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Verschiedene: Die Gartenlaube (1883)

indischen Städte besteht auch Colombo aus der „weißen“ und der „schwarzen“ Stadt. Die letztere wird gewöhnlich „Pettah“ genannt und ist von den Eingeborenen dicht bevölkert.

Ein hallenreiches Zollhaus, ein paar Standbilder einstiger Gouverneure, weite Waarenlager, ein massiver Glockenthurm, schattige geräumige Geschäftscontore aus der Niederländerzeit, eine Anzahl riesiger, beinahe nur aus Fenstern und Dach bestehender Casernements für die englischen „Rifles“ und Artilleristen, ein am Wasser stehendes uraltes Kirchlein, dichtbelaubte Bäume allerwärts in den Straßen, dahinter auf der einen Seite die weiß brandende See, auf der anderen der dunkle Cocoswald, darüber die blitzenden Reflexe der senkrecht herabfallenden Sonnenstrahlen, vor deren verderblicher Wirkung der Europäer ungemein auf der Hut ist, auch der Singhalese sein langhaariges, schildpattkammgeschmücktes Haupt unter große grüne chinesische Parasols verbirgt, gestalten zusammen das Bild der „weißen“ Stadt.

Aber die Welttouristen halten nicht lange in Colombo Rast. Schon nach wenigen Tagen brechen sie auf, um in das Innere der Insel vorwärts zu dringen. Da sie in die Welt hinausgefahren sind, um Neues zu schauen, so bereuen sie sehr selten diese Ausflüge – denn das Reisen auf Ceylon ist mindestens originell.

Der „Garten Indiens“ hat auch eine Fahrpost, deren Omnibus, wie Ernst Häckel erzählt, auf seiner Thür das englische Wappen mit der stolzen Inschrift des Hosenbandordens: „Honny soit qui mal y pense!“ („Hohn dem, der Arges dabei denkt!“) zu führen pflegt. Aber diese Warnung klingt wie die reine Ironie angesichts dieser „königlichen Postkutsche“, die kaum für sechs Personen genügenden Raum bietet und oft mit einem Dutzend Passagieren vollgepfropft wird. Dabei kostet eine fünfstündige Fahrt in diesem Wagen 30 Mark für jeden weißen Europäer, während der farbige Eingeborene nur die Hälfte dieses Preises zu zahlen hat. Aber der schrecklichste der Schrecken bei jeder ceylonischen Postkutschenfahrt ist die grausame Thierquälerei, mit welcher sie stets verbunden ist. Die singhalesischen Postillone verachten die Kunst des Rosselenkens, und es fällt ihnen niemals ein, die Postpferde einzufahren. Die halbwilden Thiere werden vor den Wagen gespannt, und nun sammelt sich eine Rotte kreischender Jungen, welche mit Stangen, ja mit brennenden Fackeln gegen die armen Geschöpfe loswüthen, dieselben von vorne an den Zügeln, von hinten an dem Schwanze aus Leibeskräften zerren, bis die Pferde im rasenden Galopp fortstürmen, um halbtodt an der nächsten Station Halt zu machen.

Wer keine Lust hat, mit dieser sonderbaren Post zu fahren, und sich auch der langsameren, aber sicheren „Ochsendroschke“, die von den kleinen, aber sehr flinken Ceylonochsen gezogen wird, nicht anvertrauen will, der benutzt das modernste Verkehrsmittel, die Eisenbahn.

Ceylon hat gegenwärtig vier Eisenbahnlinien. Die bedeutendste von ihnen ist die nach Kandy, der ehemaligen Hauptstadt des Landes, hinauf. Die weißen Passagiere fahren durchweg erster Classe; die zweite Classe ist für die gelben und gelbbraunen Nachkommen der Portugiesen und ihrer singhalesischen Frauen reservirt, und in der dritten Classe überwiegt die dunkelbraune Farbe der echten Singhalesen, sowie die schwärzliche der Tamils. Die Coupés der ceylonischen Eisenhahn sind groß und luftig, mit doppeltem Dach und doppelten Vorhängen versehen, und während der Fahrt kann der Reisende selbst ein kühlendes und erfrischendes Bad nehmen.

Für die Welttouristen ist die Route Colombo-Kandy zu der unerläßlichsten Heerstraße geworden, und mit Recht; denn auf dieser Strecke lernt man am besten die Natur der ceylonischen Landschaft kennen. Unseren europäischen Lesern, die nie die Tropenwelt geschaut und ihre Touristenfahrten nie über die heimischen Berge und Thäler ausgedehnt haben, dürfte die folgende Schilderung einer tropischen Eisenbahnfahrt nicht unwillkommen sein.

„Ich hatte,“ erzählt Hans Meyer in seinem Tagebuche, „mit dem Mittagszuge Colombo verlassen und fuhr nun bereits anderthalb Stunde über das ebene Unterland durch das Dickicht der Palmen, Bananen, Mangos, Banyans, der Zimmetbüsche, Gewürznelkensträucher, Muscatbäume, der Citronen, Orangen und Ananas, das nur vereinzelt unterbrochen ist von einem abgestuften hellgrünen Reisfeld oder einem glitzernden Flußbett, über dessen Eisenbrücke der Zug poltert. Die Stationen sind nett wie die südindischen, von den zugehörigen Ortschaften ist aber nirgends etwas zu erblicken. Unmerklich steigt die Bahn zu den Bergen an, die man selbst nicht eher zu Gesicht bekommt, als bis man mitten darin ist. Die Steigung wird nun erheblich. Eine Maschine zieht, eine andere schiebt. Der Wald geht allmählich in undurchdringliche Dschungeln über, welche die Hügel und Berge überziehen, weiterhin aber stark gelichtet sind und sorgfältig in Reihen gepflanzten Kaffeestauden Raum geben. Riesige Termitenhügel schauen über das Dickicht hervor, und fußlange Eidechsen huschen, vor der Maschine fliehend, in das sichere Versteck. Die Aussicht auf die Thäler unter uns wurde mit zunehmender Steigung seltsamer; es war die Verwirklichung dessen, was die üppigste Phantasie von Malern und Zeichnern uns Nordländern in Tropenbildern vor Augen zu führen pflegt, nur größer und ruhiger. Grün und immer wieder grün ist die Erscheinung einer ceylonischen Landschaft. Jede grelle Farbe fehlt, weder Fauna noch Flora ist farbenprächtig, und nur die Menschen machen in Kleidung und Schmuck eine Ausnahme, aber welcher Reichthum der Formen, welches Uebermaß des Wachsthums und des Schwellens in dieser Natur!“

Der Eindruck, den auf uns die Natur ausübt, hängt jedoch gewiß von der Stimmung unseres Gemüthes ab; denn gelegentlich einer anderen ceylonischen Eisenbahnfahrt gelangt unser Reisender zu folgenden Betrachtungen:

„Der Pflanzenreichthum ist erdrückend; die Fülle der Formen schwillt beinahe in’s Unschöne. Nur wo die Bahn ihre Spur zieht, tritt die Erde an’s Tageslicht. Das helle Gelbgrün der glatten, glänzenden Blätter thut den Augen weh; die durchsichtigen Schatten lindern das stechende Einwirken auf den Sehnerv nicht. Wie lautlos die Natur im Umkreise auch sei, es herrscht kein ruhiger Friede in solch einem tropischen Walde. Der deutsche Wald ist stiller, heimlicher. Den tiefen Ernst eines winterlich abgestorbenen deutschen Eichenwaldes sucht man ebenso vergeblich wie den keuschen Zauber eines jungen deutschen Frühlings. Der tropische Wald ist üppig, prächtig, reich und bezaubernd, aber poesielos.“

Solche allgemeine Eindrücke bestürmen den schnell vorwärtseilenden Weltumsegler, der ruhige Forscher aber, der länger im Lande weilt, lenkt unsere Aufmerksamkeit auf andere interessante Naturerscheinungen, die während der Eisenbahnfahrt sich unseren Augen darbieten. Lauschen wir auch seiner Erzählung, die uns nicht nur den Genuß des Schönen in der Natur, sondern auch manche Belehrung bietet.

Auf der Fahrt von Colombo nach Kandy begegnet man oft der mächtigen Talipotpalme, der stolzen Königin unter den Palmen Ceylons. Ihr weißer Stamm erreicht über hundert Fuß Höhe, und jedes einzelne ihrer fächerförmigen Blätter der Gipfelkrone bedeckt einen Halbkreis von zwölf bis sechszehn Fuß Durchmesser. Früher vertraten diese Blätter die Stelle des Papiers, und alte singhalesische Bücher in den Buddhaklöstern bestehen aus solchem „Olapapier“, auf welches man mit eisernen Griffeln schrieb. Die Talipotpalme blüht nur einmal in ihrem Leben, und zwar zwischen dem fünfzigsten und achtzigsten Lebensjahre. Der Blüthenbusch auf dem Gipfel des Baumes besteht aus einer Pyramide, die Millionen kleiner gelblich-weißer Blüthen enthält und deren Höhe dreißig bis vierzig Fuß beträgt. Häckel zählte während der genannten Fahrt gegen hundert derartiger blühender Bäume. Nach ihrer Blüthe und dem Reifen der Nüsse stirbt die Talipotpalme ab.

Doch an Abgründen von vier- bis fünfhundert Fuß Tiefe rollt der Eisenbahnzug schnell vorüber und in den Bahnhof von Kandy hinein. Der Reisende muß nun Abschied nehmen von allen den majestätischen Schöpfungen der Natur und seine Aufmerksamkeit auf die Werke der Menschenhand lenken. Der Gegensatz ist hier freilich groß; denn keine stolzen Bauten ragen in dieser ehemaligen Hauptstadt des Landes zum Himmel empor; das Wirken und die Thaten der Menschen sind hier winzig und klein. –

Von der ehemaligen Pracht dieser „stolzen Königsstadt“ sind nur wenige Spuren übrig geblieben. Spärliche Ruinen des alten Königspalastes locken den Wanderer, aber enttäuscht betritt er diese Stätte; denn ihr fehlt sogar der Reiz der üppigen, rankenden Vegetation; kein Epheu umschlingt hier das alte Gemäuer; nur mächtige Pilze wuchern in- und auswendig auf den steinernen Wänden des Baues. Die Häuser der Stadt sind zu ebener Erde gebaut; eine der Hauptstraßen, welche unser Zeichner uns vorführt, charakterisirt deren Aermlichkeit zur Genüge. Das wichtigste Bauwerk in Kandy ist aber der Buddhatempel, in welchem unter einem goldenen glockenförmigen Behälter der Zahn Buddha’s aufbewahrt

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1883). Leipzig: Ernst Keil, 1883, Seite 174. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1883)_174.jpg&oldid=- (Version vom 17.3.2023)