aus folgenden Ausführungen des Herrn Professor Dr. Julius Kühn hervorgeht:

„Das landwirthschaftliche Institut der Universität Halle besitzt in seinem Hausthiergarten ein eigenartiges, anderen Lehrstätten der Landwirthschaft fehlendes Unterrichtsmittel, dessen Werth für die Behandlung der Thierzuchtlehre nicht hoch genug anzuschlagen ist. Es sind hier auf einem Areale von circa einem Hectare die mannigfaltigsten und wichtigsten Rassen des Rindes, des Schafes, der Ziege etc. in sorgfältig ausgewählten Originalexemplaren vertreten, deren unmittelbare Anschauung und vergleichende Betrachtung weder durch Vorführung von Abbildungen noch durch Demonstrationen an plastischen Nachbildungen vollständig ergänzt werden kann.

Eine solche Vereinigung von Repräsentanten möglichst zahlreicher, selbst der geographisch entfernt verbreiteten und zum Theil auf größeren Viehausstellungen nur selten oder gar nicht zu beobachtenden Rassen kann auch nicht ersetzt werden durch die noch so bedeutenden Viehheerden eines mit einer Lehrstätte verbundenen Gutes. Die Rücksicht auf möglichsten Reinertrag des Betriebes gestattet hier nur die Haltung weniger, der besonderen Oertlichkeit entsprechender Rassen. Was damit für die Zwecke der praktischen Demonstration gewonnen wird, ist in gleicher Weise durch Excursionen nach den einem landwirthschaftlichen Institute benachbarten Gütern zu erreichen. Sicher ist der dadurch erzielte Gewinn für Ausbildung des Urtheils über einzelne Zuchtrichtungen hoch anzuschlagen, aber zur Erweiterung des Blickes für Rassengestaltung, zur Schärfung des Beobachtungstalentes und Aneignung eines umfassenderen, selbstständigeren Urtheils auf dem Gebiete der Thierzüchtung hat ein Hausthiergarten, wie er in Halle zuerst zur Ausführung gelangt ist, eine eigenthümliche, durch nichts Anderes zu ersetzende Bedeutung. Kann hier die einzelne Rasse auch immerhin nur durch wenige Individuen vertreten sein, so ermöglichen dieselben doch das Auffassen und die Unterscheidung des Typischen der Bildung und eine vorurtheilslose Würdigung der mannigfaltigen Rasseformen. Nur die vergleichende Betrachtung vieler Rasseformen vermag das Urtheil über Umfang, Richtung und Nutzbarkeit der Variabilität unserer Hausthierarten recht zu entwickeln und zu befestigen.

Ein solcher Rassengarten dient aber nicht nur in trefflichster Weise den Unterrichtszwecken, sondern wird sich auch für die Fortbildung und wissenschaftliche Fundamentirung der Lehre von den Rassen und von der Vererbung sowie für anderweitige zootechnische Studien in hohem Maße nutzbar zeigen – unser Hausthiergarten ist zugleich die erste Versuchsstätte für systematische thierzüchterische Forschung. An dieser sollen ebenso praktisch bedeutsame, wie streng wissenschaftliche Fragen ihrer Lösung entgegengeführt werden. Eine Reihe wichtiger Untersuchungen, insbesondere über Bastardzucht, ist bereits zu theilweisem Abschluß gebracht worden.“

Wir glaubten unseren Lesern diese gelegentlichen Ausführungen über eine in ihrer Art einzige Institution nicht vorenthalten zu sollen, weil die in dem Hausthiergarten des landwirthschaftlichen Instituts der Universität Halle ausgeführten Untersuchungen zum Theil von allgemeinerer Bedeutung sind; steht doch die Geschichte unserer Hausthierrassen in den intimsten Beziehungen zur Anthropologie und Geschichte der Menschheit, namentlich zur Urgeschichte derselben.

Kleiner Briefkasten.

M. F. in Bückeburg. So ist es! Hans Hopfen’s soeben erschienenen „Gedichte“ kamen, wie so viele andere Neuigkeiten, für die Besprechung auf unserm Weihnachtsbüchertische leider um ein paar Tage zu spät. Wir werden aber baldigst Gelegenheit nehmen, unsere Leser mit diesen zu einem großen Theile wahrhaft genialen Poesien des geistvollen Dichters bekannt zu machen. Das elegant ausgestattete Buch gehört in jedem Sinne in die Reihe der für den Festtisch besonders empfehlenswerthen Novitäten.

Redakteur: Dr. Ernst Ziel in Leipzig. – Verlag von Ernst Keil in Leipzig. – Druck von Alexander Wiede in Leipzig.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: Prairiren
  2. Vorlage: landwirthschaflichen
Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1882). Leipzig: Ernst Keil, 1882, Seite 836. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1882)_836.jpg&oldid=- (Version vom 26.8.2023)