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Verschiedene: Die Gartenlaube (1883)

Ein Trinkspruch des Marschall Vorwärts.

Von Dr. Karl Braun-Wiesbaden.

Friedrich Gentz, ein Schriftsteller und Politiker von großer Kenntniß und noch größerer Begabung, hat bis zum Jahre 1815 in den Kriegen wider die französische Fremdherrschaft Großes und Verdienstliches geleistet, dann aber, der Genußsucht, Geldgier und politischen Gleichgültigkeit verfallen, seinen Geist und seine Feder dem österreichischen Reichskanzler Fürsten Metternich zur Verfügung gestellt, der Beides verwandte, um Europa zum Stillstand zu zwingen und in Deutschland den Culturfortschritt und den von diesem getragenen nationalen Gedanken zu bekämpfen. So wenig uns die Person des Gentz während der letzten Periode seines Lebens und Wirkens sympathisch sein kann, so lehrreich sind uns auch heute noch seine Schriften – nicht nur seine eigentlichen Bücher und Denkschriften, sondern auch seine übrige literarische Hinterlassenschaft, welche erst nach seinem Tode publicirt ward.

Ich will heute nur von seinen Tagebüchern reden, welche zum Theil von Varnhagen selbst, zum Theil von dessen nunmehr auch verstorbener Nichte Ludmilla Assing aus Varnhagen’s Nachlaß herausgegeben worden sind (siehe „Tagebücher von Friedrich von Gentz. Aus dem Nachlasse Varnhagen’s von Ense“. Vier starke Bände. Leipzig, 1872 bis 1874).

Dieses Tagebuch hat Gentz nur für sich selber geschrieben. Es ist daher frei von allen jenen Fehlern, woran die meisten Selbstbiographien leiden, die oft nur Denkmale der Eitelkeit ihrer Verfasser sind.· Als Beispiel einer solchen, ich möchte fast sagen: „als abschreckendes Exempel“ nenne ich die Erinnerungen des Berliner Komikers und Geheimen Hofrathes Louis Schneider.

Friedrich Gentz hat keine Ursache, sich selbst Etwas vorzumachen. Er schreibt mit der rücksichtslosesten cynischen Offenherzigkeit, auch z. B. über Geld- und Liebesaffairen. Was die ersteren anlangt, so figuriren auch darunter jene großen Summen, welche er von auswärtigen Potentaten bezog. Er nennt sie „Geschenke“. Wir würden sie, da er Staatsbeamter war, „Bestechungen“ nennen. Aber alle jene Summen vermochten die Finanzen des Herrn Gentz nicht aufzubessern. Er war wie ein Sieb mit tausend Löchern, das Alles wieder gleich durchließ, wie er selber sich denn auch in seinen Tagebüchern, die zum Theil in französischer Sprache abgefaßt sind – nicht ganz mit Unrecht; denn gewisse Dinge lassen sich auf Deutsch nicht so gut sagen – „un panier percé“ nennt, das ist ein durchlöcherter Korb, in welchem kein Geld hält.

Ich will jedoch dieses Thema nicht weiter ausspinnen, sondern von Gentz’ Aufenthalt in Karlsbad im Jahre 1818 berichten und daran eine Anekdote vom alten Marschall Vorwärts knüpfen, welche nur Wenigen bekannt ist.

Im Juli und August 1818 war dieses böhmische Bad wieder der Sammelplatz ausgezeichneter oder vornehmer Personen aus den verschiedensten Ländern Europas. Da waren Deutsche, Oesterreicher, Ungarn, Franzosen, Engländer, Italiener etc. Da waren Dichter, Schriftsteller, Magnaten, Grandseigneurs, Lordschaften, Feldherren, Staatsmänner, Diplomaten, Publicisten etc. Goethe, Fürst Lobkowitz, Graf Kolowrat, Fürst Blücher, Fürst Schwarzenberg, Fouché, die Herzogin von Sagan, Louis Rohan, Fürst Metternich, Adam Müller, Frau Catalani mögen beispielsweise genannt sein. Gentz, der auch da war, kennt sie Alle, „dejeunirt“, „dinirt“ und „soupirt“ bei Allen und berichtet über Alle. Von Fouché z. B. sagt er in seiner frivolen Weise:

„Bei Fouché, dem ‚Duc d’Otranto‘, mache ich um ein Uhr unter dem Namen eines Dejeuner à la fourchette ein köstliches Diner und sehe die sehr liebenswürdige Duchesse und schöne Tochter aus erster Ehe. Gefiel mir ‚bei den Königsmördern‘ sehr wohl.“

Lord Stewart führt den Gentz bei dem Fürsten Blücher ein, und als der Letztere dem Fürsten Schwarzenberg zu Ehren ein Diner giebt, befindet sich auch Gentz unter den Geladenen, die im Uebrigen dem Stande der Militärs und der Diplomaten angehören. Bei diesem Diner wurde „nichts als Deutsch“ gesprochen. Gentz hält es für nöthig, dies als etwas sehr Seltenes, oder, wie er sagt, als etwas „Merkwürdiges“ hervorzuheben und zu bezeichnen.

„Merkwürdiges Diner!“ schreibt er wörtlich, „es wird nichts als Deutsch gesprochen!“

Wenn bei einem Diner, welches der (damals ebenfalls in Karlsbad anwesende) Lord Stewart giebt, „nichts als Englisch“ gesprochen wird, so findet Ehren-Gentz das ganz natürlich. Wenn aber bei einem Diner, das der größte deutsche Feldherr an einem Orte, wo die deutsche Sprache herrscht, einer Anzahl von Gästen giebt, deren Muttersprache deutsch ist, nur deutsch gesprochen wird, so findet das Gentz „merkwürdig“, um nicht zu sagen „bedenklich“.

Jetzt stehen wir Deutschen auf einem anderen Standpunkte. Im Auslande sprechen wir die Sprache des Auslandes. In unserem eigenen Hause sprechen wir unsere eigene Sprache. Wir sind nicht mehr genöthigt, und noch viel weniger stolz darauf, die Kleider anderer Leute zu tragen.

Der Fürst Bismarck, der sich hierdurch und noch durch manche andere Dinge von dem Fürsten Metternich zu seinem Vortheil unterscheidet, hat die deutsche Sprache auch in dem diplomatischen schriftlichen Verkehr eingebürgert, und wenn er mit einem Ausländer dessen Sprache spricht,[1] so versteht er in den Fällen, wo es noth thut, dem Ausländer auch bemerklich zu machen, dies geschehe nur aus besonderer Gnade. Dafür ein Beispiel:

Als Fürst Bismarck 1871 in Versailles mit dem klugen alten französischen Diplomaten Adolphe Thiers unterhandelte, bedienten sie sich Beide der französischen Sprache; denn Thiers verstand kein Deutsch, wie die Mehrzahl der französischen Diplomaten. Eines Tages fiel es Thiers ein, den Reichskanzler mit einer wahren Sündfluth französischer Phrasen zu überschütten. Darauf antwortet Bismarck wiederholt deutsch. Thiers stutzt und versteht nicht. Er fragt ganz bestürzt (natürlich französisch):

„Aber was ist Das? Jch verstehe Das nicht – diese Sprache! Warum sprechen Sie denn nicht Französisch?“

„Weil ich dazu nicht verpflichtet bin. Ich habe es bisher nur aus Gefälligkeit gesprochen.“

„Aber warum fahren Sie nicht fort Französisch zu sprechen?“

„Weil Sie die Verhandlung von dem Gebiete der Thatsachen auf das Gebiet der Phrase hinüber gespielt haben. Auf diesem Gebiete bin ich Ihnen nicht gewachsen, wenn wir Französisch sprechen. Deshalb spreche ich von nun an Deutsch.“

Thiers sah sein Unrecht ein. Er enthielt sich von nun an aller Phrasen. Bismarck sprach wieder Französisch, und die Verhandlungen nahmen einen gedeihlichen Fortgang.

Das nur im Vorbeigehen.

Kehren wir zurück zu dem Festmahl, das Fürst Blücher im Sommer 1818 in Karlsbad gab! Der unzweifelhaft vornehmste seiner Gäste war also der österreichische Fürst Schwarzenberg. Er hatte bekanntlich während der Schlacht bei Leipzig, welche Blücher durch sein energisches Vorgehen zu Gunsten der Verbündeten entschied, das formelle Obercommando. Schwarzenberg hatte sich aller höchsten Titel, Orden, Ehren und Würden zu erfreuen, mit alleiniger Ausnahme des Titels „Marschall Vorwärts“. Diesen Titel hatte das „Volk in Waffen“ nur dem alten Blücher verliehen, aber nicht dem Fürsten Schwarzenberg. Vielleicht hatte es sowohl zur Verleihung, wie auch zur Versagung seine besonderen Gründe. Aber wir müssen uns bescheiden, dieselben nicht zu kennen; denn das Volk unterscheidet sich dadurch von den Gerichten, daß es seinen Urtheilen keine Entscheidungsgründe beigiebt. Damit soll aber durchaus nicht gesagt sein, daß deshalb seine Urtheile schlechter wären, als die der Gerichte.

Genug, bei diesem Festmahl, welches Fürst Blücher dem Fürsten Schwarzenberg und anderen mehr oder weniger ausgezeichneten Männern gab, ereignete sich Etwas, worüber Gentz schweigt, das uns aber von anderer Seite verbürgt ist, namentlich von dem preußischen General Ludwig Freiherrn von Wolzogen.

Bei Tafel herrschte von Anfang an eine gewisse Spannung. Man schien Etwas zu erwarten. Namentlich steckten die Diplomaten die Köpfe zusammen. Sie flüsterten unter einander. Das schickte sich eigentlich nicht an der Tafel eines Mannes, wie des Marschall Vorwärts. Aber dennoch, wenn man die Nachricht,


  1. Bekanntlich ist der Fürst Bismarck unter Anderem auch ein Sprachgenie. Ebenso der Dr. Stephan, der Staatssecretär der Reichstelegraphen und Posten.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1883). Leipzig: Ernst Keil, 1883, Seite 158. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1883)_158.jpg&oldid=- (Version vom 24.12.2023)