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Verschiedene: Die Gartenlaube (1883)


feindlicher Uebermuth den kunstgeschmückten Fürstensitz frevelhaft zerstören durfte.

Die fünfte Generalversammlung des Verbandes deutscher Architekten- und Ingenieur-Vereine glaubt zunächst ihre Aufgabe erfüllt zu haben, wenn sie auf’s eindringlichste an diese Ehrenpflicht erinnerte. In welcher Weise eine solche Wiederherstellung des Heidelberger Schlosses einzuleiten und wie die werkthätige Teilnahme des deutschen Volkes für dieselbe zu gewinnen sei, überläßt sie mit vollstem Vertrauen der Initiative der Großherzoglich badischen Regierung, deren treuer Fürsorge es allein zu danken ist, daß dem gänzlichen Verfall des Bauwerks bisher nach Möglichkeit gesteuert wurde.

Sie hat mit Freude von den Schritten Kenntniß genommen, welche bereits von anderer Seite in gleichem Sinne – vorläufig zur Herbeiführung einer gründlichen fachmännischen Untersuchung des Bauwerks und zur Aufstellung eines Restaurations-Entwurfs – geschehen sind, und sie ersucht den Vorstand des Verbandes, so weit es in seiner Macht steht, diese Schritte aus’s wärmste unterstützen zu wollen.“

Dieser von allen Seiten auf’s günstigste aufgenommene Aufruf, dem auch der Vorstand der „Deutschen Kunstgenossenschaft“ und die Generalversammlung des „Verbandes deutscher Geschichtsvereine“ zugestimmt haben, enthält in gedrängter Form alles, was sich zur Sache sagen läßt, und es scheint kaum notwendig, für ihn an dieser Stelle mit weiteren Gründen zu plaidiren.

Nur eines seltsamen Einwandes gegen die Wiederherstellung des Baues mag hier noch gedacht werden: man hat sich Skrupel darüber gemacht, was in Zukunft mit dem wieder hergestellten Schlosse angestellt werden solle. Darauf ist einfach zu entgegnen, daß man derartige Restaurationen in erster Linie als Selbstzweck ausführt. An einer würdigen Bestimmung des Schlosses wird es trotzdem nicht fehlen, ohne daß man es zu Fremdenzimmern für Touristen einzurichten braucht – sei es, daß man es nach dem Vorschlage, den Levin Schücking bereits beiläufig in der „Gartenlaube“ geäußert hat (vergl. die Erzählung „Recht und Liebe“, Jahrgang 1882, S. 252), dem deutschen Kaiser als Sommerresidenz anweist, sei es, daß es dem großherzoglich badischen Herrscherhause zu seiner Verfügung bleibt, sei es, daß man es zu einem Museum weiht.

Ich schließe mit dem lebhaften Wunsche, daß man vor allen Dingen eine Entscheidung über das Schicksal dieses Denkmals deutscher Baukunst recht bald herbeiführen möge. In drei Jahren wird man zu Heidelberg das 500-jährige Jubiläum der Universität feiern – in sechs Jahren kehrt der 200-jährige Jahrestag der Zerstörung des Baues durch die Franzosen wieder. Um wie viel glänzender würde jenes ausfallen, wenn die Festgenossen schon auf einen Anfang der Herstellungsarbeiten am Schlosse blicken könnten; um wie viel stolzer könnten wir an dem Tage der Schmach die Vergangenheit gegen die Gegenwart Deutschlands abwägen, wenn bereits einer der vor 200 Jahren verwüsteten Theile des Schlosses wieder in alter Herrlichkeit prangte! Mittel und Wege, um zu diesem Ziele zu gelangen, werden sich von selbst finden, wenn nur der Wunsch, es zu erreichen, allgemein lebendig geworden ist.

Mögen die Leser der „Gartenlaube“ dazu beitragen, daß es also geschehe! An sie Alle, Alle richte ich meine innige Fürbitte für das Kleinod deutscher Renaissance!

K. E. O. Fritsch.




Deutschlands erster Kriegshafen.

Angesichts der hohen Bedeutung, welche unserer Seemacht für den Schutz der heimischen Küsten in Kriegsgefahr und das Ansehen der deutschen Handelsflagge in Friedenszeiten unstreitbar zugeschrieben werden muß, dürfte es nicht ohne Interesse sein, den Blick auf die Pflanzstätte und den Schutz- und Trutzort unserer jungen Seestreitmacht, auf einen unserer Kriegshäfen, zu werfen. Wenn wir zu solchem maritimen Ausflug nun unser nordisches Wilhelmshaven auswählen, so geschieht dies einerseits, weil seine Anlagen und Etablissements die großartigsten und merkwürdigsten sind, die wir zur Zeit besitzen, und ferner, weil seine abgeschiedene Lage gerade diesen Ort dem großen Publicum wenig hat bekannt werden lassen.

Von der freundlichen Residenz Oldenburg führt uns ein directer Bahnzug unserem Bestimmungsort entgegen. Und je näher wir ihm kommen inmitten der flachen Landschaft, die sich in ziemlich ermüdender Eintönigkeit zu beiden Seiten des Schienenweges hinzieht, desto verstärkter dringt ein seltsames, dem Binnenohr zuerst kaum verständliches Geräusch zu uns herüber. Geheimnißvoll tönt’s durch die reine, klare Luft, vibrirt es die Telegraphendrähte entlang und pfeift es in die offenen Fenster hinein. Das ist der ewige Wind von Wilhelmshaven, der uns sein „Willkommen!“ entgegensaust. Jetzt mischt sich noch ein greller Pfiff in sein stets wilder werdendes Lied; ein Ruck, und der Zug hält. Wir sind am Ziel. Schnell ausgestiegen und brav festgestanden! Der Jahde-Zephyr weht uns sonst noch um. – So! Und nun ohne weiteren Zeitverlust durchs Bahnhofsgebäude hindurch, dann links gewendet, an der stattlichen Kirche und dem großartigen Lazareth vorbei und hinauf auf den Deich, den ersten Wallfahrsort aller Neuankommenden.

Dieser grünbewachsene hohe Deich zieht sich in unabsehbarer Länge hin. Fest und mächtig ist er zusammengefügt, Gewaltiges aber hat er auch einzudämmen. Blickt man von seiner Höhe herab auf die anscheinend so harmlos seinen Saum umspielenden Meereswogen, dann kann man sich nur schwer vergegenwärtigen, welche Riesenmacht und arge Tücke sie zu entfesseln vermögen, und welch namenloses Elend sie in ihrem Schooße bergen.

Da, wo jetzt die Bucht der Jahde ihre gelben Wellen hinwälzt, war früher festes, reich gesegnetes Land. Große Dörfer und ansehnliche Bauernsitze lagen über der fruchtbaren Marsch zerstreut; glatte Rinder, schöne Pferde und zahllose Schafe tummelten sich auf den smaragdgrünen Weiden; Tausende von sorglosen Menschen freuten sich ihres Daseins im Sonnenschein und Licht. In einer einzigen, aber entsetzlichen Nacht im Jahre 1511 durchbrach eine Sturmfluth, mit schwerem Eisgang verbunden, den damals zu schwachen Deich und stürzte sich verheerend in die preisgegebene Ebene. Viele blühende Ortschaften mit allem Lebenden darin verschwanden von der Erdoberfläche. Nur ein uralter Kirchhof, dicht bei Wilhelmshaven, für dortige Bodenverhältnisse ungewöhnlich hochgelegen, hat die allgemeine Vernichtung überdauert und ragt, doppelt eindringlich vom Untergang alles Fleisches predigend, aus dem ungeheuren Massengrabe. Archäologische Forschungen haben aus seiner dunken Tiefe manch interessantes Stück zu Tage gefördert, und das Oldenburger Museum bewahrt mehrere dort aufgefundene sehr alte, steinerne Särge auf; ja, noch jetzt waschen die unermüdlich wühlenden Wogen ab und zu solch steinernes Ruhekämmerlein bloß. Daß man dort in stillen Nächten das Läuten der versunkenen Kirchenglocken hört, ist selbstverständlich. Dieses Stückchen naheliegender Romantik läßt sich selbst der sonst ziemlich realistisch veranlagte Eingeborene hier nicht nehmen.

Senken wir unseren Blick aber nicht zu tief in das trügerische Element! Heften wir ihn nicht zu lange auf jenes melancholische Friedhofsrestchen dort! Vorbei! Vorbei! Mögen die Todten ihre Todten begraben – wir wenden uns freundlicheren Bildern zu.

Da liegt zuvörderst zu unserer Linken das offene Land, das die neue Hafenstadt im Halbkreise umgiebt. Echt holländisch in seinem Charakter, mit den flachen Ebenen, den endlosen Wiesen, dem frei weidenden Vieh, vor Allem mit seinen allerorts sich hinschlängelnden Wasserarmen, breitet es sich vor uns aus. Eine gewisse anheimelnde Ruhe, ein behäbiger Reichthum liegt über der Landschaft ausgegossen, und kommt zu diesen ihren Vorzügen noch eine wirkungsvolle Beleuchtung und die an Seeküsten nicht seltene schöne Formation der tiefgehenden Wolken, dann kann man dem vor uns aufgerollten Bilde das anerkennende Kunstepitheton „stimmungsvoll“ nicht vorenthalten.

Ruhe und Wohlhabenheit ist der Grundzug der freundlichen Scenerie, Ruhe, die bis zur Indolenz geht, auch der Grundtypus des hiesigen Volkscharakters. Man täusche sich indessen nicht in dem scheinbar unerschütterlichen Phlegma und wähne nicht, daß unter der kalten Lavadecke kein heißer Funke zu glühen vermöge!

Der Friese hat nur zu oft gezeigt, daß er „eruptionsfähig“, und schon die unzähligen Einzelgehöfte, die wie ebenso viel befestigte Sitze im Lande sich erheben, deuten an, daß der Volkssinn

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1883). Leipzig: Ernst Keil, 1883, Seite 132. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1883)_132.jpg&oldid=- (Version vom 16.12.2023)