Seite:Die Gartenlaube (1883) 028.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
verschiedene: Die Gartenlaube (1883)

2) Die Rufayis, ein Orden, welcher von Seid Ahmed Rufayi (gestorben 1205 n. Chr.) gestiftet wurde und der bekannt ist unter dem Namen „heulende Derwische“. Ihr Ceremoniell besteht namentlich im Hersagen langer Gebete, welche mit einer convulsivischen Bewegung des Körpers verbunden und zum Theil mit einem stoßweise hervorgebrachten rauhen Geheul begleitet werden. Der widrige Eindruck, den diese Uebungen machen, ist schon vielfach beschrieben worden. Die früher am Schluß jeder Uebung ausgeführten Taschenspielerkünste mit glühenden Eisen und Marterwerkzeugen sind neuerdings von der Polizei verboten worden, sollen aber noch bisweilen in einem „geschlossenen Kreise“ zur Ausübung gelangen. Dagegen findet die Ceremonie der wunderkräftigen Heilung, wie sie die anseitige, an Ort und Stelle aufgenommene Skizze darstellt, noch statt. Kranke jeden Alters und Standes, selbst Beamte und höhere Officiere, meistens jedoch Greise und Kinder, werden der Länge nach auf einem der bunten vor der Gebetsnische liegenden Thierfelle ausgestreckt hingelegt. Der Scheikh, von einigen Gehülfen unterstützt, betritt dieses lebende Piedestal und verharrt darauf stehend einige Secunden lang. Gleichzeitig wird Wasser in offenen Glasflaschen vor den in voller Thätigkeit begriffenen „Heulern“ vorbeigetragen und in dem Glauben, daß es durch die Einwirkung dieses heiligen Dunstkreises heilkräftig geworden, den Patienten zum Trunk gereicht.

Wie man sieht, ist der Orden der Rufayis die ganz besondere Heimstätte des Aberglaubens und religiösen Humbugs. Die Mitglieder finden aber noch heutzutage ihre Rechnung dabei und unterziehen sich willig den angreifenden Uebungen, obwohl viele von ihnen dieselben mit ihrer Gesundheit bezahlen müssen.

(Schluß folgt.)




Deutschlands große Industrie-Werkstätten.

Nr. 16. Die Rabenauer Möbelindustrie.

Was nicht alles in dem gewerbreichen Sachsen aus einem alten finstern, am Felsen hangenden Raubritternest werden kann! Eine freundliche, ausgedehnte Möbelfabrik ist aus einer solchen Ritterburg in Rabenau entstanden, eine Möbelfabrik, die innerhalb der deutschen Reichsgrenzen einzig in ihrer Art ist, wenn wir von einigen nur sehr kleinen Firmen in Sachsen und Baiern absehen. Die Sächsische Holzindustrie-Gesellschaft, die Besitzerin des Etablissements, hat hier einen blühenden Wiener Industriezweig, die Fabrikation gebogener Möbel, eingeführt, betreibt denselben neben der Handfabrikation mit vollem großindustriellem Hochdruck und hat ihn in kurzer Zeit zu hoher Blüthe gebracht.

Diese merkwürdige Wandelung steht in Sachsen nicht einzig da. In der stolzen Albrechtsburg wurde bekanntlich über hundert Jahre lang Porcellanerde geknetet, und in dem alten Jagdschlosse Kaiser Karl’s des Vierten zu Mylau wird noch immer flott Kattun gedruckt. Doch wie dort ist auch in Rabenau die Romantik dabei ein wenig in’s Gedränge gekommen; die modernen fabrikmäßigen Zubauten sind dem alten malerischen, tannenumrauschten Gemäuer hoch über den Kopf gewachsen, aber die Leser werden am Ende des Artikels doch mit der Wandelung zufrieden sein, und wenn sie noch so romantisch veranlagt wären.

Die Möbelfabrikation zu Rabenau, einem Bergstädtchen unfern Tharandt im rührigen Erzgebirge, mag schon im frühesten Mittelalter aufgekeimt sein, und als erste und vornehmste Ursache dazu ist der Wald anzusehen, der sich von hier in unabsehbaren Beständen bis auf den Kamm des Gebirges hinaufzog und der noch heute die Gegend zu einer der holzreichsten in ganz Sachsen macht.

Die Ansiedler zu Füßen des Raubnestes genossen volle Holzfreiheit. Das wollte nun nicht viel mehr bedeuten wie „freies Herdfeuer“; denn gegen ein Verfrachten der Hölzer legten die tiefen schluchtartigen Felsenthäler, die noch heute bei den Fuhrleuten in üblem Ansehen stehen, Protest ein. Die betriebsamen Wäldler wußten diese Schwierigkeit auf sehr praktische Weise zu beheben; sie begannen die Hölzer durch Arbeit zu veredeln und machten sie auf diese Weise frachtfähiger; sie bauten zunächst Truhen, Schemel, massige breite Tische mit Kreuzfüßen, wie man sie noch heute in Bauerstuben antreffen kann; sodann bildeten sie Reffs, Hitschen und größere Haus- und Küchengeräthe, leicht herzustellende und leicht verkäufliche Objecte. So entwickelte sich hier ein sehr bedeutender Industriezweig mit Hunderten von kleinen Werkstätten, in denen die Sägen kreischten, die Hobel zischten und die Drehspähne aufsprühten, daß es eine Lust war.

Diese Hausindustrie überstand die Raubritterperiode; sie überlebte auch mehrere Rittergeschlechter droben in der Burg, die das Gewerbe ihrer Vorsassen nicht fortbetrieben; sie überstand den Dreißigjährigen Krieg; ja selbst die Einziehung der Holzfreiheit konnte nicht die Grundvesten ihrer Existenz erschüttern – aber eines ging ihr doch beinahe an’s Leben: der Geist der neuen Zeit mit seinen erhöhten Anforderungen an Stil, Geschmack und Solidität.

Die Rabenauer Stuhlbauer- und Tischlerbevölkerung – die ganze Stadt führt den Hobel – konnte sich von den alten traditionellen Formen, deren Pappschemas schon von Urväterzeiten her über den Werkbänken hingen, nicht losreißen; nur die Füße der Schemel und die Platten der Tische waren mit dem Wachsen der Holzpreise und der Gesellenlöhne dünner und dünner geworden, dabei wurden aber auch die Abnehmer dünner und dünner und der Vertrieb mit jedem Tage schwieriger.

Der sonst gering geschätzten „Fabrikwaare“ blieb es vorbehalten, die ausgedehnte Hausindustrie, die noch immer 112 selbstständige Meister mit über 1000 Gesellen und mehreren Tausend Rohrflechterinnen aufweist, zu regeneriren und in die alten soliden Bahnen wieder hinein zu lootsen. Der Fabrikwaare ist es lediglich zu danken, daß heute die Rabenauer Stuhlbeine, Tischplatten und Schrankthüren nicht nur wieder kräftiger und stämmiger aussehen, sondern auch gefälligere Formen angenommen haben. Hierdurch stiegen auch die Preise in die Höhe, die vordem ganz erbärmlich niedrig waren.

In der Zeit des Niedergangs der Industrie tauchte in Rabenau ein wirthschaftliches Talent Namens Reuter auf; längst war er schon Meister und litt, wie alle seine Genossen, unter dem Drucke des Verfalls, der den Gewerkzweig ergriffen. Da raffte er sich auf und ging als vierzigjähriger Mann in die Fremde, um in den großen Werkstätten der österreichischen Metropole der neuen Zeit an den Puls zu fühlen. Wir können hier nicht seiner Mühsale und selbst der Gefahren, welchen er ausgesetzt war, gedenken; erwähnt sei nur, daß ihn die böhmischen Arbeiter einer Wiener Möbelfabrik um eines Modells willen todtschlagen wollten – kurz, der Mann kam zurück und begründete in der alten Raubritterburg eine Möbelfabrik auf modernen Grundlagen, mit neuen geschmackvollen Modellen und uralter Solidität. So ist diese alte finstere Burg ein heller Segen der weiten Umgebung geworden; sie giebt innerhalb ihrer Mauern 560 Arbeitern Lohn und Brod, und gegen 2000 Rohrflechterinnen finden außerhalb einen sehr willkommenen Nebenverdienst.

Die wirkliche Bedeutung der Fabrik werden wir jedoch erst beim Besuch derselben kennen lernen. Machen wir uns also auf den Weg! Unfern von Tharandt, dem allerliebsten Thalnest, auf Station Hainsberg, verlassen wir die Eisenbahn und dringen entweder neben der neuen Rabenauer Secundärbahn in den wildromantischen Felsklüften des Rabenauer Grundes vor oder streben über den Berg direct auf das Städtchen los.

Im ersteren Falle zeigt sich uns die Fabrik mehr im Reiz ihrer Historie; sie trotzt noch genau so romantisch von ihrer Felshöhe herab, wie einst die Ritterburg; nur wollen sich die Schaaren fröhlicher Tischlergesellen, welche den Burgpfad hinauf zur Arbeit eilen, gar nicht recht in das feudal-mittelalterliche Bild einfügen. Von der Höhe des Berges gesehen, liegt dagegen das Etablissement in voller Ausdehnung vor unseren Blicken, freilich auf Kosten des malerischen Effectes.

Auf große Holzlager darf man in einer Möbelfabrik schon gefaßt sein, doch gewiß nicht auf so großartige, wie sie sich hier im Burghof aufthürmen. Vor Allem sind es silbergraue Buchen- und dunkle Eichenstämme, und darunter finden sich Exemplare, unter denen schon die Heerhaufen des Dreißigjährigen Krieges

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1883). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1883, Seite 28. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1883)_028.jpg&oldid=- (Version vom 17.12.2023)