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Verschiedene: Die Gartenlaube (1883)

Plätzen und allen Straßen in dichten Massen zu schauen, um den Neuvermählten seinen Hochzeitsgruß zuzujauchzen.

So ein Hochzeitszug am englischen Hofe ist von großartiger Pracht und geradezu mächtigem Eindrucke durch die Beibehaltung alter Formen, in deren Rahmen sich das Modernste bewegt. Die Kleidung der Staatstrompeter, welche den Eintritt jedes Zuges durch ihre Fanfaren begrüßen, der Yeomen, welche Spalier bilden, trägt den Charakter der Zeit Heinrichs des Achten. Zuerst erschien der Zug der Gäste, mit den Eltern des „Bridegroom“, dann derjenige der Königin. In einer Gruppe von fürstlichen Herren ging der hohe Bräutigam in der Uniform eines preußischen Generalmajors, zu welchem er an diesem Tage ernannt worden; er war mit dem höchsten Orden seines Hauses, demjenigen vom Schwarzen Adler, decorirt.

Der Knabe, den wir auf dem Bilde gesehen haben, hatte sich zum stattlichen jungen Manne von siebenundzwanzig Jahren herausgebildet, hoch, voll, kräftig von Bau, frisch und energisch in seinen Bewegungen. Das Gesicht war noch nicht das Kronprinzenangesicht, das wir kennen und das uns fast ein Typus geworden ist: der dunkelblonde Vollbart umrahmte noch nicht das Oval desselben. Ein blonder Schnurrbart bedeckte die Oberlippe, und der Anfang des Vollbartes zeigte sich damals nur erst in einem Ansatze an beiden Seiten. Aber das große dunkelblaue Auge blickte hell und freundlich aus den vom frischesten Lebenshauche belebten Zügen, verkärt durch den Ausdruck eines Hochgefühles von Glück, das ihm hier vor den Communion Rails der Royal Chapel zu Theil werden sollte.

Der letzte der Züge brachte die Braut in einer Wolke von Brautjungfern aus dem höchsten englischen Adel. Die Prinzessin war wenige Wochen vor ihrer Hochzeit in das achtzehnte Jahr getreten; sie sah vielleicht noch jünger aus. Was dem Gesichte seinen Reiz verlieh, war der wechselnde Ausdruck von Kindlichem und Jungfräulichem in dem von den zartesten Farben überhauchten Antlitze, und die Augen, die so viel verheißend aus dem Kindergesichte schauten, hatten das, was sie damals versprochen, gehalten – sie waren die Seele dieses bräutlichen Antlitzes. Von lichtem Braun glänzend, klar und innig, waren ihre Blicke die Sprache eines hellen, trotz der Jugend schon entschlossenen Geistes, eines auf Wahrheit und Innigkeit gerichteten Herzens und Gemüthes.

Jeder dieser Brautzüge wurde von den Staatstrompetern der Königin mit Fanfaren begrüßt – jeden Zug begleitete der auf der Orgel gespielte Alexander-Marsch von Händel zum Altar. Vor dem Altar wurde das Paar vereinigt, und der Erzbischof von Canterbury vollzog die Trauung. Bekanntlich ist diese in England noch ein Recht der Kirche, und die Formel vereinigt mit der religiösen Weihe ein staatlich-juridisches Moment. In ihr hat sich die uralte germanische Eheschließung erhalten. Der Geistliche fordert den Vater auf, seine Einwilligung zu der Hingabe der Tochter an den Mann zu geben, und indem dieser die Hand in die der Braut legt, begiebt er sie mit seinem Leibe und seinen leiblichen Gütern. Das „I will“ des Prinzen Friedrich Wilhelm kang voll und frisch durch die hohe Kirchenhalle von St. James.

Fest reihte sich an Fest sowohl in Buckinghampalace wie in Windsor. Hier nahm die Königin die Einkleidung ihres Schwiegersohnes als eines Ritters „Of the most noble order of the Garter“, des Hosenbandordens, vor. Sonst ist es in England in der höchsten Gesellschaft der Brauch, daß man Neuvermählte vierzehn Tage allein läßt, aber dieser Honigmonat war dem prinzlichen Ehepaare nicht beschieden. Von der Heimath waren erwartungsvoll Wünsche und Gedanken über den Canal gerichtet, um die junge Fürstin, welche einst die Thronstelle einer Königin Louise, Elisabeth und Augusta einnehmen sollte, von Angesicht zu Angesicht zu schauen und sie im Lande begrüßen zu können.

König Friedrich Wilhelm der Vierte, welcher diese Heirath so sehr begünstigt hatte, konnte nicht der Gast der Königin Victoria bei den Hochzeitsfeierlichkeiten sein. Die tückische, unheilvolle Krankheit, die drei Jahre später seine irdischen Tage beschloß, war bereits derart fortgeschritten, daß seine Anwesenheit bei der Hochzeit, die wohl in seinem Wunsche gelegen, zur Unmöglichkeit ward.

Als königlichen Commissarius zur Beiwohnung bei den Hochzeitsfeierlichkeiten hatte er einen seiner vornehmsten Hofherren, den Grafen Redern, nach London entsandt mit dem Auftrage, die junge Gemahlin seines Neffen in die preußische Heimath zu geleiten. Die Hochzeitsreise ging über Brüssel, wo das junge Paar vom Könige Leopold empfangen wurde, über Hannover, wo Georg der Fünfte der Welfentochter einen Empfang bereitete, über Magdeburg, Potsdam nach Charlottenburg. Hier empfing der König das neue Familienmitglied an der Pforte seines Schlosses: „Das ist ja schön, mein liebes Kind, daß Du nun da bist“ waren die Worte, mit welchen der königliche Herr die Ankommenden begrüßte. Am 8. Februar fand der großartige Einzug in Berlin statt, der Einzug auch in jenes dem Zeughause gegenüber gelegene Palais, in welchem Friedrich Wilhelm der Dritte und die Königin Louise ihre Flitterwochenzeit gehalten und welches die Berliner Heimathstätte des kronprinzlichen Paares geblieben ist bis auf den heutigen Tag.

Nach fünfundzwanzig Jahren! Es ist, als ob die Königin Louise, als sie kurz vor ihrem Tode aus diesem Hause geschieden, einen Ehesegen für das kommende Geschlecht darin zurückgelassen hätte. Aus diesem Hause machte sich das prinzliche Paar, welches nach dem Tode König Friedrich Wilhelm’s des Vierten an die erste Stelle am Throne gerückt war, auf Grund seines Herzens, Geistes und Charakters einen Tempel häuslichen Glückes. Waren auch höhere und außerhalb des Herzensbereiches liegende Interessen bei dieser Heirath zuerst thätig gewesen, so hatten sich doch über diese hinweg vor dem Altare in der königlichen Capelle von St. James in zwei fürstlichen Sprößlingen auch zwei Herzen die Hand gereicht. Mit vollbefriedigtem Mutterglücke konnte die Königin Victoria dem vom Könige gesandten preußischen Commissarius sagen, daß hier eine fürstliche Ehe aus wahrer Herzensneigung geschlossen worden sei. Die Folge gab diesem Ausspruche vollauf Bestätigung. Ein reicher Kindersegen entsproß dieser Ehe, und wenn auch zwei Kinder, und zwar das letzte zum größten Schmerze der Eltern schon im reiferen Knabenalter von ihrem Herzen wieder genommen wurden, so gab Gott für diesen Verlust wieder neue Freude, indem er ihnen zwei Enkelkinder in die Arme legte.

Freundlich mild, hellen und weisen Geistes waltet die Kronprinzessin in ihrem Hause, und mit den Vornehmsten und Mächtigsten des Landes sitzen die Künste und Wissenschaften an ihrem Tische zu Gaste. Auf praktische greifbare Ziele, auf die allgemeine Wohlfahrt ist ihr und ihres Gemahles ganzer Sinn gerichtet.

Auch äußere Erfolge waren diesem fünfundzwanzigjährigen Eheleben beschieden. Aus dem engern nationalen Kreise war der Kronprinz hinaus in den Bereich der großen deutschen Interessen getreten. Er hat sich mit seinem Schwerte diese Stellung erobert, und im vollsten Gefühle kann die Gattin sich sagen, daß sie mit der Kaiserin Augusta das Glück theile, von den zwei populärsten Männern Deutschlands den Einen als Gatten zu besitzen. Unter den Erinnerungen an alte Allianzen der Mächte sollte, als diese Ehe in Aussicht genommen war, in den gemeinsam errungenen Lorbeer vergangener Zeiten die grüne blühende Myrthe verflochten werden; jetzt nach fünfundzwanzig Jahren verflicht sich mit dem Silberkranze der Jubelgattin der grüne Lorbeer des siegreichen Feldherrn in innigster Allianz der Herzen.Georg Horn.     




Das Klootschießen, ein ostfriesisches Wintervergnügen.

Die in anderen Gegenden unseres Vaterlandes oft so stille Winterzeit bringt für Ostfriesland und die angrenzenden Küstenländer, namentlich die Jever- und Butjadingerlande, Tage des regsten Lebens und Treibens. Besonders stark entfaltet sich dasselbe, wenn die Erde hart gefroren und der Schnee fern geblieben ist. Nimmt man dann eins der vielen Provinzial- und und Localblätter zur Hand, so begegnet Einem fast unter jeder Localnachricht das Wort „Klootschießen“.

Verirrt sich nun ein solches Zeitungsblatt einmal zu den Bewohnern des inneren Landes, so wird ob der Bedeutung des

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1883). Leipzig: Ernst Keil, 1883, Seite 66. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1883)_066.jpg&oldid=- (Version vom 17.12.2023)