Seite:Die Gartenlaube (1883) 108.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1883)


Der junge Mann verstand nur zu gut die Hindeutung und den Vorwurf, welcher darin lag, aber er antwortete mit voller Offenheit:

„Ich habe die Liebe damals noch nicht gekannt; sonst hätte sie mich sicher bewahrt vor jenem wilden Leben. Es war erst in den letzten Tagen meines Aufenthaltes in Venedig, wo ich sie erblickte.“

Er hielt inne; denn er sah zum ersten Male eine Regung von Interesse in dem Gesichte Raimund’s, dessen Augen sich groß und fragend auf ihn richteten. In diesen dunklen, sonst immer verschleierten Augen schien etwas aufzublitzen, wie ein helles flüchtiges Leuchten, während er wiederholte:

„In Venedig? – Dort also?“

„Du kennst vermuthlich die Stadt?“

„Ob ich Venedig kenne – o ja!“

Die Worte klangen träumerisch, wie in Erinnerung verloren, und das nahm auch dem jungen Manne die Scheu, mit der er sonst in Gegenwart des Freiherrn jedes wärmere Gefühl zurückdrängte; er brach in leidenschaftlicher Empfindung aus:

„Mir wird Venedig unvergeßlich bleiben; denn dort ist mir der Stern meines Lebens aufgegangen.“

„Sterne versinken!“ sagte Raimund plötzlich in eiskaltem Tone. „Trau’ ihnen nicht, Paul! Sie lügen Dir nur mit ihrem verheißenden Schimmer und lassen Dich alsdann in der Nacht allein.“

(Fortsetzung folgt.)




Christoph der Erste von Württemberg.

Von Arthur Kleinschmidt.

„In schönen Sommertagen, wann lau die Lüfte wehn,
Die Wälder lustig grünen, die Gärten blühend stehn,
Da ritt aus Stuttgarts Thoren ein Held von stolzer Art.“


Ja, es war wohl einer der glänzendsten Fürsten, welche die an kräftigen und kühnen Gestalten so reiche Geschichte des schönen Württemberger Landes aufzuweisen hat, ein Mann, berühmt und bewundert in ganz Europa, ein wahrer Friedensfürst, der weise Vater und Berather seines geliebten Volkes, der, wie sein Ahne, sein müdes Haupt sorglos jedem Unterthanen in den Schooß legen konnte. Christoph war zwar am kaiserlichen Hofe in Wien aufgewachsen, 1532 jedoch entflohen, hatte sich unter baierischen Schutz gestellt und nicht gerastet, bis der heiligste Wunsch seines Herzens erfüllt und sein von Oesterreich des Landes beraubter Vater, jener wilde Herzog Ulrich der Erste, den wir alle aus Hauff’s herrlicher Dichtung „Lichtenstein“ kennen, 1534 wieder in Besitz seines Erbes getreten war.

Durch das Unglück geläutert, hatte der restaurirte Herzog gut regiert, Land und Volk wehrhaft gemacht und ihm das köstlichste Geschenk gegeben, welches in seiner Macht lag: durch Schnepf und Blarer ward die Reformation in Württemberg eingeführt; ein Kirchenrath begann zu amten; nach und nach und mit viel Schonung wurden die geistlichen Güter eingezogen und ihre Einkünfte großentheils zur Verbesserung der Schulen und zur Besoldung der protestantischen Geistlichen verwendet; das evangelische Seminar in Tübingen, wo die Universität bereits den Kampf mit den Dunkelmännern muthvoll eröffnet hatte, trat in’s Leben; Licht strahlte auf allen Pfaden, die das beglückte Volk wandelte.

Da brach am Abende von Ulrich’s bewegtem Dasein nochmals schweres Unglück über ihn und sein Land herein; er mußte für seine Theilnahme am Schmalkaldischen Bunde büßen: der finstere Kaiser Karl der Fünfte ließ wiederum ganz Württemberg besetzen; sein Bruder, König Ferdinand, der nicht vergaß, daß er vor Kurzem Herzog in Stuttgart gewesen, leitete einen Proceß auf Felonie (Lehnsuntreue) ein, und Ulrich drohte die Entthronung seiner Dynastie. Ihm blieb nichts übrig, als demuthsvolle Unterwerfung; in Heilbronn bat er den spanischen Gewaltherrn kniefällig um Verzeihung, mußte die härtesten Bedingungen unterzeichnen, und die Spanier schalteten in seinen Festungen. Selbst sein Gewissen blieb nicht Ulrich’s Eigenthum; obwohl ein großer Theil des Clerus damit unzufrieden, war der alte Herr gezwungen, das verhaßte Interim[1] „mit dem Teufel hinter ihm“ anzunehmen, und unter dem Eindrucke, daß sein Volk unter ihm gar viele Trübsal erlitten, schloß er am 6. November 1550 die müden Augen, mit seinem Sohne, dem er einst gegrollt, längst ausgesöhnt.

Waren das nicht traurige Jugenderlebnisse für Christoph? Gewiß, aber im Feuer der Leiden härtete sich der Charakter des Prinzen, welcher jetzt mit fünfunddreißig Jahren den Thron seines Vaters bestieg. Durch den Schmalkaldischen Krieg belehrt, blieb Herzog Christoph 1552 im Fürstenkampfe gegen Karl den Fünften neutral und befreite dadurch sein Land von der österreichischen Afterlehnsherrschaft, seine Festungen von den spanischen Garnisonen, die Kirche und die Seelen seines Volkes wie das eigene Herz vom Drucke des Interim. Niemand hatte einen so hervorragenden Antheil wie er am Zustandekommen des Augsburger Religionsfriedens; er verkündete den Frankfurter Receß vom 18. März 1558, der seiner milden Gesinnung und echten Frömmigkeit entsprach, seinem Volke; er erließ 1559 die große Kirchenordnung; er ging zum Naumburger Fürstentage und vollendete das von seinem Vater ererbte Werk der Reformation, mit den unermüdlichen Johann Brenz und Jacob Andreae, den bestgehaßten Gegnern der süddeutschen Katholiken, unablässig thätig. Er verfaßte Landesordnung und Landrecht, erweiterte die Rechte der zu Landtagen zusammentretenden Prälaten und Abgeordneten der Städte und Aemter, richtete ständische Ausschüsse ein, hielt den Adel in Ohnmacht und erwarb sich um Verfassung, Verwaltung, Rechtspflege und Gesetzgebung die größten Verdienste. Auf dem Landtage von 1565 stellte er Kirchenlehre, Kirchengut und Kirchenordnung unter die Garantie der Stände, durch die er auf dem Landtage des folgenden Jahres sein Testament zum Gesetze erheben ließ.

Nicht nur in Deutschland, sondern in ganz Europa hatte Christoph’s Name Vollklang und große Autorität. Der Kaiser stand mit dem Herzoge in den nächsten Beziehungen; Königin Elisabeth von England trat mit ihm in Verkehr, und die Königin-Mutter, Katharina von Medicis, bot ihm im März 1563 die Stellung eines Oberstatthalters in Frankreich mit unbeschränkten Vollmachten an, damit er die Unruhen dämpfe, ein Anerbieten, welches der kluge Fürst ablehnte; er gierte nicht nach dem unsicheren Erfolge der Einmischung in fremde Staaten; ihn lockte nur der Lorbeer des treuen Landesvaters. Sein Volk liebte ihn aufrichtig und sah ihm freundlich manche Schwäche, wie seine große Baulust und die leidenschaftliche Pflege des Waidwerks, nach, und noch heute spricht der Unterthan seines Enkels ehrfürchtig und liebreich von dem Manne, bei dessen Tode Kaiser Maximilian der Zweite, der reformationsfreundliche Habsburger, klagend ausrief, das ganze Reich sei seiner im Interesse gemeiner Wohlfahrt noch lange im höchsten Grade bedürftig gewesen.

Der Herzog that außerordentlich viel für die Volksschule, in der er die beste Erzieherin zu guten und zuverlässigen Unterthanen erblickte; andererseits traf er wesentliche Verbesserungen an der Universität in Tübingen. Ganz allmählich und ohne jeden schroffen Eingriff verschwanden die katholischen Aebte und machten protestantischen Platz; denn Christoph zog die mit den Klöstern vielfach verbundenen Kirchenpatronate ein, entfernte die Meßpriester, ließ sich von den evangelischen Aebten huldigen und wurde so im Frieden der unumschränkte Herr der Klöster; nur sehr selten kam es zu Widersetzlichkeit gegen die neue Ordnung.

Nach dem Ableben der katholischen Pröbste wurden in Stuttgart und Tübingen protestantische Pröbste eingesetzt, eine Neuordnung, welcher besonders die Nonnen Hindernisse in den Weg zu legen suchten; während Christoph ihnen erlaubte, bis zum Tode im Kloster zu bleiben oder mit ihrem Eingebrachten dasselbe zu verlassen oder endlich eine Abfindungssumme zu beziehen, erklärten sich viele gegen die Confession des Landes und nahmen heimlich Novizen auf; so blieb dem Herzoge trotz seiner Friedensliebe nichts übrig als die unbotmäßigen Dominikanerinnen zu Steinheim an der


  1. Die einstweilige Ausgleichung in Religionssachen zwischen Katholiken und Protestanten.
Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1883). Leipzig: Ernst Keil, 1883, Seite 108. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1883)_108.jpg&oldid=- (Version vom 10.12.2023)