Seite:Die Gartenlaube (1882) 870.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1882)

ihn spielen zu hören – er erscheint abermals; er verbeugt sich linkisch; er lächelt dankbar, aber wehmüthig und etwas wie ein satirisches Weh zuckt um seinen Mund – da plötzlich wankt er – er sinkt; eine Ohnmacht! Erschrocken springt man hinzu, und bald gelingt es, den Aermsten wieder zu sich zu bringen; er schlägt die Augen auf, und seine ersten Worte sind: „Brod – Brod!“ Schnell wird ihm solches gereicht; man fügt ein Glas kräftigen Weines hinzu. Nun aber bricht der Sturm der Begeisterung auf’s Neue aus: das Publicum will den Künstler hören. Paganini hat sich erholt und tritt wieder auf die Bühne, und als er den Bogen zum Spielen ansetzt, herrscht überall tiefes Schweigen. Jetzt sind es aber keine klagenden, schmerzensreichen Töne mehr, welche er der Geige entlockt, sondern Freude und Lust jubelt in seinem genialen Spiele auf. Wie luftige Frühlingselfen hüpfen die Klänge und bilden einen jauchzenden Reigen. Eine kurze Weile nur – und das Spiel ist beendet; wiederum erntet der Künstler stürmischen Beifall.

Von diesem Augenblick an war Paganini’s Ruf begründet. Bald erwarb er unermeßliche Reichthümer.

Nicht nur über die Saiten der Geige übte unser Künstler eine unbeschränkte Herrschaft – auch über die Herzen der Frauen, wie bereits angedeutet. So erzählt man, er habe mit einer hochgestellten Dame ein heimliches Liebesverhältniß unterhalten, das nicht unentdeckt blieb. Die Verwandten – berichtet die Geschichte – wußten sich des Künstlers zu bemächtigen und warfen ihn in einen unterirdischen Kerker. Man hatte ihm seine Geige gelassen. Aber alle Saiten derselben waren gesprungen bis auf eine einzige, und hier soll er die Kunst, mit so ungenügendem Werkzeuge Großes zu leisten, erlernt haben.

Paganini war ein Sonderling. Oft erschien er ganz plötzlich in irgend einer Stadt und verschwand dann ebenso plötzlich wieder, ohne etwas von sich hören zu lassen. So traf ihn Rossini 1817 in Rom, wo er beinahe drei Jahre krank in Zurückgezogenheit gelebt hatte. Ueberall, wohin er kam, elektrisirte er die Leute nicht nur durch sein dämonisch wirkendes Spiel, sondern auch durch die Originalität und Genialität seiner Erscheinung. Ein Zeitgenosse schildert diese folgendermaßen: „Er war von hagerer Statur, bleicher Gesichtsfarbe, dabei scharf markirten Gesichtszügen; in einem dunklen, späterhin schon etwas erloschenen Feuer glühte sein Auge, von finsteren Augenbrauen beschattet; die Nase war römisch gebogen und seine hohe Stirn umwallte schwarzes, langlockiges Haar. Ein eigenthümliches, bisweilen in’s unheimlich Dämonische übergehendes Lächeln schwebte um seine Lippen; häufig lag darin ein Zug großer Gutmüthigkeit. Bevor er sein Spiel begann, erschien er hinfällig, schlaff und erschöpft, aber ein neuer Mensch ward er, sobald sein Bogen die Saite berührte. Wie von einem elektrischen Funken durchzuckt, spannten sich dann seine Muskeln, und mit energischer Kühnheit und Schnelligkeit führte er ebenso den Bogen, wie er die spielenden Finger der linken Hand mit sicherer Festigkeit auf das Griffbrett setzte. Dem begeisterten Zustande, in welchem er sein bewunderungswürdiges Spiel entwickelte, folgte stets eine zeitweilige Erschöpfung, sodaß er nach dem ersten Allegro eines Concertes gewöhnlich etwas ruhen mußte und zum Schluß eines Concertabends ganz ermattet war. Paganini’s ganzes Wesen ging völlig in seiner Kunst auf.“

Widerlegt muß der Vorwurf werden, Paganini sei geizig gewesen. Berlioz empfing einmal ein Geschenk von 20,000 Franken von Paganini als Ehrengabe, was jenen Vorwurf schlagend widerlegt.

Unser Künstler haßte die Menschen. Mit einem schweren Leiden behaftet, zog er nie einen Arzt zu Rathe, sondern nahm in Massen eine von einem Charlatan herrührende Medicin ein, welche den hochklingenden Namen „Lebenstinctur von Leroy“ führte. Paganini starb am 27. Mai 1840 in seinem sechsundfünfzigsten Lebensjahre zu Nizza. – Er war ein Verächter der Kirche, und da dieses allgemein bekannt war, so versagte der Bischof von Parma ihm nach seinem Tode das Begräbniß in geweihter Erde. In einer Kammer daselbst soll lange Zeit seine Leiche gelegen haben. In Villafranca blieb dieselbe, als sie von Nizza dorthin transportirt worden, volle vier Jahre unbeerdigt. Endlich, nach vielen Mühseligkeiten, Kämpfen und großen Opfern an Geld, gelang es seinem Sohne im Mai des Jahres 1845, dem Todten ein würdiges Begräbniß zu verschaffen. Also volle fünf Jahre stand die Leiche über der Erde. Paganini fand seine letzte Ruhestätte auf dem Friedhofe eines Dorfes in der Nähe seines Lieblingsaufenthaltes, der ihm zugehörigen Villa Gajona bei Parma.

Ueber sein Ende liest man in einer alten Zeitung von Parma ungefähr Folgendes:

Nachdem er jahrelang mit einer eisernen Energie gegen den seinen Körper verwüstenden Feind gekämpft hatte, verlor er endlich doch die lange, wüthende Schlacht. Am 27. Mai hatte er wieder starke Krampfanfälle gehabt und fiel alsdann in einen ruhigen Schlummer. Erfrischt erwachte er und war heiter gestimmt. Es war eine milde Nacht. Paganini ließ die Fenster öffnen und schlug die Gardinen seines Bettes zurück. Der Mond stand in leuchtender Pracht in d[e]r wolkenlosen Herrlichkeit des italienischen Frühlingshimmels und überfluthete das Krankengemach mit seinem feenhaften Lichte. Leise säuselten die Wipfel der Bäume, vom Nachtwinde gekost, vor seinem Fenster, und das geheimnißvolle Rauschen des vom Mondlichte übergossenen Meeres schlug an sein Ohr. Da gedachte Paganini wohl der Vergangenheit und träumte und schwelgte in der süßen Erinnerung an die Sommernächte am lieblichen Ufer des Arno und am poesiedurchwebten Strande von Genua. Er träumte lange und herrlich.

Von Gefühlen überwältigt streckte er seine Hand aus nach seiner treuen Freundin, der Guarneri-Geige, um ihr noch einmal zauberische Töne zu entlocken, allein sein brechendes Auge war schon dunkel, und als er in ihre Saiten griff, da ertönten sie nicht mehr in den Klängen der gewohnten Magie; sie versagte ihrem Meister den Dienst. Noch ein letzter, kräftiger Griff in das geliebte Instrument – eine Saite riß mit schrillem Klange. Da brach des Künstlers Herz. All das Feuer des gewaltigen melodienreichen Geistes, das die Welt zur Anbetung gezwungen, es war dahin mit dem einen schnell verhallenden Mißton des zersprungenen Saitenspiels. Paganini’s Auge brach, und indem sein Haupt zurücksank, hauchte er die schönheitgeweihte Seele aus. G. A.     


Eine wissenschaftlich interessante Diamantenfälschung, welche ein lehrreiches Beispiel von der Wirkung der sich gegenseitig in Weiß ergänzenden Complementärfarben darstellt, brachten die Herren Chatrian und Jacobs in der Sitzung der Pariser Akademie vom 30. October 1882 zur Erörterung. Zwei Geschäftsleute ihrer Bekanntschaft hatten von einem dortigen Händler zu sehr hohem Preise zwei größere Diamanten vom reinsten Wasser und vollkommener Farblosigkeit erstanden, die sich am andern Morgen in Folge einer kurzen Waschung mit Seifenwasser in gewöhnliche gelbe Cap-Diamanten verwandelten. Da die letzteren nun im Handel nur den fünften bis sechsten Theil des Werthes farbloser Diamanten von derselben Größe und Reinheit besitzen, so brachten die genannten Herren den Betrugsfall zur Kenntniß der Gerichte. Die eingeleitete Untersuchung ergab folgenden überraschenden Aufschluß: der Verkäufer hatte die gelben Diamanten, um sie in farblose zu verwandeln, in eine wässerige Auflösung von Anilin-Violet getaucht, worauf nach dem Trocknen die gelbe Nüance vollständig beseitigt war, während der Stein trotz der dünnen violetten Oberflächenschicht durchaus nichts von seinem Feuer eingebüßt hatte. Es handelt sich dabei also um eine einfache Wirkung der Complententärfarben, die sich bekanntlich stets zu Weiß ergänzen, und man würde ebenso röthliche, grünliche oder bläuliche Diamanten durch ein Bad in der Auflösung eines entsprechenden grünen, rothen oder hellrothen Farbstoffes in farblose Steine verwandeln können. Das Bekanntwerden der neuen Entfärbungs-Methode brachte anfangs eine große Panik auf dem Pariser Diamantenmarkte hervor, wozu indessen kein triftiger Anlaß vorhanden ist, da der Betrug so sehr leicht zu entdecken ist. Der ängstliche Käufer braucht ja nur den fraglichen Diamanten gleich beim Kaufe mit Wasser und Seife zu probiren. Andererseits wird das Verfahren vielleicht den billigen gelben Cap-Diamanten eine größere Nachfrage verschaffen, da man dem Käufer leicht ein Fläschchen mit aufgelöstem Anilin-Violet als Zugabe liefern kann, um den billigen gelben Stein nach Bedarf immer wieder entfärben und ihm das Aussehen des kostbarsten brasilianischen Diamanten geben zu können. C. St.     


Das Wilhelm-Augusta-Stift in Gandersheim. Zu Gunsten dieses Feierabendhauses für invalide wie für müde, ruhebedürftige deutsche Lehrerinnen brachten wir an dieser Stelle vor dritthalb Jahren einen Aufruf, der seine Früchte getragen hat. Im Ganzen sind für das Haus 32,000 Mark eingegangen. Der Verein zählt bereits 200 ordentliche Mitglieder – Lehrerinnen, welche ein Beitrittsgeld von 5 Mark und einen Jahresbeitrag von 3 Mark zahlen und dadurch die Anwartschaft auf ein Ruheplätzchen im Feierabendhause haben – und 80 außerordentliche Mitglieder, welche entweder einen einmaligen Beitrag von 60 Mark oder einen beliebigen Beitrag spendeten.

Das Wilhelm-Augusta-Stift ist nun im Laufe des Sommers erbaut worden, hoch und reizvoll am Bergabhange und am Saume eines herrlichen alten Buchenwaldes gelegen, in der Nähe des heilbringenden Herzog-Ludolf-Bades. Es hat Raum für zwanzig Stiftsdamen und für ein Dutzend Lehrerinnen, welche als Sommergäste hier die Ferien verleben oder auch das Ludolf-Bad benutzen wollen. Die Einweihung des Hauses soll nächste Pfingsten gefeiert werden. Nun fehlt aber noch zur inneren Einrichtung des Hauses, zur Anlegung des Gartens und zur Gründung von möglichst vielen ganzen oder halben Freistellen für ganz mittellose Lehrerinnen viel, viel Geld. Wer will weiter helfen?

Freundliche Beiträge nehmen auch ferner dankend an: Vereinscassirer Commerzienrath Gottfried Bansi in Bielefeld, Vereinsschriftführerin Fräulein Schüßler in Witten (von der auch die Statuten zu beziehen sind) und Arnold Wellner in Blankenburg a. H. Als Quittung und Dank erfolgt an die Geber eine Abbildung des Feierabendhauses.


Photographische Aufnahme einer Explosion. Amerikanische Ingenieure ließen vor Kurzem die verschiedenen Phasen der zerstörenden Wirkungen einer unterseeischen Dynamitmine photographiren. Ein Schiff bildete das Zerstörungsobject. Wir geben im Nachstehenden einige interessante Ergebnisse dieser Untersuchung wieder, welche, dank der hohen Vervollkommnung der Augenblicksphotographie, vortrefflich gelang. Eine Photographie, die ein Zehntel Secunde nach der Entzündung der Mine aufgenommen wurde, zeigte das Bild des bereits zerrissenen Schiffes und eine etwa zwanzig Meter hohe Wassersäule. Auf einer anderen einundeinhalb Secunden nach dem Erfolge der Explosion hergestellten Platte wies die Wassersäule eine Höhe von fünfzig Meter auf; sie erreichte auf einer dritten Photographie ihren höchsten Stand, gegen sechszig Meter, nach zwei Secunden, und zu dieser Zeit flogen schon die Trümmer des Schiffes in der Luft umher. Auf der vierten photographischen Aufnahme, die in drei und drei Zehntel Secunden erfolgte, sah man die Wassersäule sinken, und in vier und drei Zehntel Secunden war das Zerstörungswerk gänzlich beendet. Das ist gewiß eine gewaltige Wirkung des Dynamits.


Kleiner Briefkasten.

R. in O. Die beiden von Ihnen erwähnten Krankheiten sind allerdings heilbar. Fragen Sie einen erfahrenen Arzt um Rath! Die Annonce beruht auf Schwindel.

Getreuer Abonnent in Iglau. Das Gedicht „Die Strike der Schmiede“ finden Sie im Jahrgang 1870, Seite 361.

Eine Wette in Livland. Der ebenso unglückliche wie hochbegabte Dichter ist nicht nur fast völlig blind, sondern auch gänzlich taub. Das Schicksal schlägt oft die Edelsten am härtesten.



Redacteur: Dr. Ernst Ziel in Leipzig. – Verlag von Ernst Keil in Leipzig. – Druck von Alexander Wiede in Leipzig.
Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1882). Leipzig: Ernst Keil, 1882, Seite 870. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1882)_870.jpg&oldid=- (Version vom 11.9.2022)