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Verschiedene: Die Gartenlaube (1883)

„Hertenstein war glücklich!“ sagte Anna mit Nachdruck. „Und ich – habe mich wenigstens bemüht, es zu scheinen.“

„Ja, Ihr führtet eine Musterehe! Der Präsident konnte nicht genug sein Glück preisen, und Du wurdest allgemein bewundert – wegen Deiner Hingebung an den Greis. Vielleicht wäre die Welt weniger freigebig mit ihrem Lobe gewesen, wenn sie gewußt hätte, was Dich in seine Arme trieb.“

„Willst Du mir einen Vorwurf daraus machen?“ In der Stimme der jungen Frau klang eine leise Bitterkeit. „Du warst es ja, der mir rieth, den Antrag anzunehmen, der meinen wankenden Entschluß bestimmte.“

Gregor sah mit einem seltsamen Ausdruck aus sie nieder; es war ein Gemisch voll Düsterheit und stolzer, kalter Genugthuung.

„Ja, das that ich! Es galt, Dich schlimmeren Banden zu entreißen. Du glaubtest damals stark zu sein – Du warst es nicht; deshalb rieth ich Dir, eine Pflicht zwischen Dich und die Vergangenheit zu stellen. Ich wußte, Du würdest diese Pflicht ehren.“

Anna gab keine Antwort; sie stützte nur den Kopf in die Hand, während Vilmut fortfuhr:

„Ich glaubte Dich geborgen an der Seite des Mannes, dem sein Alter schon die ruhige Zurückgezogenheit zur Pflicht hätte machen sollen; statt dessen führte er Dich mitten hinein in den Strudel der großen Welt, mitten hinein in ihre Versuchungen und prahlte mit Deinen Triumphen in der Gesellschaft. Du bist auch nicht gleichgültig dagegen geblieben, oder wird es Dir leicht, von der früheren Höhe herabzusteigen in die Einfachheit beschränkter Verhältnisse?“

„Nein, denn jedes Herabsteigen schließt eine Demüthigung in sich. Aber ich werde mich in das Unvermeidliche fügen, ohne zu murren.“

„Ich dachte es mir! Euch Weltkindern wird Glanz und Pracht ja zu einem Lebensbedürfniß; Ihr könnt nicht wieder davon lassen. – Hast Du schon Deinen Zukunftsplan überlegt? Was wirst Du thun, wenn Rosenberg verkauft wird? Ich denke, Du überläßt es mir, Dir einen passenden Wohnort auszusuchen.“

„Ich danke Dir für das Anerbieten,“ sagte die junge Frau kühl, „aber es ist besser, ich bestimme das selbst. Wir könnten verschiedener Meinung sein, und Du forderst unbedingte Unterwerfung unter Deinen Willen; ich weiß das noch von der Zeit her, wo ich in Deinem Hause lebte.“

„Du hast gleichwohl diese Unterwerfung nie geübt,“ erwiderte Gregor scharf. „In Dir war immer ein Element des Widerstandes, das ich mit aller Strenge nicht brechen konnte, und was mir bei Anna Vilmut nicht gelang, werde ich bei der Präsidentin Hertenstein schwerlich erreichen. Du hast viel Selbstständigkeit gelernt bei dem Manne, der nur ein gehorsamer Diener Deiner Wünsche war. Doch gleichviel, wo Du Deinen künftigen Wohnort wählst! Du wirst es jedenfalls so einrichten, daß der Zufall keine unliebsame Begegnung herbeiführen kann, auf die Du hier in Rosenberg immer gefaßt sein mußtest. Die Nähe jenes –“

„Gregor!“

Es war ein halb zürnender, halb angstvoller Ausruf. Vilmut hielt inne, aber zwischen seinen Brauen erschien eine finstere Falte.

„Nun?“ fragte er nach einer Pause.

„Du hast es mir damals versprochen, daß der Punkt zwischen uns nie wieder berührt werden soll. Denke an Dein Versprechen!“

Die durchdringenden Augen des Priesters ruhten unverwandt auf dem schönen, tief erbleichten Antlitz; es war ein Blick, der bis in die innersten Tiefen der Seele zu dringen schien.

„Ist das noch nicht überwunden?“ fragte er endlich langsam. „Noch nicht?“

Ein tiefer Athemzug rang sich aus der Brust der jungen Frau empor. „Es ist zu Ende – Du weißt es ja! Ich habe mich Deinem Willen gebeugt, ich denke, Du kannst mit mir zufrieden sein.“

„Meinem Willen? Als ob Du Dich jemals einem fremden Willen gebeugt hättest! Du fügtest Dich einer unerbittlichen Wahrheit, die ich Dir enthüllte. Ich habe nichts weiter gethan, als Dir die Augen geöffnet, aber Du hast es dem Arzte nicht gedankt, der Dich rettete – Du wärst am liebsten blind geblieben.“

„Du irrst,“ sagte Anna tonlos. „Ich danke es Dir – noch heute.“

Vilmut wollte etwas erwidern, als die Thür ziemlich ungestüm geöffnet wurde und ein junges Mädchen hereinflog. Sie war in Hut und Mantel; ihre langen Flechten waren nicht aufgesteckt, sondern fielen lose herab, und das noch ganz kindliche Gesicht strahlte von Heiterkeit und Uebermuth.

„Da bin ich wieder!“ rief sie mit heller Stimme. „O, das war eine lustige Fahrt! Wir sind bis in das verzauberte Gebiet von Felseneck gerathen und hätten um ein Haar –" sie hielt, den Pfarrer gewahrend, plötzlich inne und fügte dann in einem ganz veränderten, ziemlich kleinlauten Tone hinzu: „Ah, Du bist hier, Vetter Gregor! Ich störe wohl?“

„Ja, Lily, Du störst!“ erwiderte er kalt. „Man stürmt überhaupt nicht so in’s Zimmer wie ein wilder Knabe. Wann endlich wirst Du lernen, Dich wie ein erwachsenes Mädchen zu benehmen?“

Lily hatte sich schleunigst an die Seite der jungen Frau geflüchtet und blickte von dort halb trotzig und halb scheu zu dem strengen Vetter hinüber, aber die Scheu behielt die Oberhand; denn sie wagte keine Erwiderung; statt ihrer nahm Anna das Wort.

„Lily ist ja kaum sechszehn Jahre alt. Laß ihr doch noch eine Weile den Frohsinn und den Uebermuth des Kindes! Der Ernst des Lebens wird früh genug an sie heran treten.“

„Du verwöhnst Deine Schwester,“ sagte Vilmut tadelnd. „Anstatt sie für diesen Lebensernst zu erziehen, duldest Du es, daß sie den ganzen Tag lang Kindereien treibt. Du solltest sie lieber unter meine Obhut geben – das würde ihr heilsam sein.“

Das junge Mädchen schrak förmlich zusammen bei den letzten Worten und blickte mit einer solchen Todesangst zu der Schwester empor, daß diese wie schützend den Arm um sie legte, während sie erwiderte:

„Nein, Gregor, ich trenne mich nicht von meiner kleinen Lily, wie die Verhältnisse sich auch gestalten mögen.“

Gregor zuckte die Achseln.

„Das wirst Du früher oder später doch thun müssen, wenn Rosenberg nicht ganz besonders günstig verkauft wird. Doch ich muß jetzt fort. Leb’ wohl, Anna!“

Er reichte ihr die Hand und ging, ohne anders als mit einem flüchtigen Kopfnicken von Lily Notiz zu nehmen. Diese schien sehr froh darüber zu sein, daß sie der ferneren Beachtung entging; sie legte sehr langsam und verständig Hut und Mantel ab. Kaum aber hatte sich die Thür hinter dem Gefürchteten geschlossen, so flog der Hut auf das Sopha, und Fräulein Lily nahm eine äußerst trotzige Miene an.

„Wenn ich gewußt hätte, daß Gregor bei Dir ist, wäre ich sicher nicht herein gekommen,“ versicherte sie. „Wenn ich ihn im Anzuge gegen Rosenberg sehe, ist es mir immer, als müsse ich bis auf die Geisterspitze hinauflaufen, um ihm nur zu entgehen.“

„Lily !“ mahnte die ältere Schwester in vorwurfsvollem Tone, aber die jüngere ließ sich dadurch keineswegs in ihrem zornigen Ausbruche stören; sie fuhr mit der gleichen Heftigkeit fort:

„Hast Du ihn denn etwa lieb? Du fürchtest ihn, wie alle Welt es thut, und doch bist Du die Einzige, der er überhaupt einen Willen und eine Meinung zugesteht. Er hat ja ganz Werdenfels unter seiner eisernen Zuchtruthe! Keiner von den Bauern wagt irgend etwas zu thun ohne seinen Beirath, und wenn er etwas befiehlt, so gehorchen sie blindlings. Wenn Du mich wirklich wieder unter seine Obhut geben wolltest – hu, schon bei dem bloßen Gedanken daran überläuft es mich eiskalt,“ sagte Lily schaudernd.

„Du bist ein thörichtes, undankbares Kind!“ verwies die junge Frau. „Hast Du vergessen, was Gregor für uns that, als wir verwaist dastanden und Niemand auf der Welt hatten, als ihn allein? Er besaß damals nur ein geringes Einkommen und hatte noch für seine Mutter zu sorgen, aber er zögerte nicht einen Augenblick, sich unser anzunehmen und uns eine Zuflucht in seinem Hause zu bieten. Du kanntest freilich damals die Verhältnisse noch nicht; Du zähltest ja erst sechs Jahre.“

„Deshalb habe ich es auch allein bei ihm ausgehalten,“ erklärte Lily. „Ich war ihm noch zu klein und unbedeutend, als daß er sich hätte mit mir abgeben sollen; er überließ mich ganz der Tante, und später, als diese starb und ich ein Erziehungsobject für ihn wurde, da vermähltest Du Dich glücklicher Weise und brachtest mich in das Institut. Aber Dich hat er von jeher

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1883). Leipzig: Ernst Keil, 1883, Seite 75. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1883)_075.jpg&oldid=- (Version vom 23.11.2023)