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Verschiedene: Die Gartenlaube (1883)

wird. Der Zähne des Propheten giebt es viele in den indischen Tempeln, und selbstverständlich ist jeder echt. Ungläubige behaupten aber, daß der, welchen man in Kandy aufbewahrt, einstmals das Maul eines Elephanten schmückte. An und für sich ist der Tempel von sehr untergeordneter Bedeutung.

Der moderne Palast des Gouverneurs macht dagegen einen guten Eindruck; er ist von Säulen und Veranden und einem prächtigen Garten umgeben. Professor Häckel hat nach seiner Schilderung in demselben einen angenehmen Abend zugebracht, aber er fügt vorsichtig hinzu: „Zahlreiche Schlangen, Scorpione und anderes derartiges Tropengesindel, besonders aber zahlreiche Blutegel sollen den Aufenthalt darin etwas ungemüthlich machen.“

In dieser Stadt wird also Arabi Pascha den Rest seines Lebens verträumen. Das gnädige England war liebenswürdig in der Wahl des Verbannungsortes; der General, der einst die europäischen Cabinete in Verwirrung brachte, aber bei Tel-el-Kebir sich nicht besonders heldenmäßig benahm, kann hier in aller Muße über die Vergänglichkeit der irdischen Dinge nachdenken – die Umgebung paßt ja vortrefflich für solche Betrachtungen.

Die Engländer hätten ihren Zweck vielleicht besser erreicht, wenn sie den Begnadigten nach der Ruinenstadt Ceylons, nach Anuradhapura, „verschickt“ hätten. Vor 2400 Jahren wurde diese Stadt vom König Anurado erbaut und war viele Jahrhunderte hindurch die prächtigste Cultusstätte des Buddhismus. Noch im Jahre 412 nach Christus betrug die Zahl der Priester in der Stadt allein mehr als 5000, und ein singhalesisches Buch aus dem Anfang des siebenten Jahrhunderts unserer Zeitrechnung entrollt uns folgendes Bild von Anuradhapura:

„Die Entfernung vom Hauptthor zum Südthor beträgt vier Stundenmärsche, ebenso vom Nord- zum Südthor. Die Hauptstraßen sind die Mondstraße, die König Hingururek-Straße und die Mahawellstraße, deren erstere an 11,000 Häuser enthält, viele davon zwei Stockwerke hoch. Kleinere Straßen giebt es unzählige. Der Palast hat lange Reihen von Gebäuden, manche von ihnen zwei und drei Stockwerke hoch, und seine unterirdischen Gänge sind von großer Ausdehnung.“

Schildern wir nur eine einzige der Ruinen, die noch heute hier zu sehen sind, die Ruine des Palastes Lowamahapaya; sie ist kein zerfallenes Mauerwerk, sondern ein aus dem Rasen emporwachsender Pfeilerwald, der in der Höhe von 12 Fuß abgestutzt zu sein scheint. In einem Quadrat von 230 Fuß Länge stehen 1000 vierkantige, aus einem Steinblocke gehauene Pfeiler in Reihen von 40 zu 40 neben einander; hier und da ist einer umgestürzt, ein anderer ist geneigt, und dazwischen streben ein paar gewaltige Laubbäume und weiden die Zebu-Ochsen des Dorfs. Vor zwei Jahrtausenden war dieser Palast von König Butugemum für die Priester von Anuradhapura gebaut worden, und heute stehen von den neun Stockwerken und von den tausend Zellen und Clausen nur noch die Grundpfeiler des Erdgeschosses.

Unmittelbar hinter dieser Ruine breitet seine Aeste der heilige Bo-Baum, welchen König Dewananpiya-Tissa im Jahre 300 v. Chr. gepflanzt haben soll. Der Baum wäre demnach 2200 Jahre alt und gewiß der älteste historische Baum der Welt. Priester beschützen und verehren ihn noch heute. Gegen ein Geschenk gaben sie auch Herrn Dr. Hans Meyer ein Blatt zum Andenken. Ein Blatt von einem Baume, dessen Haupt zweiundzwanzig Jahrhunderten trotzte!

Karte von Ceylon.

Passen denn nicht auf diesen Altriesen und die Geschicke der Menschen, auf die er herabschaute, jene Verse, die einst von den sangreichen Lippen des unsterblichen Homer erklungen:

„Muthiger Tydeussohn, was fragst du nach meinem Geschlechte?
Folgen sich doch wie die Blätter am Baum die Menschengeschlechter;
Welkende streut auf die Erde der Wind, und andere neue
Bildet der knospende Wald im wiedergeborenen Frühling.
Ebenso wächst ein Menschengeschlecht, und das andere schwindet.“

Ja, sie sind geschwunden, jene Geschlechter, die da noch wirkten zu der Zeit, als die Zinnen der Paläste von Anuradhapura in der Sonne blinkten, als das immergrüne Land den Namen „Löweninsel“ trug und seine Einwohner im Munde der angrenzenden Völker den stolzen Beinamen „Löwensöhne“ führten. Was bedeutet heute ein singhalesischer Fürst? Was bedeutet das ganze Volk der ceylonischen Eingeborenen? Verwelkt sind sie und verweht. Wird sie der für Ceylon anbrechende Frühling der Cultur verjüngen?

Aber wohin verirren wir uns? Verlassen wir die Ruinenstätte des heute kaum 1000 Einwohner zählenden Anuradhapura, halten wir uns auch nicht zu lange auf in dem berühmten botanischen Garten von Peradeniya, wo die Menschenhand die tropische Vegetation in Fesseln geschlagen und der Wissenschaft und Kunst dienstbar gemacht hat, wo die Pracht der tropischen Bäume und Rankengewächse uns sinnbestrickend umstürmt. Wir eilen noch nach dem Süden Ceylons, nach der Hafenstadt Punta Galle, auch Point de Galle genannt, die einst mit Colombo um die Handelsherrschaft wetteiferte, nunmehr aber, von der Regierung stiefmütterlich behandelt, zur zweiten Stadt der Insel herabsank.

An der brandenden Küste des Indischen Oceans, welche die Zeichnung unseres Künstlers (Seite 177) uns vor Augen führt, wollen wir nicht die schmucken Villen der Europäer aufsuchen, sondern ein Naturwunder schauen, wie es prächtiger und großartiger kaum anderswo zu finden ist. Wir steigen hinab in die Zaubergärten, welche auf dem Grunde der See die Töchter des Meeresgottes, die geheimnißvoll schaffenden Oceaniden, errichtet haben.

Langsam durchfurcht der Kiel des schwanken Bootes, dem wir uns anvertraut, die ruhige Wasserfläche, und im Glanze der Sonne erglühen unter uns in wunderbarer Farbe die vielgestaltigen Gebilde der Korallen, welche, Sträuchern und Bäumen ähnlich, in die Höhe streben. Das sind die berühmten Korallengärten Ceylons. Die Bezeichnung ist durchaus zutreffend; denn wie in der Vegetation der Insel die grüne Farbe vorwiegt, so ist sie auch in dieser unterseeischen Welt vorherrschend. Die Undine lockt uns, und wir tauchen hinab in eine neue, eine Märchenwelt.

Zwischen dem verworrenen Astwerk der zahllosen Korallenstöcke wimmelt es von den sonderbarsten Thieren, Fischen, Krebsen, Schnecken, Muscheln, Würmern, und sie alle finden ihre Nahrung in diesen Zaubergärten, in denen sie ihre ständige Wohnung aufgeschlagen haben, und führen hier mit tausend Künsten den uralten Kampf um’s Dasein.

Aber der Besuch dieser Gärten ist nicht so gefahrlos, wie man denken möchte. Die Feuerkorallen und die zwischen ihnen schwimmenden Medusen brennen bei der Berührung gleich den schlimmsten Brennnesseln. Der Stich der Flossenstacheln von manchen Panzerfischen ist ebenso schmerzhaft und gefährlich wie derjenige des Scorpions. Viele Krabben kneipen auf das Empfindlichste mit ihren mächtigen Scheeren, und schwarze See-Igel bohren ihre fußlangen Stacheln, die mit feinen Widerhaken besetzt sind, in das Fleisch des Fußes.

„In meinem ganzen Leben,“ bemerkt hierzu Professor Häckel, „habe ich keine so zersetzte und geschundene Haut gehabt, wie nach mehrtägigem Tauchen und Korallenfischen in Punta Galle.“

Doch wir müssen hier schließen. Wer wäre im Stande, die Wunder der Tropenwelt in erschöpfender Weise auf wenigen Blättern zu schildern? Die meisterhafte Feder des großen deutschen Zoologen hat dieses Wunderkind der deutschen Leserwelt zu erschließen gewußt, und wessen Neugierde und Wissensdrang mit dem vorstehenden Artikel nicht zufrieden sind, der nehme die „Indischen Reisebriefe“ zur Hand.



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Verschiedene: Die Gartenlaube (1883). Leipzig: Ernst Keil, 1883, Seite 175. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1883)_175.jpg&oldid=- (Version vom 24.12.2023)