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verschiedene: Die Gartenlaube (1883)

ergaben, daß auch bei der stärksten Brandung die Meeresoberfläche nach halbstündigem Pumpen so wohl geglättet wurde, daß selbst die kleinsten Barken ohne Gefahr einlaufen konnten. Shields empfiehlt deshalb allen in ähnlicher Lage befindlichen Häfen die Herstellung eines solchen Apparates, dessen Kosten sich auf etwa 10,000 Mark belaufen und der viel kostspieligere Hafenbauten überflüssig macht.

Aehnliche Versuche wurden am 4. December vorigen Jahres auf Veranlassung des schottischen Handelsamtes im Hafen von Aberdeen angestellt. Man hatte eine günstige Gelegenheit abgewartet; denn es wehte an jenem Tage ein so starker Südoststurm, daß die Wogen sich beständig über die Molen ergossen und der hohe Seegang es so ziemlich Schiffen jeder Art unmöglich machte, die Barre mit Sicherheit zu passiren. Man verwendete statt des Oeles Walfischthran und erreichte nach Verlauf von 20 Minuten die Stillung der Brandung so weit, daß die Schiffe mit Sicherheit einlaufen konnten. Freilich wurden dabei 280 Gallonen (das heißt nahezu 2 Tonnen) Thran verbraucht – ein etwas kostspieliges Opfer für den erzürnten Neptun. Natürlich soll damit nicht behauptet werden, daß ein solches Opfer nicht unter Umständen ein wohlangebrachtes sein könne, aber sparsamer erscheint jedenfalls das griechische Verfahren, bei welchem die Schiffer das Oel immer bei sich führen, um sich im gegebenen Falle mit geringeren Opfern ruhige See in der unmittelbaren Umgebung ihres Fahrzeugs zu verschaffen.

Ein ähnliches Verfahren hat im letzten December ein englischer Schiffscapitain, Namens Beacher, angewendet, um seinen neuen Dampfer mit 50 Passagieren und werthvoller Ladung bei stürmischem Wetter glücklich zur Landungsstelle von Newcastle zu bringen. Er stellte auf jede Schiffsseite einen Matrosen mit einer Kanne auf, die 2 Gallonen Lampenöl enthielt, mit dem Auftrage, immer nur so viel Oel in die Wogen zu gießen, als nöthig sei, das Wasser in der unmittelbaren Umgebung des Schiffes zu glätten, und mit dem weiteren Zugießen zu warten, bis das Wasser sich wieder aufgeregt zeige. In dieser Weise wurde dem Schiffe für eine längere Zeit – der Bericht spricht von mehreren Stunden – ruhige Fahrt verschafft und die Landungsstelle an der Mündung des Tyne zum Erstaunen der daselbst befindlichen Zuschauer schnell und glücklich erreicht, während der gesammte Oelverbrauch nur 4 bis 5 Gallonen betrug. Dies wäre natürlich ein viel ökonomischeres Verfahren, als das zuerst erwähnte, und es zeigt jedenfalls, wie wichtig es für ein Fahrzeug werden kann, größere Mengen von Oel an Bord zu haben.

Seit alten Zeiten schon haben sich die Naturforscher bemüht, zu erklären, auf welche Weise das Oel die erregten, schäumenden Rosse des Neptun bändige. Am längsten blieb die Erklärung des Aristoteles in Ansehen, welche, von der Schlüpfrigkeit des Oeles ausgehend, besagte, der Wind gleite von der glatten Oberflächenschicht, welche das Oel über das Wasser breitet, ab und können das letztere in Folge dessen nicht weiter aufwühlen. Diese Erklärung war offenbar von der alten Palästra geholt, auf welcher die Ringer sich einölten, um von dem Gegner weniger sicher gepackt werden zu könnwn, aber sie wurde trotz ihrer Unwahrscheinlichkeit immer wieder erneut, weil man eben keine bessere an ihre Stelle zu setzen wußte. Andere meinten, der Wind treffe nunmehr blos die Oelschicht und bewege sie über dem Wasser hin, weiches sich darunter beruhige.

Noch manche andere Meinungen sind im Laufe der Jahrhunderte von den Physikern zur Erklärung des mysteriösen Vorganges, der sich vor ihren Augen vollzog, aufgestellt worden, aber keine derselben befriedigt den denkenden Geist. Wir haben es offenbar mit einer ziemlich zusammengesetzten Erscheinung zu thun, in welcher sich verschiedene einfachere Kraftwirkungen gegenseitig durchkreuzen. Vor einigen Monaten hat ein belgischer Physiker, Herr van der Mensbrugghe, in den Schriften der Brüsseler Akademie der Wissenschaften versucht, den Vorgang zu analysiren und ihn sogar in mathematische Formeln zu kleiden, wovon wir hier in gewöhnlicher Sprache eine kurze Andeutung geben wollen.

Die Sturmwellen des Meeres sind, wie man sich leicht klar machen kann, die Summe unzähliger kleinerer Angriffe, welche die bewegte Luft auf die horizontale Meeresfläche übt, und die sich anhäufen, weil die Angriffe sich immer in derselben Richtung erneuern. Jedermann erinnert sich aus dem physikalischen Unterricht, daß die Wellen im Grunde nicht, wie es der Augenschein uns vortäuscht, eine Fortbewegung der Flüssigkeit selbst, sondern im Wesentlichen nur eine Fortpflanzung der die Wellen erzeugenden Kraft darstellen; die Wassertheilchen bleiben, ebenso wie die Halme des Getreidefeldes, über welches die Windwellen dahineilen, zunächst an ihrer Stelle und heben und senken sich nur in einem in sich selbst zurückkehrenden Bogen. Allein eine gewisse horizontale Bewegung der Wassermassen mit dem Winde findet nichtsdestoweniger dennoch statt, wie wir ja deutlich an dem überstürzenden Kamm der Wellen sehen können, und nichts ist natürlicher, da ja die hochgehenden Wellen dem nachschiebenden Winde eine sehr günstige Angriffsfläche darbieten. Der Wind stößt gleichsam nach. Die Kraft der überstürzenden Wassermassen wird sich im Allgemeinen erhöhen, je länger die Wellen laufen, bis zu einem Gleichgewichtspunkte, der sich wohl schon dadurch ergiebt, daß die Wellen die vor ihnen liegende Wasserfläche um so mehr vor dem unmittelbaren Angriff des Windes schützen, je höher sie ausfallen.

Die Alten wußten dabei noch von einer sogenannten Decuman-Welle, einer zehnten Welle zu erzählen, die sämmtliche neun vorhergegangenen Wellen an Stärke übertreffen sollte, über welche aber, soweit uns bekannt, keine neueren Beobachtungen vorliegen. Am Ufer kommt dann der Kampf der zurückprallenden Wellen (Reflexionswellen) mit den heraneilenden, der Anprall gegen die Klippen, das Wachsthum der lebendigen Kraft, wenn die breite Meereswelle in eine engere Bucht einläuft, dazu, um die Brandung zu erzeugen, die natürlich mit dem allgemeinen Wellengange und dem Winde wächst. Nebenbei sei hier bemerkt, daß an einzelnen Küstenstellen, wo enge Klüfte sich in die Uferfelsen fortsetzen, öfter Erscheinungen auftreten, die an den Meerbrunnen des Poseidon auf der Akropolis (nach der Beschreibung des Pausanias) erinnern. In einem solchen natürlichen Schlote an der mexicanischen Küste, dem sogenannten Buffadero, steigt das Meerwasser bei Sturmgang sogar vierzig Meter über die Meeresfläche und bildet einen imposanten natürlichen Springbrunnen, der nach jeder herankommenden Welle seine Garbe emporschleudert.

Haben wir somit in den großen Meereswellen einen aus vielen kleineren Anstößen erwachsenen Gesammteffect vor uns, so werden wir uns nicht wundern dürfen, daß derselbe auch am besten durch zahlreiche kleinere, aber unaufhörlich wirkende Gegenströmungen zerstört werden kann, und dies bestätigt in der That die allgemeine Erfahrung der Seeleute, der zufolge kleine an der Oberfläche der See schwimmende Körperchen, wie z. B. die Eisnadeln des gefrierenden Polarmeeres oder die schwimmenden Tangreste der sogenannten Sargassosee, die Entstehung hoher Wellen selbst bei starkem Winde verhindern. Diese schwimmenden Körperchen brechen – um es ganz allgemein verständlich auszudrücken – die horizontal wirkende Kraft der Wellen durch die Kraft ihres directen Auftriebes; von der Sturzwelle hinabgezogen, steigen sie immer wieder, ohne der Kreisbewegung der Welle willig zu folgen, möglichst senkrecht empor und hindern dadurch ein Anwachsen der lebendigen Kraft.

In ähnlicher Weise wirkt nun offenbar auch das Oel, indem es, durch die Sturzwelle hinabgezogen, in Form kleinerer Tropfen wieder nach oben steigt und dabei den Zusammenhang im gleichen Sinne bewegter Flüssigkeitsmassen unterbricht, wobei noch manche andere in derselben Richtung wirkende Eigenschaft des Oeles, z. B. die Zähigkeit seiner fortwährend neu zerreißenden Oberflächenschicht und die Kraft seiner Neuausbreitung hinzukommen mag, um den auffallenden Gesammteffect zu erzeugen. Es ist dabei gar nicht nöthig, daß die an der Oberfläche sich verbreitende Oelschicht sehr dick sei, vielmehr will man sogar schon von den sehr geringen Fettmengen, die beim Massenfange von Fischen und anderen Seethieren verbreitet werden, eine deutliche Beruhigung des Wassers an solchen Fangplätzen beobachtet haben.

Dieselbe Wirkung wie das Oel müssen nun alle leichteren Körper ausüben, die sich nicht im Wasser auflösen, und so will man auch an Stellen, wo die Meeresoberfläche sehr reich an kleinen Organismen ist, eine Abschwächung des Wellenganges bemerkt haben. Vielleicht würden auch im Wasser vertheilte Sägespähne eine entsprechende Wirkung hervorbringen. Selbst ein mäßiger Platzregen äußert nach vielfachen Erfahrungen der Seeleute eine ähnliche Wirkung, indem er durch das unaufhörliche Hinabdrücken der von den einzelnen Tropfen getroffenen Oberflächen-Theilchen die Gleitbewegung den oberen Schichten erschwert und durch den zu der Wellenrichtung mehr oder weniger senkrechten Aufprall der

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verschiedene: Die Gartenlaube (1883). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1883, Seite 70. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1883)_070.jpg&oldid=- (Version vom 26.1.2023)