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Verschiedene: Die Gartenlaube (1883)

einen Handwerkerbildungsverein; 1849 wurde er zum Abgeordneten der zweiten Kammer gewählt, und schon gleich hier, an der Schwelle seiner eigentlichen parlamentarischen Wirksamkeit, tritt Eines charakteristisch hervor: Der Gedanke, der ihn in seinem politischen Wirken leitete und begeisterte, war nach wie vor ein sittlicher, humaner: die Hebung des vierten Standes und dessen Befreiung vom materiellen und geistigen Drucke der Besitzenden.

Gottfried Kinkel.
Nach einer Photographie im Verlage von Louis Zipfel in Zürich auf Holz gezeichnet von Adolf Neumann.

„Um der Armuth willen führen wir den Kampf,“ sagte er in seiner Abschiedsrede in Bonn, bevor er sich nach Berlin in die Kammer begab. „Jedes bleiche Antlitz, jedes in Unglück und Schande verkommene Geschöpf, jedes Verbrechen, aus Noth begangen, wird einen Sporn in unsere Flanke drücken, wenn wir einmal ermatten oder rasten könnten im heiligen Kampfe für die Menschheit. Die Grundsätze der Demokratie sind einfach, wie alles Göttliche und weltgeschichtlich Große: das Kind begreift sie, und der Mann denkt sie nicht aus. Die Demokratie ruht auf dem tiefen Gefühle der Liebe, das den Menschen an den Menschen bindet, als an seinen gleichberechtigten Nächsten.“

Kinkels Bonner Abschiedsrede enthält gewissermaßen sein politisches Programm. Am 24. Februar 1849 begab er sich nach Berlin, und nun beginnt und entscheidet sich schnell seine Rolle als Volksvertreter und Revolutionär. In der preußischen Hauptstadt entwickelte er von Anfang an als Abgeordneter der Kammer eine energische Thätigkeit für seine Partei. In seiner berühmten, plastisch-schönen Rede vom 23. März, gelegentlich der Beantwortung der Thronrede durch die Nationalversammlung, war er schon der ausgesprochene Redner der Revolution, der unter Berufung auf den Schatten Robert Blum’s der erschrockenen Rechten des Hauses mit flammenden Worten das Mene Tekel an die Wand schrieb:

„Wir werden für die Entscheidungsschlacht, welche kommen muß, den Geist, den Hunger, die Noth, das Proletariat und den Zorn des Volkes in den Kampf führen.“

Und am 26. April – also einen Tag, bevor die zweite Kammer aufgelöst wurde – war es dann wieder Kinkel, welcher es wagte, die Parole der Zukunft: „sociale, demokratische Republik“, von der Tribüne herab der Regierung entgegen zu schleudern.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1883). Leipzig: Ernst Keil, 1883, Seite 81. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1883)_081.jpg&oldid=- (Version vom 2.2.2023)