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verschiedene: Die Gartenlaube (1883)

ihm nahe treten zu müssen, und begreife nicht, weshalb er mich jetzt auf einmal zu sich ruft“.

„Wahrscheinlich will er sein Testament machen!“ rief ein junger Officier, der gleichfalls zu der Gesellschaft gehörte. „Das wäre wenigstens eine vernünftige Idee, und hoffentlich hast Du Aussicht, ihn bald zu beerben. Wir wollen Dir helfen, die Million etwas flüssiger zu machen; vorläufig laden wir uns allesammt bei Dir zur Gemsenjagd ein, wenn Du dort drüben erst Herr und Meister bist. Schlag’ ein, Paul, auf nächsten Sommer!“

Er hielt ihm übermüthig die Hand hin, aber Paul zog mit einer halb unwilligen Bewegung die seinige zurück.

„Nicht solche Scherze! Mein Onkel ist noch keineswegs so alt, wie Ihr glaubt, und trotz all seiner Sonderlingslaunen ist er doch gegen mich die Güte selbst gewesen. Er hatte immer eine offene Hand für mich und gewährte mir mit vollster Freigebigkeit Alles, was ich brauchte.“

„Und Du hast sehr viel gebraucht,“ warf Bernardo ein. „Dein Aufenthalt in Italien mag eine hübsche Summe gekostet haben.“

Paul warf ihm einen spöttischen Blick zu.

„Das mußt Du allerdings am besten wissen; denn Du hast mir redlich geholfen. Die Hälfte all meiner Ausgaben kommt auf Dein Conto, Bernardo.“

„Ja, ich habe mich Deiner nach Kräften angenommen,“ versicherte dieser. „Du verstandest überhaupt gar kein Geld auszugeben; Du hast das erst unter meiner vorzüglichen Leitung gelernt. Dein Herr Onkel scheint aber doch jetzt ernstlich für seine Casse besorgt zu werden und will sie vor weiteren Attentaten sicher stellen, wie es scheint.“

„Gleichviel aus welchem Grunde er mich zurückruft! Ich muß gehorchen, aber ich gehe mit schwerem Herzen.“

„Gilt dieser Seufzer dem schönen Venedig?“ neckte Osten, „oder gilt er der noch schöneren Landsmännin, die jetzt in unseren Mauern weilt? Leugnen Sie es nicht, Werdenfels! Sie sind ja der einzige Bevorzugte von uns Allen, dem es vergönnt war, ihr zu nahen.“

„Ja, das ist wieder Paul’s unerhörtes Glück!“ rief Bernardo dazwischen. „Was gäbe ich darum, dieses wundervolle goldbraune Haar und diese Augen auf der Leinwand festhalten zu dürfen! Es ist ja, als ob ein Bild eines unserer alten Meister aus dem Rahmen gestiegen wäre. Aber es war ja nicht möglich, die hartnäckige Zurückgezogenheit zu durchbrechen, in der diese stolze Schönheit sich gefällt. Konnte denn nicht ich die verlorene Brieftasche finden, die doch wohl von Werth gewesen sein muß; denn die ausgesetzte Belohnung war ziemlich hoch. Paul findet sie sofort; er überbringt natürlich den Fund persönlich, wird vorgelassen, bleibt eine volle Stunde dort und verliebt sich ebenso natürlich sterblich in seine schöne Landsmännin. Das Letztere finde ich übrigens durchaus begreiflich; denn ich habe nur fünf Minuten dazu gebraucht.“

„Ja, er kam ganz verklärt zurück,“ fiel der junge Officier ein. „Und seitdem schwebt er fortwährend in höheren Regionen und versteht es nicht einmal mehr, den Wein zu schätzen. Ich bin überzeugt, daß sich da Mondschein-Serenaden und allerlei sonstige zarte Beziehungen angesponnen haben, aus denen man uns leider ein Geheimniß macht.“

„Spottet nur!“ sagte Paul Werdenfels, halb belustigt, halb ärgerlich über die Neckereien. „Ihr wäret doch allesammt gern an meiner Stelle gewesen. Wenn mir aber Bernardo ein unerhörtes Glück zuspricht, so muß ich doch ernstlich dagegen protestiren. Nennt Ihr es vielleicht Glück, aus dem Bannkreise dieser Augen fortgerissen zu werden, wenn man nur ein einziges Mal hineingeschaut hat? Ich habe bei meinem heutigen Abschiedsbesuche Frau von Hertenstein nicht angetroffen; vielleicht ließ sie sich auch vor mir verleugnen; jedenfalls habe ich sie nicht wiedergesehen. Ich kenne kaum mehr von ihr als den Namen, weiß nur, daß sie Wittwe ist und noch Trauer um ihren Gatten trägt. Alles, was sonst ihre Person betrifft, ist mir fremd und geheimnißvoll – und so muß ich abreisen.“

Die letzten Worte wurden mit einer beinahe komischen Verzweiflung gesprochen, welche natürlich die Neckereien verdoppelte. Inzwischen aber war aus dem Dunkel, in welchem die Gondel lag, eine ziemlich kleine Gestalt aufgetaucht, ein alter Mann mit grauen Haaren, der einfach dunkle Livrée trug und jetzt in mahnendem Tone sagte:

„Herr Paul, jetzt ist es aber die höchste Zeit. Der Dampfer fährt in einer halben Stunde ab.“

„Wir sind noch mit den Abschiedsfeierlichkeiten beschäftigt,“ erklärte Bernardo. „Stören Sie uns nicht darin, Arnold! Sie danken ja doch Gott und allen Heiligen, daß Sie Ihren jungen Herrn unserer verderblichen Gesellschaft entführen und nach Deutschland in Sicherheit bringen können.“

Er hatte Deutsch gesprochen, um von dem alten Diener verstanden zu werden, aber dieser ließ sich durch den Spott nicht beirren; er erwiderte trocken und gleichfalls in deutscher Sprache:

„Ja, es thut auch noth, daß er endlich wieder zu vernünftigen Menschen kommt.“

Die jungen Männer schienen diesen Ausfall sehr amüsant zu finden; denn sie brachen sämmtlich in ein lautes Gelächter aus, in welches auch Paul Werdenfels einstimmte.

„Bedankt Euch doch für das Compliment!“ rief er. „Es ist vollkommen ernst gemeint. Aber Du nimmst Dir wirklich etwas viel heraus, Arnold!“

„Ich thue mur meine Pflicht,“ lautete die nachdrückliche Antwort. „Als die selige Frau Baronin auf dem Sterbebette lag, hat sie mir feierlich den Junker Paul übergeben. ‚Arnold!‘ sagte sie zu mir –“

„Um des Himmel willen hören Sie auf!“ unterbrach ihn Osten. „Sie haben uns die Geschichte mindestens schon zwanzig Mal erzählt. Wir wissen es ja längst, daß Sie bei Herrn von Werdenfels Vater- und Mutterstelle vertreten und daß er einen ganz heillosen Respect vor Ihnen hat, wie wir übrigens Alle.“

„Vor allen Dingen ich!“ ergänzte Bernardo, „denn ich war von Euch allen am häufigsten Gegenstand seiner Predigten und fühle mich am tiefsten dadurch getroffen.“

Die Blicke des alten Dieners überflogen mit einem nichts weniger als freundlichen Ausdrucke den ganzen Kreis und blieben zuletzt auf dem übermüthigen Maler haften.

„Signor Bernardo,“ sagte er feierlich. „Die Freunde meines jungen Herrn sind allesammt schlimm, aber Sie sind der Schlimmste!“

Diese Erklärung rief einen neuen stürmischen Ausbruch der Heiterkeit hervor, aber urplötzlich verstummte dieser, und ebenso plötzlich wichen die jungen Herren rechts und links zur Seite, um einer kleinen Reisegesellschaft Platz zu machen, die gleichfalls nach dem Ufer schritt. Es war eine Dame in tiefer Trauerkleidung; sie hatte den Schleier herabgelassen. Das reiche Haar drängte sich unter dem Hute hervor, und als es beim Vorüberschreiten einen Moment lang von dem Strahl der Gasflamme getroffen wurde, schimmerte es auf diesen anscheinend dunklen Flechten wie in goldigem Glanze. An der Seite der Fremden ging eine ältere sehr einfach gekleidete Frau, offenbar eine Untergebene, und ein Hôteldiener mit mehreren Reise-Effecten folgte den Beiden. Paul Werdenfels grüßte tief und ehrerbietig; die Uebrigen folgten seinem Beispiel. Die Dame neigte leicht das Haupt zur Erwiderung und nahm dann mit ihrer Begleiterin in einer seitwärts liegenden Gondel Platz, die gleich darauf abstieß.

„Jetzt leugne es noch, daß Du ein Glückskind bist!“ raunte Bernardo seinem Freunde zu. „Da fährt sie hin, zu demselben Dampfer, auf dem Du die Ueberfahrt nach Deutschland machst.“

Paul’s Augen hingen längst an dem kleinen Fahrzeug, das jetzt aus dem Schatten des Ufers in das helle Mondlicht hinausglitt und in der That die Richtung nach dem Dampfer nahm.

„Wahrhaftig, sie geht an Bord!“ sagte er mit aufleuchtenden Blicken. „Ich hatte keine Ahnung davon; denn sie deutete auch nicht mit einer Silbe auf ihre Abreise hin. Aber Arnold hat Recht – es ist die höchste Zeit, daß ich aufbreche; also Lebewohl Euch Allen!“

Er wollte den Abschied möglichst kurz und hastig abmachen, aber das gelang ihm nicht; denn die sämmtlichen Herren wurden von einer ebenso plötzlichen wie rührenden Zärtlichkeit für den scheidenden Freund ergriffen und fühlten das dringende Bedürfniß, sich bis zum letzten Momente seiner Gegenwart zu erfreuen.

„Wozu uns jetzt schon trennen!“ rief Bernardo. „Es ist noch eine halbe Stunde bis zur Abfahrt, und die können wir gemeinschaftlich verleben. Ich begleite Dich an Bord.“

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verschiedene: Die Gartenlaube (1883). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1883, Seite 2. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1883)_002.jpg&oldid=- (Version vom 29.8.2023)