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Verschiedene: Die Gartenlaube (1883)

wenigsten Würfen am Ausgangspunkte wieder angelangt ist, und wär’s nur um den Raum einer Spanne, der ist Sieger.

Wie schon gesagt, ist es vor Allem um die Ehre des Sieges zu thun; denn der Siegerpreis ist meistensts bis zur Beendigung des Kampfes schon darauf gegangen. – Gewöhnlich sind die Kämpfer die Söhne der Bauern oder diese selbst, und erst wenn diese keine tüchtigen Werfer aus ihrem Kreise stellen können, kommen auch Andere an die Reihe. Abends krönt dann ein großes Siegesgelage in irgend einem Gasthofe die Freude des Spieles. Der Sieger ist der Held des Tages und Abgott Aller. Spät nach Mitternacht kehrt die Gesellschaft heim, und Alle meinen einstimmig: „Es ist doch ein herrliches Vergnügen, das Klootschießen, und so bald wie möglich soll’s wiederholt werden.“ W. Lülling.     




Die Besänftigung des ungestümen Meeres.

Eine Vergleichung alter Mythen mit neuen Versuchen.
Von Carus Sterne.

Eine merkwürdige griechische Sage berichtet von einem Wettstreite, welchen Neptun mit der Minerva um die Herrschaft über die neugegründete Stadt Athen, die spätere Hautptstadt Griechenlands, ausgekämpft habe. Der Beherrscher des Meeres brachte das Pferd hervor, die Göttin der Weisheit aber ließ den Oelbaum hervorsprießen, und die als Schiedsrichter herbeigerufenen Götter entschieden, daß der Oelbaum als das werthvollere Geschenk für die Bewohner anzusehen sei und daß die Herrschaft über die Stadt deshalb der Göttin gebühre, die sich in Folge dieses Sieges nach ihrer Stadt Athene nannte. Beim ersten Anblicke erscheint der Sinn dieser Localsage dunkel, aber er wird deutlicher, wenn wir erfahren, daß die mähnenschüttelnden Rosse des Neptun nur Bilder der sich bäumenden, weißkämmigen Meereswogen sind. Darum heißt es auch in einer anderen Form desselben Mythus, Athene habe auf der Burg von Athen den ersten Oelbaum hervorsprießen lassen, Poseidon dagegen, indem er mit dem Dreizack auf den Boden stampfte, eine Salzquelle oder einen Brunnen mit Seewasser daselbst erzeugt. Beide Gründungsheiligthümer, der erste Oelbaum wie die Neptunsquelle, wurden später in die Tempelbauten der Akropolis hineingezogen und erfuhren eine ihrem Rufe entsprechende Verehrung. Noch dem Pausanias, der im zweiten Jahrhundert unserer Zeitrechnung Griechenland bereist und geschildert hat, zeigte man im Erechtheum[1] als Wahrzeichen des Götterstreites diesen Meeresbrunnen und versicherte ihm, daß man in seinem Kessel das Meer Wellen schlagen und branden höre, so oft der Südwind die Wellen gegen den mehr als eine Meile entfernten Hafen von Athen treibe.

Es ist auffallend, daß den alten Mythenerklärern der Sinn dieser Kampfsage gänzlich entgangen ist. Dem Schreiber dieser Zeilen erscheint es zweifellos, daß er die den Alten wohlbekannte besänftigende Wirkung, welche das Oel der Weisheitsgöttin, deren natürliches Symbol die Studirlampe war, auf die aufgeregten Meereswogen ausübt, in einer classischen Form versinnlichen sollte, worauf auch der Zusatzmythus deutet, Poseidon habe Athen zu überschwemmen gedroht, Athene aber seine Macht gebrochen. Darum blieb der Oelbaum den Athenern heilig, und als der von der Göttin selbst erzeugte Tempelbaum aus der Burg in den Perserkriegen durch Brand zerstört wurde, benutzte man seinen Wurzelausschlag, um in der „Akademie“ einen ganzen Park heiliger Oelbäume aufzuziehen. Erinnert man sich überdies, daß die Oelbaume den Meeresstrand allen anderen Standorten vorziehen und dort den heftigsten Stürmen Trotz bieten, so wird der dunkle Sinn dieses Naturmythus noch leuchtender hervortreten. An jene Sage vom Götterkampfe knüpft sich zugleich die Wahl des Oelzweiges zum Symbole des erstrittenen Sieges (z. B. in den olympischen Spielen) sowie des durch Kampf gewonnenen Friedens.

Den alten Griechen, welche auf der See wohl Bescheid wußten, war das einfache Mittel, die aufgeregte Oberfläche der See durch aufgeschüttetes Oel zu glätten, wohl bekannt, und ganz allgemein benutzten es ehemals, wie uns Plutarch und andere Schriftsteller mitgetheilt haben, die Taucher, welche auf der dunklen Meerestiefe nach Perlmuscheln, Korallen und Schwämmen suchten. Sie nahmen beim Hinabtauchen den Mund voll Olivenöl und spritzten es von sich, um in der Meerestiefe das nöthige Licht für ihre Nachforschungen zu gewinnen. Die beständige Kräuselung der Meeresoberfläche durch kleine Wellen hindert nämlich das Eindringen des Tageslichtes in genügender Menge, und daher hat die Ausspritzung des Oeles, welches die Oberfläche glättet, eine baldige Aufhellung der Tiefe zur Folge. Auch die heutigen Schwammfischer bedienen sich noch dieses einfachen Mittels, selbst wenn sie, ohne zu tauchen, die Schwämme vom Kahne aus mit der Harpune suchen; sie werfen zu diesem Zwecke eine Anzahl in Oel getauchter Steine im Halbkreis gegen den Wind, um die Wellen schon im Herankommen zu zerstören.

Man möchte sagen, daß die Natur den Menschen das Geheimniß der Meeresbesänftigung durch Oel freiwillig entschleiert und den Schiffern die nöthigen Fingerzeige selbst gegeben habe; denn an solchen Küstenplätzen, wo sich Erdölquellen in’s Meer ergießen, bleibt die See auch bei heftigem Winde ruhig und die Brandung ist daselbst eine unbekannte Erscheinung. Der bekannte französische Geologe Violet d’Aoust beobachtete diese beruhigende Wirkung der Petroleum ergießenden Salsen an einem Punkte der mexicanischen Küste in der Nähe von Veracruz, woselbst eine starke Wasserbewegung so unbekannt ist, daß die Führer kleinerer Fahrzeuge beim Sturme schleunigst dieses ewig stille Ufer zu gewinnen suchen.

Küstenorte, in deren Nähe Petroleumquellen fließen, wie z. B. auf der Halbinsel Apscheron im Kaspischen Meere, könnten sich somit ohne kostspielige Bauten Sicherheitshäfen anlegen, wenn sie einfach eine Oelquelle an der betreffenden Stelle in’s Meer leiten wollten.

Uebrigens sind die fetten Oele in dieser Richtung noch wirksamer als das Erdöl, welches im natürlichen Zustande oft zu dickflüssig ist, um sich schnell über die Wogen zu verbreiten. Daß in dem ölreichen Küstenlande Attikas früh die meerberuhigende Wirkung des Olivenöls beobachtet wurde, kann Niemand verwundern. Jedes ölführende Fahrzeug, welches bei stürmischem Wetter umschlug, mußte den Erfolg zeigen. An den griechischen Küsten ist die Benutzung des Oeles, um sich bei jedem Wetter die Landung zu ermöglichen, auch stets unvergessen geblieben, und bei stürmischer See führen die Piloten häufig zu diesem besonderen Zwecke ein Gefäß mit geringwerthigem Oel bei sich.

Der oben erwähnte französische Naturforscher erfuhr dies zu seinem nicht geringen Erstaunen auf seiner geologischen Reise in Griechenland (1830). Eines starken Sturmes wegen hatte sein Pilot die größte Schwierigkeit, die Küste der Insel Thasos zu erreichen, und sein wiederholt ausgesprochenes Bedauern, daß er leider kein Oel bei sich führe, um die Brandung zu stillen, kam dem Reisenden beinahe lächerlich vor. Als aber kurz darauf bei anhaltendem Sturme auch die Ausschiffung Schwierigkeiten fand, hatte er die beste Gelegenheit, die schnelle Wirkung dieses für die Küstenschifffahrt wichtigen Hausmittels kennen zu lernen.

Bei den nordischen Seeleuten blieben diese Thatsachen lange Zeit hindurch, wenn nicht unbekannt, so doch unbenutzt, obwohl es hier nicht wenig Häfen giebt, in denen die Landung bei stürmischem Wetter fast unmöglich ist. In neuester Zeit hat sich indessen ein reicher Schotte, William Shields, das Verdienst erworben, durch ausgedehnte und dem entsprechend kostspielige Versuche den Nutzen des Verfahrens auch für die Sicherung größerer Schiffe nachzuweisen. Er stellte seit zwei Jahren Versuche im Hafen von Peterhead in Schottland an, der bei schlechtem Wetter geradezu unnahbar ist, indem er auf dem Meeresgrunde ein System metallener Röhren mit brausenartigen Oeffnungen legen ließ, welche es ermöglichen, mittelst einer an der Küste aufgestellten Druckpumpe bis auf eine Entfernung von 180 Metern von der Küste beliebige Oelmengen auszupumpen und schnell auf eine große Fläche in der Richtung der mit den

stärksten Wogen bedecken Barre zu vertheilen. Diese Versuche


  1. Das Heiligthum der Athene auf der Akropolis
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1883). Leipzig: Ernst Keil, 1883, Seite 68. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1883)_068.jpg&oldid=- (Version vom 17.12.2023)