Seite:Die Gartenlaube (1883) 180.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1883)

Nicht die Speise, das Fleisch der Thiere, das die Menschen sich auf täglicher Jagd in Wald und Wasser spielend erwerben, sondern das Fell der Thiere. In Felle kleidet sich der Jäger; auf Fellen schläft er, und gegen Felle kann er von den umherziehenden Händlern Branntwein, Messer, Büchsen eintauschen. Es ist daher nur natürlich, daß die Jägervölker ein Fell- und Pelzgeld besitzen. Aber sind Felle leicht theilbar? Das nicht, aber es giebt Felle von verschiedenem Werthe. Für einen Gegenstand von geringem Werthe giebt man das Fell eines minderwerthigen Thieres, Das Fell einer seltenen Bestie gilt so viel wie mehrere Felle einer gewöhnlichen. Man sehe sich folgende Gleichung an: 12 Marderfelle = 4 Biberfelle = 2 Fuchsfelle = 1 Fell eines schwarzen Fuchses. Liest sie sich nicht wie etwa die folgende: 2000 Kupfermünzen = 200 Nickelmünzen = 20 Silbermünzen = 1 Goldstück (20 Mark)? Eine Büchse kostet dort 15 Biberfelle. Stellen wir uns einen Indianer vor, der zwar nur 8 Biberfelle besitzt, aber noch anderes Pelzwerk auf Lager hat. Wenn er zu den 8 Biberfellen noch das Fell eines schwarzen Fuchses, eines weißen Fuchses und obendrein 3 Marderfelle legt, dann geht die Flinte in seinen Besitz über.

Selbst in einem großen europäischen Lande, in Rußland, hat das ganze Mittelalter hindurch Pelzgeld bestanden. Hier entwickelte sich nun etwas, was an den Unterschied von Metall- und Papiergeld erinnert. Das Papiergeld hat, wie alles symbolische Geld, nur so lange Werth, wie der Glaube allgemein verbreitet ist, daß man von den Staatskassen baares Geld dafür erhalten kann. In Rußland wurde es Sitte, im Verkehr nicht mehr mit Fellen zu bezahlen, sondern mit kleinen Lederstückchen. Ein Lederstückchen war eine Anweisung auf ein Fell in den öffentlichen Magazinen. Dies Verfahren erleichterte zwar den Verkehr, als jedoch nach der Eroberung des Landes durch die Mongolen die Magazine von diesen in Besitz genommen wurden und die Sieger die Lederstückchen nicht in Zahlung nahmen, waren die Besitzer der Lederstückchen ebenso arm, wie die Inhaber werthloser Actien.

Auf einer ganz anderen Culturstufe stehen die Hirtenvölker, wie wir z. B. die Juden im alten Testamente kennen lernen. Sie legen einen besondern Werth nicht auf das Fell des Thieres, sondern auf das Thier selbst. In großen Heerden von Schafen, Ziegen, Rindern besteht ihr Reichthum. Das Vieh giebt ihnen Nahrung und Kleidung. Die Bedürfnisse des Viehes zwingen sie zu einem langsamen Wandern. Die Natur ihres Erwerbes verleiht ihrem Familien-, ihrem Stammleben sein eigenthümliches Gepräge. Darum ist das Viehgeld bei allen Hirtenvölkern geradezu eine Naturnothwendigkeit. Deutliche Spuren von der Existenz des Viehgeldes zeigen sich in Griechenland, in Rom, bei den Persern, sowie bei den nord- und südgermanischen Völkern. In den allerältesten Zeiten setzten die Gesetzgeber die Bußen und Strafen nicht in Metallgeld, sondern in Vieh fest. Die römische „multa“ war eine ursprünglich in Vieh zu erlegende Strafe. Das geringste Strafmaß war ein Schaf, das höchste dreißig Rinder.

Nach der Einführung des Metallgeldes mußten die Viehstrafen in Geldstrafen umgewandelt werden.

Dieser Culturzustand spiegelt sich deutlich in den Werken des griechischen Dichters Homer. So heißt es an einer Stelle der Ilias:

„Doch den Glaukos erregete Zeus, daß er ohne Besinnung
Gegen den Held Diomedes die Rüstungen, goldne mit eh’rnen
Wechselte, hundert Farren die werth, neun Farren die andre.“

Und in einer andern:

„Peleus Sohn nun setzte noch andere Preise des Kampfes,
Zeigend dem Danaervolk, des mühsam strebenden Ringens:
Erst dem Sieger ein groß dreifüßig Geschirr auf dem Feuer,
Welches an Werth zwölf Rinder bei sich die Danaer schätzten;
Doch dem Besiegten stellt er ein blühendes Weib in den Kampfkreis,
Klug in mancherlei Kunst, und geschätzt vier Rinder am Werthe.“

Daß die Viehgeldperiode tiefgreifend und lang andauernd war, geht allein daraus hervor, daß das älteste Wort der lateinischen Sprache für Vermögen, Geld von dem Worte für Vieh abgeleitet ist. „Pecus“ heißt das Vieh, pecunia das Vermögen, das Geld. Ebenso hat „peculium“ die Bedeutung von Vermögen. „Peculatus“ ist die Unterschlagung von öffentlichen Geldern. Diese Ausdrücke haben sich in den romanischen Sprachen erhalten, so in dem französischen péculat (Cassendiebstahl) und pécule (selbst erworbenes Vermögen). Sprechen wir nicht täglich von pecuniären Verhältnissen? Die gleiche Erscheinung weist die isländische Sprache auf, in welcher Fe (Vieh) Vermögen bedeutet. In Griechenland und in Rom zeigten sich noch Spuren der älteren Periode, als das Metallgeld das Viehgeld verdrängt hatte. Die rohen Geldwürfel der alten Zeit waren in Athen mit dem Bilde eines Stieres, in Rom mit den Darstellungen von Schafen und Rindern geschmückt. Es vollzog sich also ein ähnlicher Proceß, wie wir ihn beim Dattelgeld beobachtet haben.

Zwischen der unteren Wolga und dem Randgebirge der ostasiatischen Hochebene dehnt sich eine weite Steppe aus, welche von den nomadisirenden, heerdenreichen Kirgisen bewohnt wird. Dieses Volk ist deshalb für uns von Interesse, weil es das Tauschmittel der Jägervölker und der Hirtenvölker in sein Geldsystem verwebt hat. Neben Vieh werden Wolfs- und Löwenfelle in Zahlung genommen.

Wenn endlich äußere Umstände ein Wandervolk zur Seßhaftigkeit zwingen, dann muß es Wälder fällen, Gräben ziehen, Sümpfe austrocknen, die Erde roden, Brücken schlagen und Häuser bauen und oft die mühsam errungene Frucht seiner Arbeit mit dem Schwerte in der Faust vertheidigen. Nun werden ihm vor Allem die Metalle wichtig, woraus sich Ackergeräte und Rüstungen verfertigen lassen. In der Wahl des Metalles ist der Mensch nicht frei. Er ist an die Gesteine seines Landes gebunden und von der erworbenen Fertigkeit in der Behandlung der Metalle abhängig.

Aus diesem Grunde umfaßt die Bronzeperiode die ersten Jahrhunderte der europäischen Culturentwickelung, aus jenem bedienten sich die Griechen des Eisens, die Römer des Kupfers zu den erwähnten Zwecken. Leicht vollzieht sich nun der Uebergang zu einem aus unedlen Metallen gefertigten Gelde, da es einem allgemeinen Bedürfnisse entspricht und vor allen anderen Geldstoffen dauerhaft und theilbar ist. Bei den Chinesen und Malayen wird Zinn, in Senegambien Eisen Geld. Auch in Griechenland soll das erste Metallgeld aus Eisen bestanden haben. Die Völker des alten Italiens dagegen wies der Boden der Halbinsel und der frühe Handelsverkehr mit der kupferreichen Insel Cypern auf die Wahl des Kupfers hin. Aus einer Mischung von diesem Metall und von Zinn (Bronze) gossen sie Stücke von länglich viereckiger Form, zwei bis drei Pfund schwer, Würfel ohne Werthzeichen, ohne Gepräge, Stücke von gedrückt elliptischer Gestalt, wie ein im Jahre 1828 bei Volci aufgefundener vergrabener Schatz dargethan hat.

In der allerältesten Zeit sind also die Stücke ohne Gepräge; erst später versieht man sie mit dem Bilde von Thieren. Bei Käufen und Verkäufen werden die Kupferstücke auf der Wage gewogen. Noch später entwickeln sich aus den Metallstücken Münzen, indem der Staat auf den Bronzewürfeln und -barren den nominalen Werth derselben angiebt.

Ihre Bronze nannten die Römer „aes“. Die Abschätzung einer Sache, z. B. die Umwandlung der Vieh- in Geldbußen, der auf eine bestimmte Geldsumme lautende Urtheilsspruch des römischen Richters, hieß in der Sprache „aestimatio“ (ein Wort, dessen erste Silbe „Bronze“ bedeutet). Daher aestimare, estimer, stimare etc. Wer von uns behauptet, daß er nicht genug „ästimirt“ werde, beschwört folglich den Schatten des römischen Bronzegeldes herauf.

Eine ganz andere Wendung werden die Geldverhältnisse eines Volkes, wie das indische, nehmen, dessen Individuen, unter einem sonnigen Himmel, in einem fruchtbaren, aber metallarmen Lande, mit einer Hand voll Reis ihren Hunger stillen und mit einem Schurze ihre Bekeidungsbedürfnisse befriedigen. Der unbeschäftigte Geist sinnt auf glänzenden Körperschmuck. Da bieten sich zunächst die Muscheln dar. Jeder Leser begreift unschwer, daß unter diesen Umständen die Muschel in die Stelle des Geldes gedrängt wird. Thatsächlich benutzt man die Kaurimuschel in weiten Strecken Asiens und Afrikas als Geld. Sie wird in großen Mengen bei den Malediven, südwestlich von Vorderindien, gefunden und nach Bengalen, Siam sowie anderen Ländern des östlichen Asiens verschifft. Der Bestimmungsort der größten Menge ist aber die berühmte Handelsstadt Sansibar, auf der Insel gleichen Namens an der Ostküste von Afrika. Von dort führen arabische Händler sie in den dunklen Erdtheil ein. Schon seit Jahrhunderten scheint sie den Schmucktrieb der Menschen besonders gefesselt zu haben. Denn sie findet sich in Urnen und

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1883). Leipzig: Ernst Keil, 1883, Seite 180. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1883)_180.jpg&oldid=- (Version vom 18.3.2023)