Seite:Die Gartenlaube (1882) 844.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1882)

man zwar aus besonderer Gnade zwei Blätter, aber beide mußten, unbeschadet der Verschiedenheit der Sprache, genau den nämlichen Inhalt haben; dann brauchte man eben nur eines zu lesen.

Daß dieser Gesichtspunkt maßgebend sei, daß man sich weder um die Rechte der Herausgeber und der Eigenthümer, noch um die Interessen des Publicums kümmere, daß die bloße Bequemlichkeit einer hohen Polizei hocherhaben stehe über allen Rechten und Interessen der Einzelnen und der bürgerlichen und wirthschaftlichen Gesellschaft, sowie über allen Bedürfnissen der Belehrung und Aufklärung der Massen, das hielt man gar nicht nöthig zu vertuschen. Nein, man proclamirte rückhaltslos als obersten Grundsatz, daß vor Allem die hohe Polizei nicht incommodirt werden dürfe.

Die übrigen in der Stadt Frankfurt erscheinenden Blätter, desgleichen alle diejenigen, welche außerhalb der Stadt, aber innerhalb des großherzoglichen Gebietes erschienen, wie die Hanauische, die Wetzlarische Zeitung etc., wurden einfach todtgeschlagen. Man verschmähte damals die Umwege und die raffinirteren Unterdrückungsmodalitäten, welche späterhin aufkamen, wie die ewig wiederholten polizeilichen Beschlagnahmen und Confiscationen einzelner Nummern, die endlose Kette von Verurtheilungen oder wenigstens von Anklagen und Verfolgungen, die tendenziöse Entziehung von Inseraten, das Verbot des Haltens, abhängigen Leuten gegenüber, das Verbot des Auflegens in Gastwirthschaften etc. Man hatte die Gewalt. Man war entschlossen, einen möglichst brutalen Gebrauch von derselben zu machen. Also schlagen wir einfach todt. „Todte Hunde beißen nicht mehr,“ sagt Sancho Pansa.

Um aber vor aller Welt klar und offenkundig zu machen, wie es mit der „Souverainetät“ bestellt war, welche Napoleon der Erste den Rheinbundsfürsten aus eigener Machtvollkommenheit verliehen, indem er sie von Kaiser und Reich gewaltsam loslöste, gingen alle jene Gewaltacte und Unterdrückungen in dem Gebiete des Großherzogthums Frankfurt über den Kopf des Großherzogs hinweg, direct von den Pariser an die Frankfurter Behörden, gerade als wenn das gedachte deutsche Großherzogthum eine französische Präfectur wäre und von Paris aus regiert würde. Der Fürst-Primas, der ein gut- und schwachmüthiger Herr war und dem solche Mißhandlungen seiner Unterthanen gar nicht gefielen, reclamirte dagegen. Er erhielt keine Antwort. Man gab ihm zu verstehen, er thue besser, zu schweigen.

In Hamburg erschienen drei, nach damaligem Maßstabe große Zeitungen: der „Correspondent“, die „Neue Zeitung“ und die „Börsenhallen-Liste“. Die beiden letzteren wurden ohne Weiteres unterdrückt. Dem „Correspondent“ wurde zwar das Leben geschenkt, jedoch nur unter der Bedingung, daß er zweisprachig erscheine, das heißt daß er neben seinem deutschen Text eine vollständige französische Uebersetzung abdrucke – natürlich auch das nur, um einer hohen französischen Obrigkeit das Lesen zu erleichtern. Dadurch wurden die Kosten des Blattes mehr als verdoppelt, seine Abonnenten aber vermindert, sodaß es eine Zeitlang vorzog, gar nicht zu erscheinen. Und der „Hamburger Correspondent“ war doch schon seit etwa hundert Jahren ein sehr angesehenes Blatt, das in ganz Europa gelesen wurde, besonders um seiner Handels- und Schifffahrtsnachrichten willen.

In Hamburg, wo, wie bemerkt, Davoust sein Schreckensregiment aufgerichtet hatte, erschien damals unter Anderem auch ein nicht politisches Blatt, betitelt: „Fahnenberg’s Magazin für die Handlung“. Der Herausgeber stand unter dem Druck der verhängten Maßregeln. Vielleicht war er auch persönlich bedroht worden. Kurz, er hielt sich und sein Blatt für gefährdet und glaubte etwas thun zu müssen, um den Neid der Götter zu versöhnen. Gerade damals spielte ihm der Zufall die Schrift Luther’s „von Kaufhandlung und Wucher“ in die Hand, die, sich an die bisherige canonische Weltanschauung anlehnend, in lebhafter Weise gegen den Ankauf ausländischer Artikel und Waaren ankämpft.

– „Ah,“ dachte der Herausgeber, „das wäre Wasser auf die Mühle der jetzigen Gewalthaber, welche die ausländischen Artikel verbieten, verfolgen und verbrennen. Das entspricht dem herrschenden System; bringen wir also Luther’s Worte in einem hübschen Artikel! Damit werden wir uns Ablaß für vergangene und zukünftige Sünden erwerben und unsere gefährdete Existenz wieder sichern.“

Gesagt, gethan! Aber in der Eile des Anstreichens der zum Abdruck bestimmten Stelle aus der Schrift Luther’s hatte der gute Mann übersehen, daß jene Strafpredigt mit den Worten schließt: „Wir Deutsche müssen Deutsche bleiben. Wir lassen nicht ab, wir müßten denn.“

Hätte er bedacht, daß es damals, 1811, in Deutschland verboten war, von Deutschland oder von Deutschen zu sprechen, dann hätte er die Schlußwendung gestrichen. In dem Wiederabdruck dieser Worte Luther’s wurde, obwohl sich die Stelle im Uebrigen recht wohl zu einer Beschönigung der Continentalsperre hätte verwenden lassen, „ein Aufruf zur Rebellion“ erblickt, und das Blatt wurde gemaßregelt aus Anlaß seines Bestrebens, durch Befürwortung der Napoleonischen Handelsfeindseligkeiten sich bei dem herrschenden Systeme einzuschmeicheln.

In Gotha lebte 1810 der alte Rudolf Zacharias Becker (geb. 1751, gest. 1822), damals in ganz Deutschland bekannt als Verfasser des „Noth- und Hülfsbüchleins für Bauersleute“ und des „Mildheimischen Liederbuches“, als ein Mann, der unermüdlich und mit gutem Erfolge durch Schrift und That sich bestrebte, für die Aufklärung und das Wohl der unteren und mittleren Schichten des Volkes zu sorgen. Politiker war er eigentlich nicht, und daß er überhaupt, auch nach damaligen Begriffen, kein „gefährlicher Mensch“ war, dafür bürgen zwei Thatsachen: Erstens war er schon 1786 fürstlich schwarzburg-rudolstädter Rath und dann 1802 auch desgleichen Hofrath geworden. Zweitens hatte ihn im October 1806 Seine Königliche Hoheit, der Fürst-Primas Großherzog von Frankfurt am Main, jener gegen Napoleon stets bis zum Uebermaße dienstbeflissene Präsident des Fürsten-Collegiums des Rheinbundes, dessen ich schon oben gedachte, zu seinem Geschäftsträger an den herzoglich-sächsischen Höfen ernannt. Allerdings hat der gute Becker von diesem „Charakter“ thatsächlich keinen Gebrauch machen können. Denn kurz darnach verbot Napoleon – von seinem Standpunkte aus mit gutem Grunde – seinen Rheinbundsfürsten jede diplomatische Vertretung bei und unter einander. Sie sollten ihm gehorchen und nicht unter einander conspiriren. Natürlich mußte sich der Fürst-Primas dieser Anordnung fügen.

Becker gab in Gotha drei Blätter heraus.

Erstens die „Nationalzeitung der Deutschen“. Diese wurde unterdrückt, nachdem sie eine Zeit lang ihr Dasein durch die Behauptung gefristet, sie sei keine politische Zeitung, sondern eine „moralische Wochenschrift“.

Zweitens den „Allgemeinen Anzeiger der Deutschen“. Dieser wurde – er war in der That nicht politisch – geduldet, unter der Bedingung der Streichung der Worte „der Deutschen“.

Er unterwarf sich natürlich dieser Bedingung.

Drittens eine Zeitschrift, betitelt „Jason“. Der wirkliche Redacteur und Hauptmitinhaber dieser Zeitschrift war Christian Ernst Graf von Benzel-Sternau, vormals in kurmainzischen und dann in badischen Diensten, auch damals Vertrauensmann des Fürst-Primas. Er hat sehr viel geschrieben, darunter auch zwei lange Romane „Das goldene Kalb“ und „Der alte Adam“; sie zeigen viel Witz, Welt- und Menschenkenntniß, werden aber dadurch etwas ungenießbar, daß der Verfasser zu sehr nach Jean Paul’scher Originalität hascht. In Folge dessen sind sie heute, vielleicht mit Unrecht, gänzlich vergessen.

Genug, in diesem „Jason“, Jahrgang 1811, erschien eine Abhandlung unter dem anspruchsvollen Titel: „Ansichten eines Reisedenkers“. Sie enthielt eine Lobrede über den Tabak und eine tadelnde Kritik der Art, wie unter König Ludwig dem Vierzehnten die Verpachtung des Tabaksgeschäfts betrieben wurde.

Der Aufsatz gab sich als Original. Er war es aber nicht, sondern nur eine Uebersetzung aus dem französischen Buche von Robin, das unter dem Titel „Reisen im Innern von Louisiana“ 1807 in Paris erschienen und von der kaiserlichen Censur nicht beanstandet worden war, im Gegentheil dem Verfasser Lob und Ehren Seitens der Regierung eingebracht hatte. Am 20. December 1811 gelangte ein Schreiben des Napoleonischen Polizeiministers an den „souverainen“ Herzog von Gotha, in welchem derselbe in der Weise, wie ein französischer Präfect an seinen Maire schreibt, ersucht wurde, den etc. Becker zu arretiren, seine sämmtlichen Papiere mit Beschlag zu belegen und gegen denselben wegen dieses den allerhöchsten kaiserlichen Interessen zuwiderlaufenden Aufsatzes in der in seiner Buchhandlung erscheinenden Zeitschrift „Jason“ das strafrechtliche Verfahren einzuleiten.

Diesem Ersuchen konnte jedoch nicht mehr entsprochen werden, weil der Generalgewaltige Napoleon’s, der Fürst Eckmühl, schon am 30. November durch ein Aufgebot von mehreren Hunderten

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1882). Leipzig: Ernst Keil, 1882, Seite 844. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1882)_844.jpg&oldid=- (Version vom 25.8.2023)