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Verschiedene: Die Gartenlaube (1882)

manch lieb Stündlein und hör die Nachtigall singen im Maimond und sehe die Blätter fallen von der Linden, und – – –“

Hier schloß das Manuscript.

Wie aus tiefem, lebensvollem Traume erwachte ich; die Flammen waren längst im Ofen erloschen, und das erste Morgendämmern füllte das Gemach.

Sagte ich es nicht, diese Wände können reden?

Noch ganz unter dem Banne des Gelesenen erhob ich mich und schritt aus dem Zimmer. In den Winkeln des weiten Flurs lag noch das Dunkel der Herbstnacht; nur durch das Fenster über der Treppe fiel ein matter Schein und zeigte mir die noch immer festen eichenen Stufen und das reichgeschnitzte altersbraune Geländer. Leicht fand ich die Thür, die an der gewölbten Küche vorüber zum Garten führte. Das war ein einfaches Gärtchen, wohl gänzlich verändert seit Christianens Zeit – im Laufe zweier Jahrhunderte; verwildert lag es vor mir im Morgengrauen. Aber mitten hindurch schritt noch immer ein Weg und führte zu der kleinen Pforte im Zaun, und rechts von mir, nahe dem Hause, stand sie, die Zeugin vergangener Lust und vergangenen Leids, die alte prächtige Linde, und ihre Zweige schmiegten sich nahe an die Butzenscheiben des kleinen Fensters im oberen Gestock – da lag Christianens Kämmerlein.

Ich ging hinüber und betrachtete die alte Steinbank; einfach, ohne Lehne, ruhte sie auf zwei feingemeißelten aufrecht sitzenden Greifen. Welkes Laub lag dicht am Boden umher und verdeckte wohl die Stelle, wo er eingesenkt worden war, der arme Conrad. Ich suchte mit dem Fuß, und richtig: unter den feuchten Blättern lag ein verwitterter Grabstein:

Conradus Ehrentraut
A. Domini
1680 –“

nichts weiter stand darauf zu lesen, und auch das Wenige war schon recht undeutlich, abgetreten, kaum noch erkennbar.

Allmählich ward es hell und heller; die Sperlinge begannen in den Bäumen zu lärmen, und plötzlich stand Garten und Haus im blendenden Morgensonnenschein; leise bewegten sich die Wipfel der Linde im Frühwind, und in den gewölbten Bogen der Eingangsthür trat Dorchen, so innig, wie der Morgen selbst.

„Ei, Sie sind hier, Herr Baumeister? Ich bringe den Kaffee. Großmutter hat Ihre Lampe die ganze Nacht über durch die Laden schimmern sehen; schliefen Sie denn gar nicht?“ fügte sie, mich betrachtend, hinzu.

„Nein, Dorchen, ich habe gelesen,“ erwiderte ich.

„Die alten Papiere von der Christiane?“ forschte sie. „Gelt, es ist traurig? Großmutter sagt, ihre Großmutter hätte sie noch gekannt; ein steinaltes Weiblein sei sie damals gewesen und eine große Schrulle habe sie gehabt –“

„So, Dorchen? Und welche?“

„Sie hat das Schauspielhaus da drüben nicht leiden können; wenn sie ausging, hat sie immer einen weiten Umweg gemacht, immer durch den Garten; aber armem hungrigem Gesindel, Gaunervolk, Komödianten und solchem Gelichter, dem hat sie gegeben mit vollen Händen, was sie nur gehabt. Verstehen Sie das, Herr Baumeister?“

„Ja, Dorchen! Aber nun, wo ist mein Kaffee? Und dann rüstig an die Arbeit! Seit Jahren habe ich mich nicht so auf etwas gefreut, wie auf die Renovirung dieses alten Hauses. Begreifen Sie das?“

„Nein,“ lachte das Mädchen; „es ist ein altes, spukhaftes Nest; ich möchte nicht darin wohnen. Denken Sie nur, da unter der Linde liegt ja auch die Christiane begraben.“

„Wirklich?“ fragte ich mit warmem Ton.

„Die Großmutter sagt es; ich glaube, ihr Schatz lag da drunten schon lange Jahre, als sie starb.“

Ein Liedchen singend, lief Dorchen in das Haus zurück und war schon oben, als ich noch in fast andächtiger Stimmung die Treppe hinauf schritt.

Auf meinem Arbeitstische, zwischen all den Plänen, Entwürfen und Anschlägen, lagen fortan jene vergilbten Blätter, und wollte es mir zu viel werden des hundertjährigen Staubes, so vertiefte ich mich in die alte Liebesgeschichte, die mir aus Schutt und Moder entgegenblühte in duftiger Poesie, wie eine immer frische Hagedornrose an sturmverwehtem Gestrüpp.


Ich lobe mir die alten Häuser.




Das Elephantenhaus im Berliner zoologischen Garten.

Man mag über die Gründerzeit denken, wie man will, so viel steht fest: sie hat auch manches vortreffliche Unternehmen hervorgerufen, wodurch namentlich die Architektur, die Hauptrepräsentantin des äußeren Glanzes großer Städte, gewonnen hat. Wesentlich dieser vielverrufenen Zeitperiode, welche kurz nach Beendigung des letzten großen Krieges wie ein Taumel über Deutschland hereinbrach, verdankt auch die Hauptstadt Berlin manche stattliche Anlage, auf die wir heute mit Stolz und Freude blicken, heute nachdem die Kopfschmerzen, welche diese Kinder der Architektur ihren Vätern bereitet haben, längst vergangen sind. In gewissem Sinne gehört zu diesen Schmerzenskindern auch das Elephantenhaus des Berliner zoologischen Gartens, nicht als ob es etwa zu der Kategorie der zweifelhaften Gründungen gehörte, sondern deshalb, weil es in seiner Pracht und großartigen Einrichtung für weit bessere Verhältnisse paßt, als jene sieben mageren Jahre des Krachs, welche auf die blendende Entwickelung des Gründerthums gefolgt sind.

Zu welcher anderen Zeit, als in der des Milliardensegens, hätte auch wohl der Gedanke entstehen können, ein Elephantenhaus zu bauen, das die Kleinigkeit von etwa 340,000 Mark kostet und das von außen und von innen einem indischen Tempel gleicht, in dem Buddha selbst zu wohnen sich nicht zu geniren brauchte? Unter Schwierigkeiten ward der Bau vollendet; nun freut es uns doch, daß das Werk vor uns steht, und wohl kein Besucher des Gartens wird es versäumen, nach diesem beliebten Anziehungspunkte seine Schritte zu lenken. Der Anblick des Gebäudes entzückt auch den Kaltblütigsten. Hat doch sogar einmal ein phlegmatischer Holländer die Behauptung aufgestellt, daß das Elephantenhaus ganz allein eine Reise nach Berlin werth wäre. Ich sehe den Director Bodinus, den großen Reorganisator des Berliner zoologischen Gartens und Schöpfer des Elephantenhauses, lächeln, wenn er diese Worte liest; dabei wird er auch mit Genugthuung der beiden anderen Magnete des Gartens gedenken, die er gleichfalls geschaffen hat: des großen Raubthierhauses und des prächtigen Antilopenhauses.

Wir führen heute das Elephantenhaus in der schönen Illustration unseres Meister Mützel den Lesern der „Gartenlaube“ vor. Mit seinen spitzen indischen Thürmen, mit seiner orientalischen Pracht und Ausschmückung steht dieses durch die Herren Ende und Böckmann ausgeführte Bauwerk wohl einzig in seiner Art da; es beherbergt eine Schaar dickhäutiger Bewohner, wie sie in gleicher Vollzähligkeit und Mannigfaltigkeit kein zoologischer Garten aufzuweisen hat. Hier vereinigen sich die drei mächtigsten Continente der Erde: Asien, Afrika und Südamerika haben dem Elephantenhause ihre interessantesten Thierexemplare geliefert. Es ist eine wunderbare Gesellschaft, jene Pachydermen, deren plumper, ungeschickter Körperbau so recht eigentlich zu der behaglichen philosophischen Ruhe und zu dem Stillleben paßt, dem sie sich während der gewöhnlich langen Dauer ihrer Existenz hingegeben. Vielleicht Hunderttausende von Jahren müssen wir in der Entwickelungsgeschichte unserer Erde zurückgehen, wenn wir den Ursprung dieser Dickhäuter und ihrer unmittelbaren Vorfahren, der vorweltlichen Mammuths, Rhinocerosse und anderer Thierarten, uns vergegenwärtigen wollen. Damals, als die Erdoberfläche sich mit einem neuen und ungeahnten Reichthume von Baumformen und anderen Pflanzen bedeckte, bildeten ganze Welttheile den Weidegrund für die unermeßlichen Schaaren solcher Pflanzenfresser. Heutzutage, bei dem großen Formenreichthum der uns umgebenden Thierwelt, kommen uns die Dickhäuter wie altehrwürdige Ueberreste längst vergangener Zeiten, wie primitive, ungeschickte Versuche der bildenden Natur vor, und man kann sich des Gedankens nicht erwehren, daß alle diese Thiere auf dem Aussterbeetat der Schöpfung stehen. In der That wird es auch wohl in nicht zu langer Zeit dem großen Räuber „Mensch“ gelingen, die Pachydermen ebenso

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1882). Leipzig: Ernst Keil, 1882, Seite 860. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1882)_860.jpg&oldid=- (Version vom 15.1.2023)