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Verschiedene: Die Gartenlaube (1882)

Die Sonne würde sich vielmehr auf diese Weise beständig ein neues Brennmaterial selber erzeugen, wie sie es unter erschwerenden Umständen auch an der Erdoberfläche thut, indem sie den vorzugsweise aus Kohlensäure und Wasser bestehenden Dampf unserer Feueressen und Lungen wieder in Brenn- und Nahrungsstoff zurückverwandelt. Jenes im Raume durch Lichtzersetzung erzeugte Brennmaterial würde die Sonne an ihren Polen wieder an sich ziehen, um es von Neuem zu verbrennen und so einen beständigen Ersatz der ausgestrahlten Hitze und Helligkeit zu erhalten. Diese Verbrennung der Gase an der Sonnenoberfläche können wir stündlich beobachten und zugleich feststellen, daß dabei brennender Wasserstoff, wie es nach dieser Theorie der Fall sein muß, die Hauptrolle spielt. Auf diese Weise würde sich ein Kreislauf von bewunderungswürdiger Einfachheit vollziehen, den wir im Kleinen auch auf der Erde nachahmen können, wenn wir bei elektrischem Lichte Pflanzen wachsen lassen, um mit deren Holze die Maschine zu heizen, welche das elektrische Licht erzeugt.

Wir brauchen nicht nochmals besonders hervorzuheben daß es sich bei dieser Erklärung der gleichbleibenden Sonnenwärme nur um eine Theorie, wenn auch eine recht geistreiche und einleuchtende Theorie, handelt. Sie hat sich trotz mannigfacher Einwendungen, welche namhafte Gegner wider sie erhoben haben, bisher behaupten können, und man darf zu ihrer Unterstützung anführen, daß sich noch mancherlei andere kosmische Erscheinungen in ihrem Lichte besser verstehen lassen als bisher, besonders das räthselhafte Zodiakallicht, welches sich, wie wir früher (vergl. „Gartenlaube“ 1879, S. 177) beschrieben, als Lichtring über dem Sonnenäquator erhebt und uns die dort stattfindende Abschleuderung der Gase unmittelbar zeigt. Der am häufigsten gemachte Einwurf, daß eine wenn auch noch so dünne Gaserfüllung des Raumes den sich darin bewegenden Weltkörpern einen meßbaren Widerstand leisten müßte, ist durchaus unhaltbar; denn man müßte sich diese Weltluft natürlich, ebensowohl wie die Erdatmosphäre, mit dem Planetensystem kreisend denken, sodaß sie höchstens den fremden, in abweichender Richtung eindringenden Weltkörpern Widerstand bieten würde. Als eine solche Widerstandserscheinung hat man in neuester Zeit die Kometenschweife zu deuten gewußt.

Auch die sonstigen Erscheinungen an den Kometen bieten, wie schon angedeutet, gewisse bemerkenswerte Anhaltspunkte zur Stützung der Siemens’schen Sonnentheorie. Wie den Lesern der „Gartenlaube“ aus den Kometenartikeln des vorigen Jahrgangs (Nr. 30)[WS 1] erinnerlich sein wird, haben es die Untersuchungen des italienischen Astronomen Schiaparelli über die Ähnlichkeiten der Bahnen von Kometen und Meteoritenschwärmen wahrscheinlich gemacht, daß zwischen beiden Classen von Weltkörpern gewisse engere Beziehungen bestehen, ja daß die Kometenkerne vielleicht gar nichts anderes sind als Meteorschwärme. Nimmt man nun an, daß solche Meteorschwärme gleich den einzelnen auf die Erde herabfallenden Meteorsteinen bei ihren Wanderungen durch den Weltraum erhebliche Mengen von Wasserstoff und seinen Verbindungen aufgesaugt hatten, so würde man sich ihre Schweifbildungen in der Sonnennähe leicht durch die Austreibung der flüchtigen Wasserstoffverbindungen in Folge der dort herrschenden Hitze erklären können. So erleuchtet die neue Sonnentheorie gleichzeitig mehrere kosmische Erscheinungen und gewinnt dadurch ihrerseits an Unterstützung und innerer Wahrscheinlichkeit.




Von den ganz Kleinen.
Pädagogische Winke und Rathschläge.


Endlich, endlich! Er hat ihn im Arm gehalten, der glückliche Vater; er hat ihm das kleine Gesicht geküßt – und ein stolzes Gefühl durchfluthet sein Herz; es ist ein Junge, der erste Junge!

Und nun sitzt er in seinem Studirzimmer am offenen Schreibtisch, links die brennende Kerze, rechts die Flasche Wein mit dem Glase, aus dem er abwechselnd die Gesundheit des Kindes und der Mutter trinkt.

Vor ihm liegt eine Liste der Personen, die eine besondere Anzeige erhalten müssen; die Hand ermüdet nicht, wieder und wieder die Worte zu schreiben: „durch die glückliche Geburt eines kräftigen Jungen wurden erfreut N. N. und Frau.“

„Ich schnitt es gern in alle Rinden ein!“ Die alte Melodie, welche das Herz des Mannes bewegte, als seine Lippen den Mund der Geliebten im ersten Liebeskuß gefunden, klingt auch jetzt durch seine Seele, indem er der Welt die Geburt des ersten Kindes mittheilt. Nur das Leid preßt die Lippen zusammen, das Glück öffnet uns Herz und Mund. Vaterglück und Vaterstolz schwellen die Brust des schreibenden Mannes.

Er sieht seinen Knaben, strahlend in der Kraft der Gesundheit, allen Andern voran, als König im Spiel; er sieht ihn, hoch über den Andern, als König der Geister. Am Ziel, das er sich selbst gesteckt, das er selbst nicht erreicht, sieht er den Sohn. Nein, es ist nicht der Sohn, den er sieht: er ist es selbst. Er selbst ist’s, der, vergnügt und neu geboren, auf’s neue zu ringen beginnt um den Preis, der ihn einst gelockt und begeistert – er selbst erfaßt ihn; denn der Sohn ist er selbst; er selbst lebt weiter im Sohne.

Glücklicher, träumender Vater! So wie du, träumte vor Jahren dein Vater, träumt nach dir einst dein Sohn. Und mit dir träumen Tausend und Abertausend der Andern; Tausend und Abertausend der Andern werden sich irren wie du.

Ja, wenn alle die Träume Wahrheit würden, die wir an der Wiege unserer Kinder träumen! Es ist das ewige Vorrecht des Menschen, zu irren, und in diesem Fall kommt die Erkenntniß des Irrthums so allmählich, so spät und so selten ganz, daß sie schließlich nicht eigentlich unglücklich macht. Und das ist ein Glück. Wenn alle Könige würden, was bliebe da noch zu regieren? Es ist schon ein Vorzug, sich einer gesunden Mittelmäßigkeit zu erfreuen.

So verzeihlich diese Träume an sich sind, sie werden gefährlich, wenn sie, was leider sehr oft geschieht, Einfluß auf die Lebensgestaltung der Kinder gewinnen, wenn sie dieselben in Bahnen drängen, die ihrem Geist und ihren Neigungen fern liegen. Es gehört eine gewisse Entsagung dazu – und nicht alle Eltern besitzen sie – in dem Kinde ein eigenartiges Individuum zu sehen, ihm das Recht auf individuelle Entwicklung zuzugestehen. Es soll und muß das Kind nun einmal eine unveränderte Ausgabe ihrer selbst sein; es soll und muß ihre Wege wandeln, ihre Neigungen theilen, ihre Ziele erstreben. Die Folge davon ist eine arge Vernachlässigung des Studiums der Kindesnatur überhaupt, der Natur des eigenen Kindes im Besondern.

Und doch hat jede vernünftige Erziehung diese Kenntniß zur Voraussetzung. Wo will der Erzieher den Hebel ansetzen, wenn er die Natur des zu Erziehenden nicht kennt? Die Unwissenheit in Bezug auf das Wesen der Erziehung erhellt am besten aus der oft gehörten Redensart: Laßt das Kind erst älter, laßt es vernünftiger werden, dann geht es mit der Erziehung besser! Ist es nicht Aufgabe der Erziehung, das Kind vernünftig zu machen? Es soll doch durch die Erziehung zur Vernunft, nicht durch die Vernunft zur Erziehung kommen. Kinder durch Vernunft erziehen wollen, heißt nichts anderes, als erst die Früchte pflücken und dann den Baum pflanzen.

Die Erziehung muß sogleich nach der Geburt ihren Anfang nehmen, gewöhnlich aber beginnt man damit erst in einem Alter, in welchem sie, wenn nicht beendet, doch wenigstens sicher fundamentirt sein muß. Ein guter Gärtner wartet nicht, bis der Stamm sich gekrümmt hat; er bindet das gerade Stämmchen, damit es nicht krumm wird.

Es mag ja sonderbar scheinen, daß die Erziehung sogleich mit dem Leben beginnen soll, da der flüchtige Blick kaum eine Handhabe erkennt, um auf das junge Geschöpf einzuwirken. Es ist wahr, Moralpredigten verfehlen bei Neugeborenen ihren Zweck, sie helfen aber auch bei größeren Kindern nicht. Aber an Handhaben fehlt es dennoch nicht: woher nimmt denn die Natur die Mittel, durch welche sie den Säugling im Laufe eines Jahres dahin führt, daß derselbe seine Glieder mit ziemlicher Sicherheit gebrauchen, sich in der gewohnten Umgebung orientiren, Angenehmes und Unangenehmes sehr gut unterscheiden kann? Wie jeder weiß, bedarf es dazu besonderer Mittel nicht. Die Natur regt die im Kinde schlummernden Kräfte an – übt und leitet sie! Das ist alles.

Die Außenwelt mit ihren Erscheinungen und ihren Veränderungen, das eigene körperliche Befinden mit seinem angenehmen und unangenehmen Wechsel weckt den Geist des Kindes zur Thätigkeit, zur Beobachtung, zum Bewußtsein, zum Wollen, zur Selbstbestimmung. Zu der erst regellosen, unwillkürlichen Bewegung gesellt sich die Absicht; sie wird zum Versuch, und durch tausend und abertausend Versuche lernt das Kind seine Hände zum Greifen, seine Füße zum Gehen benutzen. Und ob der Versuch noch so oft mißlingt, er wird wieder und immer wieder gemacht, bis er gelingt, bis die Glieder dem Impuls des Geistes folgen. Von der planlosen Bewegung der Hände bis zum bewußten Greifen ist ein weiter Schritt. Dazwischen liegt das Bewußtsein von allen einzelnen Momenten der Bewegung und das Bewußtsein ihrer Aufeinanderfolge. Die fortgesetzte Übung führt dann zur Fertigkeit, zum unbewußten, automatischen Thun, wie wir es bei den Erwachsenen beobachten können. Ähnliches findet sich bei angehenden Schlittschuhläufern und Tanzschülern. Sie sind sich jeder Bewegung in ihren einzelnen Momenten bewußt. Der ABC-Schütze sieht jeden Buchstaben an, der fertige Leser hat nur den Gesammteindruck des Wortes.

Noch ist das Kind kein halbes Jahr alt, und schon wendet es den Kopf genau nach der Seite, woher der Schall kommt; es unterscheidet genau Fremdes und Bekanntes, Angenehmes und Unangenehmes; es giebt schon Zeichen eigenen Wollens. Allerdings, Worte kann das Kind in diesem Alter noch nicht sprechen; denn von allen Bewegungen sind diejenigen der Sprechwerkzeuge die schwierigsten, weil complicirtesten. Aber das Kind von einem Jahre versteht schon viele, das Kind von zwei Jahren die meisten Wörter des täglichen Verkehrs; es verbindet

Anmerkungen (Wikisource)

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1882). Leipzig: Ernst Keil, 1882, Seite 848. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1882)_848.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)