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Verschiedene: Die Gartenlaube (1883)


Verehrung und Geringschätzung herauslesen aus der Art des Grüßens und kann ziemlich sichere Schlüsse ziehen über das Verhältniß, welches zwischen den einzelnen Menschen besteht, die sich da – anscheinend so harmlos! – gegen einander neigen und beugen. In nichts zeigt sich ja unser Charakter so deutlich, als im Lachen oder im Grüßen.

In vielen Gegenden Deutschlands herrscht noch der Brauch, sich vor und nach dem Essen zu begrüßen. Bürger und Bauer würden dort meinen, es sei Gift in der Schüssel, wenn nicht jeder Tischgast sein: „Gesegnete Mahlzeit!“ darüber gesprochen hätte. In höheren Kreisen läßt man wohl auch das erste, gerade das bedeutsamste, Wort hinweg und sagt nur: „Mahlzeit!“

„Wünsche wohl zu speisen!“ oder: „Wohl bekomm’s!“ hört man nur noch selten und dann blos scherzweise sagen.

„Prosit!“ sagt man sich jetzt fast nur noch beim Jahreswechsel und beim Trinken, seltener, wenn Jemand geniest hat.

Sehr floriren jetzt die Toaste oder Begrüßungsreden bei Festschmäusen. Sie haben etwas Ansteckendes, Berauschendes, wie jede gemeinsame Kundgebung einer größeren Menschenzahl. In noch erhöhterem Maße wirkt es begeisternd, wenn das Volk einem beliebten Redner Beifall jauchzt oder sein gekröntes Oberhaupt jubelnd begrüßt. Solch ein vieltausendstimmiges „Lebehoch!“, der Gruß eines ganzen Volkes, hat etwas unendlich Großartiges.

In Deutschland begrüßt man sich am häufigsten durch das Nennen der Tageszeit: „Guten Morgen!“, „Guten Tag!“ oder „Guten Abend!“. Als letzten dieser Grüße wünschen wir uns gegenseitig eine „Gute Nacht!“.

Von hübschen Grußworten fremder Völker sind die bekanntesten, das „Chaire!“ („Freue dich!“) der alten Griechen, das „Ave!“ und „Vale!“ der Römer, durch unsere studirende Jugend noch fleißig im Brauch erhalten; dann der türkische Gruß: „Selâm aleikum!“ („Friede sei mit euch!“), der mit über der Brust gekreuzten Händen gesprochen wird. Vornehme Araber umarmen sich bei der Begrüßung und küssen dann die eigene Hand. Geringere werfen sich vor höherstehenden Personen auf die Erde und küssen deren Kleider. „Até logo!“ („Bis nachher!“) heißt der brasilianische Abschiedsgruß, und „Aloha oë!“ („Ich liebe dich!“) grüßt man auf den Sandwichsinseln. „Tenakoe!“ („Da bist du!“) sagt der Maori auf Neuseeland, während er seine Nase an der des Freundes reibt, und „Baid el bela alik!“ („Jedes Uebel sei dir ferne!“) der Araber, der dir zum Abschied wünscht: „Möge dein Schatten nie kürzer werden!“ Sehr charakteristisch sind einige Grußformen der Afrikaner: „Saku bona!“ („Wir sahen dich!“) spricht der stolze kriegerische Zuluneger, und „Tumella!“ („Sei mein Freund!“) der weiche gutmüthige Betschuane; „Sa yandre!“ („Du wachst!“) lautet der Morgengruß der Fidschi-Insulaner.

Um aber nun wieder in unser liebes Vaterland heimzukehren, erwähnen wir noch, daß es auch besondere Grüße für einzelne Körperschaften oder Gewerke hat.

„Glück auf!“ grüßt der Bergmann, „Gut Heil!“ der Turner etc. Dem Jäger, dessen Gruß „Waidmannsheil!“ ist, giebt man, da man ihm, einem alten Aberglauben zufolge, bei seinem Aufbruche zur Jagd kein Heil wünschen soll, scherzweise auch den Gruß, „er möge Arme und Beine brechen“, mit auf den Weg.

Und zum Schluß – noch ein Gruß – ein launiger für den bevorstehenden Wohnungswechsel! Der Autor des Liedchens ist mir leider unbekannt; er mag also verzeihen, daß ich ihn nicht nenne!


Sei mir gegrüßt!

So viel Noth erlebt und Plage
Heut’ der Mensch am Umzugstage,
So viel Spiegel geh’n in Stücken,
So viel Spindenfüße knicken,

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So viel Bilder, wie an allen

Wänden von den Nägeln fallen,
So viel Porcellan in Scherben,
So viel Sammtfauteuils verderben,
So viel „kürzere“ Gardinen,

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Die noch gestern „passend“ schienen,

So viel Uhren, die nicht geh’n,
So viel Schränke, die nicht steh’n,
So viel Tücher, wie da wischen
An bestaubten Speisetischen,

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So viel Säcke, die zerplatzt,

So viel Politur zerkratzt,
So viel Schnüre abgerissen
Von gestickten Sophakissen,
So viel feine Marmorplatten

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Einen Sprung „schon vorher“ hatten,

So viel Körbe, wie „nicht reichen“,
So viel Kisten ganz desgleichen,
So viel Fenster nicht geputzt,
So viel Dielen eingeschmutzt,

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So viel Menschen seufzend harren

Auf den ersten Möbelkarren,
So viel Zimmer nicht gemalt,
So viel Miethe nicht bezahlt,
So viel Schrauben eingerostet,

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So viel Geld dies Alles kostet,

So viel Krimskram eingebüßt – –
So viel Mal sei mir gegrüßt!




Das Rechtsbewußtsein des Volkes und die Reichsjustiz.

Groß war die Freude und Genugthuung über die Durchführung der Reichsjustizgesetzgebung, welche mit der Abstimmung des Reichstages vom 21. December 1876 ihren vorläufigen Abschluß fand, bei allen Parteien, die es mit der inneren Festigung des deutschen Reiches ehrlich meinten; nichts konnte in dem von Alters her auch auf rechtlichem Gebiete auf’s Aergste zerstückelten Deutschland das Gefühl der inneren Zusammengehörigkeit energischer fördern und stärken, als das Bewußtsein und die Thatsache einer einheitlichen Gesetzgebung und Rechtspflege. Aber dennoch fanden namentlich die entschiedeneren Anhänger liberaler Grundsätze mehr als einen Tropfen Wermuth in dem Becher der Freude, und das Ganze erhielt schließlich einen so bitteren Beigeschmack, daß man sich entschloß, lieber den Trank völlig zu verschütten, als ihn mit Zusätzen entgegenzunehmen, denen man principiell widersprechen zu müssen glaubte.

Die Justizgesetze, wie man sie schlankweg bezeichnet, traten am 1. October 1879 in Kraft und die ehrliche Probe darauf konnte beginnen. Daß im Ganzen damit ein ungeheurer Fortschritt gegeben war, wurde von keiner Seite geleugnet; die Hoffnung auf einen Ausbau im liberalen Sinne, im Sinne des wahren Rechtsstaates, mußte auf bessere Zeit vertagt und nunmehr die Wirksamkeit und Arbeitsfähigkeit des neuen Apparates geprüft werden. Daß neue Gesetze wie überhaupt neue Einrichtungen im Allgemeinen von breiten Schichten des Volkes nicht günstig angesehen zu werden pflegen, ist bekannt; es geht dabei, wie bei einem Umzuge, wo unter schmerzlichen Gefühlen eine Menge alter Hausrath über Bord geworfen wird, der zwar längst in die Rumpelkammer gewandert war, von dem man sich aber doch nicht endgültig trennen mochte, und speciell Gesetz und Recht werden, wenn sie sich noch so sehr als fortgeerbte Krankheit erwiesen haben, doch immer in den Lobrednern der guten alten Zeit ihre Vertheidiger finden. Doch abgesehen von dieser in der Natur der Dinge begründeten Unzufriedenheit, ertönten bald nach Einführung der neuen Gesetze von allen Seiten her immer lautere und lautere Klagen, und es war gar nicht zu verkennen, daß diese auf wesentliche Mängel der neuen Gesetzgebung zurückzuführen seien. Wie immer in solchen Fällen, richteten sich diese Klagen natürlich zunächst gegen eine Schädigung materieller Interessen, wie man sie namentlich in der Handhabung der Zwangsvollstreckung seitens der Gerichtsvollzieher und in den übermäßig hohen Gerichtskosten erblicken zu müssen glaubte, deren Unerschwinglichkeit für den Aermeren als eine Art Rechtsverweigerung aufgefaßt zu werden drohte, und auf dem Gebiete der Strafproceßordnung namentlich gegen die Aufhebung der Appellinstanz gegen die Urtheile der Strafkammern. Dazu kamen neuerdings allgemein befremdliche Entscheidungen einzelner Gerichtshöfe, welche unter anscheinender Verleugnung bisher für unantastbar gehaltener Rechtsgrundsätze einem besonderen „Bürger“rechte ein besonderes „Beamten“recht gegenüber zu stellen schienen. Wenn es bisher als unbestritten angesehen worden, daß Unkenntniß der Gesetze nicht

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1883). Leipzig: Ernst Keil, 1883, Seite 163. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1883)_163.jpg&oldid=- (Version vom 24.12.2023)