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Verschiedene: Die Gartenlaube (1882)

das Wesen dieser Welt vergehet – lasse ab hiervon! Wie denn hier wieder Eva spuket, da, so ich gehöret, sein zukünftig Gemahl ihn hierzu animiret, um es anderen leichtsinnigen Höfen nachzuthun.

Habe Dir anitzo gesagt, was ich begehre, und verlange, daß Du darnach handelst als gehorsamer Sohn Deines allezeit getreuen Vaters.

Falkerode, M. Decembris 1669.

Sebastian Ehrentraut, 
fürstl. Hofprediger.’ 

Hätte gar gern noch ein freundlich Wörtlein hinzugefüget, aber wußte nicht es zu beginnen; sintemal der Vater noch einmal den Brief durchlas. Aber als er ihn mir dann zu falten gab und das Sigulum darauf zu thun, schrieb ich eilig noch darunter:

,Viel tausend Grüße! Betrübe Dich nicht, Conrade!‘

Die Base aber winkete mir, als ich nachher in die Wohnstube gehen wollt’, nach der Küche, allwo sie am Tische stund und Pfefferküchlein auf Weihnacht rührte.

‚Was sagte ich Dir, Christel?‘ flüsterte sie gar heimlich, und ließ die Kelle im Teige stecken, ‚der Vogel singet, wie ihm der Schnabel gewachsen, und wenn man ihm schier alle Tage ein ander Liedlein pfeifet, er bleibet dennoch bei seiner Weise.‘

‚Ich wollt’, er wär’ erst ganz daheim,‘ seufzete ich.

Die Alte aber schauete mich listig an aus ihren hellen Augen.

‚Glaub’s, glaub’s, Töchterlein!‘ neckete sie, ‚oder meinst Du, die Base sei blind? Blaß siehst Du aus wie ein Wachs, und lachen kannst Du auch nicht mehr, hast auch Herzschlagen und schläfst nicht gut – ist es nicht so? Weiß mir das Alles gar wohl zu deuten; will Dir ein Tränklein richten von rothem Frankenwein, eisernen Nägelein und Hollunderlaub, am Pfingstsonntage vor Sonnenaufgang gepflücket; davon trinkst Du jeglichen Tag ein Gläslein voll, das soll wohl helfen.‘

,O Base, was denkest Du!‘ schalt ich, und fühlte dennoch, wie mir jäh das Blut in die Wangen stieg. Eilends ging ich hinein in die Stuben der Mutter und nahm mein Spinnrädlein. Der Mutter Hände ruheten gefaltet im Schooß, und um ihre lieb treuen Augen zogen sich rothe Ränder wie vom Weinen; Hedwige aber saß am Fenster; ihr feiner Kopf hub sich scharf ab gegen den hellen Grund, und sie sang gar leise beim Spinnen, wie es ihre Art so war; das klang, als habe sie stillheimliche Sehnsucht nach Frühling und Maienluft, nach etwas Vielsüßem, unsagbar Holdem, also daß es mir heiß in das Herze zog und mein Fuß stockte auf dem Trittbrette. Ich meinete die Nachtigall zu hören und sah das junge Laub an der Linden und ein blaß Antlitz mit zwo glänzend blauen Augen, und die Worte klangen mir in die Ohren:

,Bleib bei mir, Christel, daß ich nicht verkomme in meines Herzens Zerfahrenheit und Unrast! Wir haben uns ja immer so herzlich geliebet.‘

‚So viele Blättlein im Walde wehn,
So viele Sternlein am Himmel stehn,
So viele Blümlein im kühlen Grund,
So oft denk ich Dein zu jeder Stund –‘

sang Hedwige. – Ei, war es denn nicht also?

Dann fuhr sie empor.

,Was sinnet Ihr, Mädchen? Schlafet ein am hellen Tage?‘ schalt die Mutter freundlich. Da ich aber Hedwige ansah, war ihr bleich Gesicht purpurn erglühet; wir schaueten einander in die Augen und sie fragte:

,Warum bist Du so roth, Christiane?‘

‚Und Du?‘ gab ich zurücke, um Etwas zu sagen. ‚Hast wohl gar einen Schatz dort oben gelassen in den Bergen?‘

Da hub sie stolz den Kopf aufrecht:

‚Hätt manch einen Tölpel haben können, so von weiter nichts wußte, denn von Jagen und Hunden, – war nicht nach meinem gusto.‘

Die Mutter aber verwies ihr solch Reden und warnte: ‚Wer zu hoch hinaus wolle, stoße gemeiniglich an die Decke.‘

Da schwieg Hedwige und spann weiter, aber auf ihrem jungen Gesichte lag Trutz und Stolz, und sie antwortete nicht, so oft ich zu ihr sprach. Draußen aber tanzeten lustig die Schneeflocken vor den Fenstern, und fern war annoch Frühling und Glück.


War ein gar strenger Winter, der vorüberzog; schier eingeschneit steckten wir hier oben in den Bergen, und manch ein stiller Abend ging dahin, an dem kaum ein Wörtlein geredet wurde; nur die Spinnräder liefen leise, und von draußen war das Rütteln des Sturmes an den kräftiglich schützenden Fensterläden vernehmlich. Es hatte heuer gar viel der Noth gegeben an allen Enden: Schneebruch in den Wäldern; das Wild war verhungert und in den Häusern der Menschen viel bös Gebreste, Krankheit und Jammer.

Als aber die ersten Veilchen blüheten im April, führte Serenissimus sein jung schönes Weib heim. Die Hochzeit war zu Dijon gefeiret worden im fernen Frankenland; nun wartete der Neuvermählten auch allhier noch eine Reihe von Lustbarkeiten, zu denen man gar viele fürstliche Herrschaften invitiret hatte. Wußte solches Alles von der Hedwige, die schier wie hingebannet war zu der alten Hexe, der Silberbeschließerin; hatte ihr Logement im Schloß droben und wußt alleweil Bescheid über jeglich Ding, so dorten passirete. Ihre Luchsaugen spüreten überall umher, und die Hofbediensteten waren ihr nicht sonderlich gewogen, sintemal und alldieweil ihre spitzen Ohren mehr höreten, denn erlaubt war.

Da der feierliche Einzug geschah, stunden Hedwige und ich auf der Treppen vor unseres Hauses Thür. Auf dem großen Platz aber drängete und schob sich schier das ganze Ländchen; viel prächtige Ehrenpforten aus grünem Gezweig waren errichtet; auch jeglich Haus hatte sich geschmücket, und jeglich Fensterlein starrte von neugierigen Gesichtern. Vom Schloß wehete das Wappenbanner des jungen Paares, und da sich der Zug nahete, krachten die Stücke, daß es gar feierlich donnernd von den Bergen wiederhallte. Die Soldaten im stattlichen Aufzuge bildeten Spalier, die fürstlichen Diener aber in prächtiglich verposamireten Libereien, Etliche zu Fuß, Andere zu Pferde, marschierten voran; kamen sodann die Adjutanten; darnach der Hofmeister, so in einem ganz über und über mit Gold chamarirten Rocke war, auf reich geziertem Rosse; endlich aber die mit vier Pferden bespanneten Hofcaretten, in denen die Ehrenfräulein saßen, anzuschauen wie die Tulpen, so Base Wieschen in ihrem Kammerlein aus den kostbaren holländischen Zwiebeln zu ziehen wußte. Viele Cavaliers ritten in großer Pracht daneben, also daß wir meineten, die Frühlingssonne habe noch niemalen solch ein farbenreich Bild geschauet.

Holdselig nach allen Seiten grüßend, lehnte ein schlank bräunlich Weib neben unserem Fürsten in den goldstoffenen Kissen des Prunkwagens; gar fröhlich blitzten ihre dunklen Augen, wetteifernd mit dem Edelgestein, so verschwenderisch ihr silberstucken Gewand schmückte. Ich meinete, itzo müsse sie auch unseres Hauses Fenster streifen, allwo mein Vater sich in vollem Schmuck seines Amtes postiret, den er unter viel Schmerzen heute angelegt. Schon flog ihrer Augen Leuchten herüber – da wendete sie rasch das Haupt, und ihre Blicke folgten einem Fingerzeig des hohen Gemahls nach dem Comoedien-Hause, an dessen Giebelfelde die stolze Inschrift funkelt: ‚Apollini et Musis‘, und männiglich konnte nunmehro sehen, wie das junge Weib itzt die schlanken Händlein zusammenschlug in hellen Freuden.

Da ich nach meinem Vater schauen wollt, war er vom Fenster zurückgetreten, und als ich in sein Gemach eilete, da saß er finster in dem Siechenstuhl und antwortete mir nicht, so viel ich auch frug. So wandte ich denn den Fuß zurücke und ging trübsälig, gerade rechtzeitig, um annoch den Wagen zu erblicken, in dem Prinzeß Liselotte saß; nun mischete in den Hochruf des Volkes sich Musik und der Knall der Geschütze, und Hedwige stund an dem eisernen Geländer und schauete mit zitternder Lust dem Zuge nach, so sich den Schloßberg hinauf wand. Schier wie trunken blickten ihre Augen aus dem blassen Antlitz, als begehrete sie sich hinab zu schwingen, hinein in solch verlockend fremde Herrlichkeit.

Wunderhold und lieblich war sie anzusehen unter dem frischfeinen Veilchenkranz, mit dem sie sich heut früh vor dem Spiegelein behutsam geschmücket und lang beschauet hatt’, und manch ein Blick flog hinauf zu ihr von den fremden Cavaliers, so den Zug beschlossen.

Und da es die Mutter gewahrete, rief sie, wir sollten allsogleich hinein kommen und in den Garten gehen; es zieme sich nicht für ehrbare Jungfern also am Pranger zu stehen, da es doch nichts mehr zu schauen gäbe. Hedwige schrak auf, als erwache sie jach aus tiefen Träumen, folgte mir aber ohn’ Widerrede in das Gärtlein. Allda war es still, so still! Die Sträucher schimmerten im ersten Grün des Lenzes, nur undeutlich scholl unterweilen ein Laut des Jubels zu uns herüber.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1882). Leipzig: Ernst Keil, 1882, Seite 839. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1882)_839.jpg&oldid=- (Version vom 25.8.2023)